Große Koalition? SPD-Basis bleibt sehr skeptisch

Führende Sozialdemokraten: Die Sache ist noch nicht gelaufen / Autor Schlink wirbt für Rot-Rot-Grün / CDU-Politiker nennt SPD-Basisentscheid »Perversion«

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Berlin. Der Widerstand in der SPD gegen eine Große Koalition mit der Union ist offenbar immer noch sehr stark. Wenige Tage vor Abschluss der Verhandlungen meldet der »Spiegel«, in zahlreichen Ortsvereinen sowie Bezirks- und Kreisverbänden würden die Vorsitzenden der jeweiligen SPD-Strukturen bisher keine Zustimmung zu einem Bündnis mit CDU und CSU empfehlen.

Am Wochenende haben Spitzenpolitiker der Sozialdemokraten derweil bei ihrer Basis um Zustimmung zu einem möglichen Koalitionsvertrag geworben. Die Mitglieder sollten sich nach Ansicht von Parteichef Sigmar Gabriel bei der Abstimmung nicht von Emotionen lenken lassen. »Die Entscheidung darf nicht nur eine aus dem Bauch sein«, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Samstag bei einer Regionalkonferenz in Bruchsal bei Karlsruhe. Die Frage müsse sein, was die Sozialdemokraten in einer Großen Koalition für die Menschen erreichen könne.

»Bisher lösen die Ergebnisse keine Begeisterung aus«, zitiert das Magazin den Vorsitzenden des SPD-Arbeitnehmerflügels, Klaus Barthel, »selbst diejenigen, die einer Großen Koalition aufgeschlossen gegenüberstanden, sind bisher enttäuscht.« Die Kandidatin für den Juso-Vorsitz, Johanna Uekermann, meinte, es zeichne sich eine Ablehnung der Großen Koalition ab: »Meine derzeitige Einschätzung ist, dass es keine Mehrheit der Jusos für ein Ja zum Koalitionsvertrag geben wird.«

Derweil rechnet SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nicht mit einem Scheitern der Mitgliederbefragung zur großen Koalition. »Ich gehe davon aus, dass wir keinen Plan B brauchen, weil ein unterschriebener Koalitionsvertrag Verhandlungserfolge der SPD dokumentieren wird«, sagte Steinmeier der »Märkischen Allgemeinen«. Er könne es niemandem verübeln, wenn er einem Bündnis mit der CDU skeptisch gegenüber stehe. Die SPD-Mitglieder würden ihre Entscheidung von einer »sozialdemokratischen Handschrift« im Koalitionsvertrag abhängig machen, so Steinmeier. Die Befragung steht für Anfang Dezember an.

Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, sagte, »wir müssen uns alle zusammen noch sehr anstrengen, die Partei mitzunehmen. Die Sache ist noch nicht gelaufen.« Grundsätzliche Zweifel an einer Verständigung mit der Union hat Generalsekretärin Andrea Nahles: »Wir können noch nicht sagen, ob der Koalitionsvertrag zustande kommt.«

Unterdessen warb der Autor Bernhard Schlink in einem Gastbeitrag für den »Spiegel« bei den SPD-Mitgliedern darum, bei dem Mitgliederentscheid gegen eine Große Koalition mit der Union zu stimmen. Er wirbt stattdessen für eine Regierung aus SPD, Linken und Grünen. »Wenn eine rot-rot-grüne Koalition 2017 nicht mehr ausgeschlossen ist, warum soll sie es heute sein?«, fragt Schlink, der seit 40 Jahren SPD-Mitglied ist. Zweifeln an der Regierungsfähigkeit der Linken widerspricht er; in bisherigen Länderregierungen habe sich die Partei als pragmatisch erwiesen. Aufgabe der SPD sei es, die linke Mehrheit im Bundestag zu führen: »Die linke Politik unserer Partei kann nicht nur in Korrekturen und Modifikationen schwarzer Politik bestehen.«

Vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Frage der Zustimmung der SPD-Basis über eine Große Koalition hat Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) vor den Folgen eines Neins der sozialdemokratischen Mitglieder gewarnt. »Ich glaube, dass in den nächsten 14 Tagen nicht nur über den Koalitionsvertrag abgestimmt wird, sondern über die Zukunft der SPD-Parteiführung und womöglich die Zukunft der gesamten SPD«, sagte Kauder dem »Spiegel«. In der Union war zuletzt die Kritik an der Abstimmung bei den Sozialdemokraten gewachsen. »Der Mitgliederentscheid mag gut gemeint sein«, sagte der CDU-Bundesvize Thomas Strobl. »Er führt aber dazu, dass die SPD-Leute in den Verhandlungen immer nur die nächsten vier Wochen vor Augen haben und nicht die nächsten vier Jahre. Das ist schlecht.«

Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, wandte sich generell gegen die Basisdemokratie bei den Sozialdemokraten. »Dass das Schicksal unseres Landes in den Händen einiger zehntausend SPD-Mitglieder liegt, ist eine Perversion des Ergebnisses der Bundestagswahl. Angesichts der Probleme unseres Landes, vor allem aber der Lage in Europa, ist diese Hängepartie nicht hilfreich.« Auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt äußerte sich ablehnend zu den Vorgängen bei den Sozialdemokraten: »Vielleicht sollten wir erst den Mitgliederentscheid der SPD machen und dann den Koalitionsvertrag.

SPD-Parteichef Gabriel sieht dagegen in dem Mitgliederentscheid wegweisende Wirkung: «Ich bin stolz auf meine Partei, dass sie die Herausforderung des Mitgliedervotums so entschlossen angeht», sagte Gabriel und zeigte sich «sicher: auch in anderen Parteien wird der Ruf nach solchen Beteiligungsformen lauter werden.» Agenturen/nd

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