Der Krieg ist der Terror - beendet ihn!

Wortmeldung eines israelischen Friedensaktivisten

  • Uri Avnery
  • Lesedauer: 5 Min.

In diesem Krieg haben beide Seiten das gleiche Ziel: eine Situation zu beenden, die existierte, bevor der Krieg begann. Ein für alle Mal!

Beendigung des Raketenfeuers gegen Israel aus dem Gaza-Streifen. Ein für alle Mal! Beendigung der Blockade des Gaza-Streifens durch Israel und Ägypten. Ein für alle Mal! Warum kommen beide Seiten nicht zusammen? Weil sie nicht miteinander reden. Sie können einander töten, aber sie können nicht miteinander reden.

Das ist kein Krieg gegen den Terror. Der Krieg ist der Terror.

Keine Seiten kennt eine andere Strategie, als die Zivilbevölkerung der anderen Seite zu terrorisieren. Die palästinensischen Kampforganisationen in Gaza versuchen, ihren Willen durchzusetzen, indem sie ihre Raketen gegen israelische Städte und Dörfer lenken, darauf hoffend, die Moral der Bevölkerung zu unterminieren und sie zur Beendigung der Blockade zu zwingen. Die israelische Armee bombardiert die Bevölkerung des Gaza-Streifens, darauf hoffend, sie würde sich von der Hamas abwenden. Beide Hoffnungen sind trügerisch und töricht. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass die Terrorisierung einer Bevölkerung diese nur noch enger an deren Führer bindet und den Hass auf den Feind verstärkt.

Dieser Krieg ist ein asymmetrischer. Israel hat eine der größten und schlagkräftigsten Militärmaschinen weltweit. Die Hamas und ihre Verbündeten verfügen hingegen nur über einige tausend Kämpfer. Eine treffende Analogie zur gegebenen Situation wäre die mythische Geschichte von David und Goliath. Doch diesmal sind die Israelis Goliath und die anderen David.

Die biblische Erzählung wird häufig missverstanden. Ja, Goliath war ein Riese und David ein kleiner Schafhirte. Aber Goliath war mit einer schweren Rüstung, Schwert und Schild ausgerüstet, was seine Beweglichkeit stark eingrenzte, während David mit der Schleuder eine Waffe besaß, mit der er aus sicherer Entfernung töten konnte. Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite. Hamas hoffte gleiches mit ihren Raketen und Tunneln nach Israel zu bewirken. Doch diesmal erwies sich Goliath als erfindungsreich und fing fast alle Raketen ab, die israelische Wohngebiete getroffen hätten, darunter auch mein Viertel in Tel Aviv.

Keine der beiden Seiten kann die andere zur Kapitulation zwingen. Es ist ein Pattsituation eingetreten. Warum also weiter töten und zerstören?

Die Krux ist: Wir können nicht miteinander reden. Wir brauchen Vermittler. Ein Cartoon in »Haaretz« zeigte diese Woche, wie Israel und die Hamas miteinander kämpfen und ein Haufen Prediger um sie herumtanzt, und jeder weiß besser, was zu tun ist: Ägypten, Katar, die USA, die UNO, die Türkei, Mahmoud Abbas, Tony Blair und noch viele andere. Sie alle wollen nur aus dem Elend des Krieges etwas für sich selbst herausschlagen.

Ich beschwöre meiner Regierung und die Hamas-Führer: Kümmert euch nicht um diesen erbärmlichen Haufen, sondern redet miteinander!

Der Hass ist auf beiden Seiten gewachsen. Der Hass vieler Israelis auf Israels arabische Bürger hat beträchtlich zugenommen und wird nicht so schnell wieder abflauen. Die israelische Demokratie ist schwer beschädigt. Rechte Gruppen, die einst marginal waren, werden von der Mitte der Gesellschaft akzeptiert. Millionen Menschen in aller Welt sehen täglich die furchtbaren Bilder von Verwüstung und Tod im Gaza-Streifen. Sie werden auch durch einen Waffenstillstand nicht aus den Gedächtnissen und Gemütern gelöscht. Israels angekratztes Image in der Welt wird sich weiter verschlechtern. Viele anständige Israelis fühlen sich in ihrem Land zunehmend unwohl. Ich habe Menschen plötzlich von Auswanderung reden hören. Die erstickende Atmosphäre im Land, die schreckliche Konformität unserer Medien (mit Ausnahme von »Haa-retz«), die resignierende Gewissheit, dass auf jeden Krieg ein neuer folgt - all das bringt junge Leute dazu, von einem ruhigen Leben in Los Angeles oder Berlin zu träumen.

In der arabischen Welt sind die Folgen noch schlimmer. Zum ersten Mal billigen fast alle arabischen Regierungen Israels Kampf gegen die Hamas. Das empfinden viele junge Araber als eine Demütigung. Der »Arabische Frühling« war ein Aufstand gegen die korrupte, repressive und gierige arabische Elite, aber auch eine Bekenntnis der Identifikation mit der Not des von ihr im Stich gelassenen palästinensischen Volkes. Was jetzt geschieht, ist aus der Sicht junger Araber noch viel schlimmer als vordem. Ägyptische Generäle, saudische Prinzen, kuwaitische Emire und ihresgleichen stehen vor der arabischen Jugend entblößt da wie der Kaiser im Märchen von Hans Christian Andersen. Die Hamas-Kämpfer hingegen erscheinen ihnen als leuchtende Vorbilder. Dies kann zu unser aller Unglück in einen noch radikaleren Islamismus münden.

Als ich an einer Anti-Kriegs-Demonstration in Tel Aviv teilnahm, fragte mich ein junger Mann in Schwejk’cher Manier: »Was würden Sie nach'm Krieg um sechs Uhr tun?« Hier meine Antwort: Als erstes würde ich die Prediger davonjagen und direkte Gespräche zwischen den Kombattanten in die Wege leiten. Ich würde sofort die Land-, See- und Luft-Blockade des Gaza-Streifens beenden und den Menschen dort gestatten, einen ordentlichen Hafen und Flugplatz zu bauen. An allen Straßen müssten Kontrollen sicherstellen, dass keine Waffen nach Gaza geschmuggelt werden. Und ich würde von der Hamas fordern, alle Raketen zu verschrotten und alle Tunnel zu verschließen, die in mein Land hineinreichen. Ich würde sofort alle Gefangenen, die mit Beginn des gegenwärtigen Kriegs wieder gemacht wurden, freilassen. Ich würde die palästinensische Einheitsregierung anerkennen und die Welt auffordern, gleiches zu tun. Ich würde freie Wahlen eines palästinensischen Präsidenten und Parlaments unter internationaler Aufsicht nicht behindern. Ich würde mich zur Anerkennung der Ergebnisse, wie immer sie ausfallen mögen, verpflichten. Ich würde sofort Friedensverhandlungen mit einer vereinten palästinensischen Führung auf der Grundlage der »Arabischen Friedensinitiative« beginnen.

Kurzum: Beendet den Krieg ein für alle Mal.

Übersetzt und gekürzt von K. Vesper

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