Fehlende Noten und Leseschwäche

Sachsen-Anhalt legt ein »Kulturkonzept« vor, das Empfehlungen des vor Jahresfrist beendeten Kulturkonvents umdeutet

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch klassische Musik hat Sparpotenzial. Zuerst, sagt der Cellist Jens Naumilkat vom Ensemble »Amadeuskomplott«, wird aus jedem Takt eine Sechzehntelnote gestrichen, dann eine punktierte Viertel. Manchmal trifft es die letzte; manchmal wird nach vermeintlicher Wichtigkeit entschieden. Das fragmentierte Musikstück bleibt vage erkennbar, aber es ergeht ihm wie der Metallfigur, die neben Naumilkat und Ludwig Schumann als drittes Mitglied des Ensembles auf der Bühne im »Kaiser-Otto-Saal« des Kulturhistorischen Museums Magdeburg steht. Bei ihr wurden etliche Teile eingespart. Übrig blieb, sagt Schumann, »ein Gerippe«.

Mancher Zuhörer im Saal wird den Auftritt als sarkastischen Kommentar zur derzeitigen Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt verstanden haben. Die sollte gestern eigentlich in ein gutes Licht gerückt werden: Kultusminister Stephan Dorgerloh stellte das »Kulturkonzept 2025« vor. Es soll Grundzüge für die Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahrzehnt skizzieren. Vorgelegt wurde es ein Jahr nach Abschluss eines Kulturkonvents, in dem Kulturschaffende aller Sparten seit Herbst 2011 die Kulturlandschaft in Sachsen-Anhalt untersucht und exakt 163 Empfehlungen für deren Weiterentwicklung erarbeitet hatten. Die ehemaligen Mitglieder des Konvents waren - nach den Mitgliedern des Kulturausschusses im Landtag - gestern die ersten, denen das Papier vorgestellt wurde.

Nach gründlicher Lektüre dürften manche erstaunt reagiert haben. Zwar nahmen die Autoren des Konzepts die Empfehlungen des Konvents zur Kenntnis; beide Papiere seien »aufeinander zu beziehen und ergänzen sich«, schreibt Dorgerloh im Vorwort. Er fügt aber auch hinzu, die Ratschläge der Experten seien »in unterschiedlicher Weise« im Konzept aufgegriffen worden. Präzise müsste formuliert werden: Sie wurden teils äußerst frei interpretiert. Manche, merkt der Kulturpolitiker Stefan Gebhardt von der Linkspartei an, wurden glatt in ihr Gegenteil verkehrt. Das sei, fügt er hinzu, »eine Frechheit«.

Deutlich wird das am Beispiel der Förderung von Theatern und Orchestern, die im Land für viel Zündstoff sorgt. Die sieben Theater und zwei Orchester erhalten gut ein Drittel der Mittel, die in Sachsen-Anhalt für Kultur ausgegeben werden - 2014 werden das 88,9 Millionen Euro sein. Das Land kürzt an drei Häusern massiv: in Halle und Dessau je drei Millionen, was in der anhaltischen Stadt zur Abwicklung von Schauspiel und Ballett führt; in Eisleben wird aus einem Theater ein »Kulturwerk«, das Kultur nur »vermitteln«, nicht mehr produzieren soll.

Legitimiert wird das im Kulturkonzept unter Verweis auf den Konvent: Dieser, so heißt es, »empfahl, ab 2014 Strukturveränderungen einzuleiten«. Tatsächlich findet sich die Jahreszahl beim Konvent in ganz anderem Zusammenhang. Ab 2014 und bis 2025 sollten Theater und Orchester demnach 39 Millionen Euro plus Inflationsausgleich erhalten; 2012 hatte das Land gut 36 Millionen gezahlt. Den Häusern und ihren Trägern werde auf diese Weise »hinreichend Zeit gewährt«, um Entscheidungen zu entwickeln, die »ab 2019« tragfähige Strukturen sichern. Einen Umbau schon in diesem Jahr einzuleiten, empfahl der Konvent nicht.

Auch in anderen Punkten schlägt Dorgerloh die Ratschläge der Kulturexperten in den Wind. So hatten dieser über eine Kulturförderabgabe in den Kommunen beraten - und dem Land empfohlen, dafür zunächst »rechtliche Voraussetzungen« zu schaffen. Unter anderem hätte dieses Kultur zur Pflichtaufgabe erklären müssen, damit gesichert ist, dass die Einnahmen wirklich der Kultur und nicht der Schuldentilgung zugute kommen. Dorgerloh erklärte gestern lapidar, bei dem Thema seien »die Kommunen gefragt«; von einem Landesgesetz war keine Rede. Ähnliches gilt für die Schaffung von Kulturregionen. Deren Bildung wird allgemein als nützlich angesehen. Der Konvent hatte in der ersten von drei Empfehlungen zum Thema das Land aufgefordert, gesetzliche Voraussetzungen dafür zu schaffen. Davon ist im Konzept nicht die Rede. Das Land dreht den Spieß vielmehr um: Wenn Kommunen aktiv werden, bekommen sie eventuell etwas Geld dazu.

Unterm Strich verhalten sich das Kulturkonzept und die Empfehlungen des Konvents zueinander wie die vom »Amadeuskomplott« verstümmelten Musikstücke und deren originale Vorlage: Sie haben etwas miteinander zu tun. Aber zu erkennen ist das vor lauter gekürzten Noten nur noch schwer.

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