Ein Buch wie der NSA-Skandal

Glenn Greenwalds «Die globale Überwachung» beschreibt genau das - so exakt wie nie zuvor

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit einer E-Mail von Edward Snowden an Glenn Greenwald begann der größte Überwachungsskandal der Menschheit – und endete fast gleich wieder. Über die Bekanntschaft, die die Welt veränderte, hat der Journalist nun ein Buch geschrieben: so spannend, erschreckend und ermüdend wie die NSA-Affäre selbst.

Künftige Historiker hätten es bestimmt zu den größten Treppenwitzen der Geschichte gezählt: Fast wäre die Enthüllung der umfassendsten Überwachung der Menschheitsgeschichte daran gescheitert, dass sich der vorgesehene Enthüllungsjournalist monatelang weigerte, seinen Computer vor Überwachung zu schützen. Die Aufdeckung des NSA-Skandals durch Edward Snowden ging schließlich doch in die Geschichte ein. Wie - das erfährt man im neuen Buch jenes Glenn Greenwald.

«Die globale Überwachung», ein Buch, dessen Titel auch im englischen Original («No place to hide») eher nach Wühlkiste klingt als nach dem Buch des wichtigsten Enthüllungsjournalisten (und auch so aussieht), ist zu Beginn vor allem eines: verdammt spannend. Von den frühen Kontaktversuchen Snowdens über die heimlichen Treffen in Hongkong bis zu den Veröffentlichungen im britischen «Guardian» hätte es auch als fiktiver Spionagethriller in den Bestsellerlisten stehen können.

Das Märchen vom Systemadmistrator, der fast aus Versehen über einen Stapel Geheimakten stolperte

Dabei erfährt der Leser, dass es eigentlich nicht Verschlüsselungsmuffel und «Guardian»-Redakteur Greenwald war, der die Übergabe der Geheimdokumente einfädelte, sondern Freundin und Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Vor allem aber liest man allerlei Neues über Edward Snowden. Denn die Wirklichkeit hinter dem «29-jährigen Jungen», von dem Greenwald meint, er sehe aus, «als habe er gerade erst begonnen, sich zu rasieren», hat kaum etwas mit dem medialen Bild vom unbedeutenden Systemadministrator zu tun.

Stattdessen, so erzählt Snowden im verrumpelten Hotelzimmer, habe er zu den Top-Spionen von NSA und CIA gezählt. Der Schulabbrecher arbeitete getarnt als Diplomat für die CIA in Genf, galt dort als bester IT-Experte des Landes. Er war Teil der persönlichen Geheimdiensttruppe von George W. Bush, infiltrierte von Japan aus «militärische und zivile System anderer Staaten» und wurde schließlich selbst zum Ausbilder für Gegenspionage. Er habe «Internetaktivitäten von Menschen, noch während sie auf der Tastatur tippten», verfolgen können, hätte von seinem Schreibtisch «sogar den Präsidenten anzapfen» können, zitiert ihn Greenwald.

Die Stunden, die Greenwald in seinem Honkonger Hotelzimmer bis zur Veröffentlichung der ersten Artikel im «Guardian» herunterzittert, erzeugen auch beim Leser Herzrasen. Wird die New Yorker Bürochefin der Zeitung vor den US-Behörden einknicken? Wird die «Washington Post» die Geschichte zuerst veröffentlichen? Wann ruft der Chef aus London an? So mitreißend das alles ist, so ernüchternd wirkt es, als Greenwald nach rund einem Drittel des Buches vom Thriller-Autor wieder in die Rolle des Cheferklärers des NSA-Skandals wechselt.

Die Dramatik hätte die NSA kaum besser verschlüsseln können

Gerne hätte man weiter mitfiebern wollen. Mit Snowden im Exil. Mit dem «Guardian», der gegen seine Schließung ankämpft und am Ende seinen wichtigsten Journalisten verliert. Mit dem Geheimdiensexperten Greenwald, der über Nacht zum berühmtesten und gefürchtetsten Enthüllungsjournalisten der Welt aufsteigt. Doch stattdessen listet der Ex-Verfassungsrechtler Programme, Abteilungen, Geheimakten und Powerpoint-Folien der NSA auf. Greenwalds sachlicher und detaillierter Stil, dem er seine Glaubwürdigkeit zu verdanken hat, dürfte NSA-unerfahrene Leser hier bald gelangweilt weiterblättern lassen. Die Dramatik hinter Sätzen wie «Das OAKSTAR-Team hat mit Unterstützung von NSAT und GNDA gerade eine zwölftägige SIGINT-Abfrage durchgeführt» hätte die NSA kaum besser verschlüsseln können.

Wer durchhält, bekommt dafür den bisher besten Überblick über die NSA-Überwachung geboten. Das hat vor allem einen Grund: Greenwald fügt den in Hunderte von Zeitungsmeldungen zerstückelten NSA-Skandal zusammen und schafft es so, selbst nach einem Jahr medialer Dauerabstumpfung noch Empörung hervorzurufen, gelegentlich sogar Überraschung. Auf alte Bekannte wie Prism, XKeyscore, Boundless Informant und Shell Trumpet stößt man hier. Vor allem aber auf neue Zusammenhänge. Greenwald zeigt, wie die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Grundrechte ihrer Bürger einem NSA-hörigen Geheimgericht überließen. Er erläutert, wie ein Abhörprogramm, das eigentlich für den Irak-Krieg gedacht war, kurzerhand auf sämtliche US-Bürger ausgedehnt wurde. Er beschreibt, wie die NSA darauf abzielt, jede abweichende politische Meinung zu unterdrücken, jede regierungskritische Gruppe zu zersetzen und am Ende dennoch - so der frühere NSA-Chef Keith Alexander - stets eines will: «alle Daten sammeln, immer und jederzeit.»

Fast ein Manifest für die Überwachten aller Länder

Dabei verlässt Greenwald vor allem im letzten Drittel immer wieder die Rolle des nüchternen Beschreibers und zeigt sich als leidenschaftlicher Bürgerrechtler: Einen «nie dagewesenen Krieg» wirft er Obama im Umgang mit Whistleblowern vor. Der «Washington Post» und «New York Times, eigentlich fast der gesamten US-Presselandschaft, attestiert er, die »Dreckarbeit« für die US-Regierung zu erledigen. Und immer wieder, vielleicht etwas zu oft: Snowden, der alles aufgeben habe, um die Welt zu verändern.

Letztendlich ist »Die globale Überwachung« ein Buch wie der NSA-Skandal selbst: spannend wie ein Triller, erschreckend angesichts des nicht enden wollenden Unrechts und schließlich gerade deshalb auch etwas ermüdend. Dennoch: Falls irgendwann wirklich die Historiker kommen und nach dem Anfang vom Ende der totalen Überwachung suchen, werden sie sicher auf dieses Buch stoßen.

Glenn Greenwald: Die globale Überwachung - Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen. Droemer, 368 S., geb., 19,99 €.

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