Der Pionier

Christoph Ruf über einen Fußballer, der schon immer wusste, was er wollte

Thomas Hitzlsperger hat sich als erster prominenter Fußballspieler zu seiner Homosexualität bekannt. Sollten sich demnächst auch aktive Spieler outen, wäre das der Beweis, dass sich der Fußball gründlich modernisiert hat.

Thomas Hitzlsperger wusste schon immer, was er wollte. 2005, als 23-Jähriger, gab der schussgewaltige Mittelfeldmann dem Magazin »RUND« ein Interview, in dem er sich erstaunlich reflektiert über die Branche äußerte. Worunter er am meisten leide, sei das Fehlen von Privatheit, ließ er wissen: »Ich verdiene sehr viel Geld. Aber dafür zahle ich den Preis, dass ich transparent bin. Alle wollen in mein Leben reinschauen.«

Ob er damit auch seine sexuelle Orientierung gemeint hat? Von seiner Freundin Inga hat er sich jedenfalls erst 2007 getrennt. Etwa seit dieser Zeit, heißt es, trägt sich Hitzlsperger auch mit dem Gedanken, seine Homosexualität publik zu machen. Es spricht allerdings wohl für sich, dass auch dieser mutige Mann doch lieber bis nach dem Karriereende warten wollte. Warum ihm ein Outing als Aktiver zu riskant sein würde, hatte er im September 2012 in einer Kolumne für »Zeit,de« nur leicht verklausuliert erläutert: »Es wäre der sportliche worst case möglich: das Karriereende. Darauf müsste ein offen schwuler Fußballer vorbereitet sein.«

Wohlgemerkt, Hitzlsperger sprach von einem »möglichen« worst case. Er hielt es ebenso für denkbar, dass es zu keinerlei idiotischen Rufen aus den Fankurven kommen würde, dass Respekt und Anerkennung überwiegen würden. Und tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass sich der Fußball in den vergangenen 20 Jahren mindestens so rasant modernisiert hat wie die Gesellschaft als solche – und mit ihr die Fußballverbände. Als vor ein paar Wochen die Nachricht über den Ticker lief, dass Steffi Jones, immerhin DFB-Direktorin, ihre langjährige Lebensgefährtin heiraten werde, wurde das so lapidar kommentiert, wie es sich gehört. Auch alle Exponenten des DFB gratulierten freudig – und dass das keinen mehr wunderte, darf man bei einem Verband, der sich Rechtsausleger wie Hermann Neuberger oder Gerhard Mayer-Vorfelder als Präsidenten gönnte, durchaus mit Freude konstatieren.

Zumal es noch keine zwei Jahrzehnte her ist, als sich noch keine DFB-Nationalspielerin getraut hätte, ihre weibliche Begleitung als ihre Lebensgefährtin vorzustellen – zu deutlich war den offen-lesbischen Spielerinnen signalisiert worden, dass sie ihren Platz in der Nationalmannschaft verlieren würden, wenn ihre Neigung publik wird. Das wäre heute undenkbar. Wie es undenkbar ist, dass schwule Funktionäre wie der ehemalige St. Pauli-Präsident Corny Littmann ausgegrenzt werden. Ein Metropolen-Phänomen? Eher nicht. Auch in der dritten und vierten Liga gibt es offen-schwule Präsidenten. Angefeindet werden die nach eigener Aussage genau so wenig wie der Geschäftsführer des Oberligisten VfR Mannheim, Sven Wolf. In Zeiten, in denen so gut wie jeder Erst- und Zweitligist zum Teil sehr große schwul-lesbische Fanclubs haben, die meist sehr gut in die Gesamtszene integriert sind, sollte man das Rabauken-Image von Fußballfans überdenken.

Doch auch wenn das Neandertal-Image, das dem Fußball besonders in fußballfernen Schichten anhaftet, grotesk überzeichnet sein mag – es stimmt durchaus, dass es in manchen Stadien noch archaische Verhaltensweisen gibt, die archaisch wirken. Und das längst nicht nur auf den Rängen einiger weniger Stadien, in denen zur Melodie von »Sierra madre do sul« vom »schwulen, schwulen FC XY« gesungen wird. Und es gibt durchaus Spieler, die auf Nachfrage zugeben, dass ein Gegenspieler, der sich während seiner aktiven Zeit outen würde, von ihm während des Spiels (»Schwächen ausnutzen«) damit provoziert werden würde.

Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten sich farbige Spieler auch noch von rustikalen Verteidigern als »Bimbos« oder »Affen« verunglimpfen lassen, wenn der Schiedsrichter weit weg war. Dass das heute als Tabu gilt, ist erfreulich, bestätigt aber, was der Hannoveraner Soziologe Gerd Dembowski meint, wenn er von einer »Hierarchie der Diskriminierungen« spricht. »Homophobe Äußerungen finden viele weniger schlimm als rassistische.«

Kein Wunder also, dass sich in der Fußball-Branche immer noch eine Doppelmoral hält, die in anderen weltlichen Bereichen unnötig geworden ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass homosexuelle Spieler beim Mannschaftsabend Hostessen anheuern, um nicht aufzufallen. Auch von Scheinehen ist die Rede. Glaubt man den Verlautbarungen von Spielern wie Arne Friedrich (»Bin stolz auf dich«) oder Lukas Podolski (»mutig und richtig«) ist diese Mimikry unnötig.

Zu seiner Zeit als Mainzer Trainer wurde Jürgen Klopp einmal auf die vermeintliche Homosexualität eines seiner Spieler angesprochen. Zur Überraschung des Journalisten bestätigte Klopp die implizit und behauptete, sie sei im Mannschaftskreis bekannt und »kein Problem.« Von einem öffentlichen Outing würde er seinem Spieler aber abraten: »Nicht wegen der Fans oder der Mitspieler. Sondern wegen euch Journalisten. Der X wäre dann ja nicht mehr der Mainzer Spieler, sondern nur noch der Schwule, mit dem man schnell ein Interview machen muss.«

X hat sich bis heute nicht geoutet, stattdessen hat es Thomas Hitzlsperger getan. Der 52-fache Nationalspieler wusste schon im September 2012, dass es vielleicht nur eines Pioniers bedürfen würde, um weitere Outings folgen zu lassen. Der »könnte auch zum großen Vorbild für schwule Sportler werden, und auch für andere, die sich noch nicht getraut haben, offen mit ihrer Homosexualität umzugehen.«

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