Ein Kompromiss ist im Interesse aller Beteiligten

EU-Expertin Tanja Börzel über Diplomatie und Zwänge im europäischen Schuldenstreit

  • Lesedauer: 6 Min.

Wie schätzen Sie nach den ersten Amtshandlungen der neuen griechischen Regierung die Chancen für eine Einigung Athens mit den europäischen Partnern und internationalen Gläubigern ein?
Es gibt zwei Möglichkeiten, das Verhalten der griechischen Regierung zu interpretieren: Entweder es ist auf den Mangel an Regierungserfahrung zurückzuführen oder sie haben versucht auszutesten, wo die roten Linien bei der EU liegen. Dass man das öffentlich zelebriert, ist nicht die geschickteste Art der Diplomatie und war auch nicht besonders erfolgreich. Außer Zypern vielleicht gibt es kein Land, das Griechenland in seinen Maximalforderungen unterstützt. Sowohl Herr Varoufakis als auch Herr Tsipras mussten zurückrudern. Was sie erreicht haben, ist, dass die Europäische Zentralbank (EZB, d.R.) die Ausnahmeregelung, die sie für Griechenland gemacht hat und die ganz entscheidend war, um die kriselnden Banken liquide zu halten, kassiert hat.

Sie meinen also, dass Athen einen Konfrontationskurs gefahren ist, der in der aktuellen Lage auch keine Chance dafür bot, wirklich etwas zu erreichen?
Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich glaube, jeder hat Verständnis für die Situation des neu gewählten griechischen Ministerpräsidenten. Es gibt auch eine grundsätzliche Bereitschaft, auf die Griechen zuzukommen. Herr Tsipras hat wiederum zugesichert, dass Griechenland den Euro behalten und sich grundsätzlich an die mit der EU getroffenen Abmachungen halten möchte. Gleichzeitig schmeißt er gleich mal die Troika raus und damit die EZB als diejenige Akteurin, auf deren Flexibilität mit Blick auf die Auslegung von rechtlichen Regelungen Griechenland angewiesen ist. Dann braucht sich die griechische Regierung nicht wundern, wenn die EZB ihrerseits die Zusammenarbeit aufkündigt. Die Kompromissbreitschaft, die es bei den europäischen Staats- und Regierungschefs gegeben hat, ist damit erst einmal aufgebraucht. Jetzt muss die griechische Regierung wieder von vorne anfangen und mit konkreten Kompromissvorschlägen kommen.

Tanja Börzel

Tanja Börzel (Jg. 1970) ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Europa-, Governance- und Diffusionsforschung. Sie ist Inhaberin des Jean Monnet Lehrstuhls und Leiterin der Arbeitsstelle Europäische Integration an der Freien Universität Berlin. Über die Verhandlungen Griechenlands mit der EU sprach mit ihr für »nd« 
Katja Herzberg.

Diese Woche bietet dafür die Gelegenheit. An diesem Mittwoch tagt die Euro-Gruppe, am Donnerstag treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs, auch um über Griechenland zu sprechen. Was erwarten Sie?
Wenn die griechische Regierung klug ist, hat sie die Signale verstanden. Alles deutet darauf hin. Herr Varoufakis hatte nach dem Gespräch mit Herrn Schäuble am Donnerstag gesagt, dass Griechenland grundsätzlich bereit wäre, sich an die Abmachungen zu halten und dass es auch ein neues Hilfspaket geben müsste, dass Griechenland aber nicht das alte Paket einfach verlängern möchte. Damit ist die Grundlage für eine Kompromisslinie gelegt, zumal Herr Varoufakis auch gesagt hat, in welche Richtung das Entgegenkommen der Europäischen Union gehen sollte, was Korruptionsbekämpfung angeht zum Beispiel und die stärkere Besteuerung höherer Einkommen. Das sind alles Dinge, die die Europäische Union schon immer angemahnt hat. Aber die bisherigen griechischen Regierungen haben sehr einseitig gespart, immer zu Lasten des kleinen Mannes und der kleinen Frau, während die höheren und ganz hohen Einkommen verschont geblieben sind. Wenn Herr Tsipras das jetzt ändert, dann sind die Europäer die ersten, die ihn dabei unterstützen.

Das versprechen Tsipras und seine Partei SYRIZA ja. Sollte der Regierungswechsel den EU-Partnern deshalb nicht willkommen sein?
Aus europäischer Sicht ist Herr Tsipras eine Chance, in Griechenland die Zustände, die ganz wesentlich dafür verantwortlich sind, dass das Land nicht auf die Beine kommt - nämlich Korruption und zu viel Bürokratie - abzubauen. Das schafft man nicht nur mit Deregulierung und Privatisierung. Wenn also Herr Tsipras sich jetzt die Besteuerung der Besserverdienenden und die Korruptionsbekämpfung auf die Fahnen schreibt, dann ist das ganz im Sinne der europäischen Geldgeber.

Deutschland ist ein solcher und gilt vielen als Profiteur der Finanzkrise und Austeritätspolitik. Welche Rolle muss und kann Berlin bei den jetzigen Verhandlungen einnehmen?
Man macht es sich da ein bisschen einfach, immer nur mit dem Finger auf Deutschland zu zeigen. Die Euro-Gruppe hat 19 Mitgliedsstaaten, und zumindest einige von ihnen verstecken sich hinter Deutschland. Aber richtig ist auch, dass die Bundesregierung zu dem Koppelgeschäft steht: Hilfspakete ja, aber nur im Gegenzug für Reformen. Mit dieser Konditionalität wurden die Hilfspakete auch durch den Deutschen Bundestag gebracht. Wenn Griechenland nun die Regeln ändern will, dann müssen die Euro-Gruppenländer und ihre Parlamente zustimmen.

Wird sich der Pragmatismus durchsetzen oder der Konflikt weiter zuspitzen?
Beide Seiten sollten ein Interesse an einem Kompromiss haben. Der muss auch so gestaltet werden, dass Herr Tsipras mit vorzeigbaren Erfolgen nach Hause gehen kann, weil er bereits bei ganz vielen anderen Punkten einknicken musste, die primär gar nichts mit der EU zu tun haben. Damit meine ich etwa die Wiedereinstellung von Putzfrauen. Dafür werden anders als geplant in anderen Bereichen jetzt nämlich entsprechend weniger Leute eingestellt.

Sie haben angesprochen, dass es in der Vergangenheit bereits Chancen gab, die nötigen Reformen in Griechenland, aber auch auf europäischer Ebene in die Wege zu leiten. Hat die EU genug getan, um nicht nur diese Krise jetzt zu bewältigen, sondern auch weiteren vorzubeugen?
Ich finde schon, dass da einiges passiert ist. Es ist wahrscheinlich immer zu wenig und zu spät, aber einer der Gründe, warum die europäischen Entscheidungsträger - sowohl die Mitgliedsstaaten als auch die Vertreter der Troika - relativ gelassen auf die Maximalforderungen der Griechen reagiert haben, hängt damit zusammen, dass die Angst vor einem Grexit und einem daraus folgenden Flächenbrand nicht mehr besteht. Das liegt unter anderem daran, dass wir nun die Bankenunion haben. Aber das Problem der asymmetrischen Schocks bleibt.

Warum wird die Währungsunion also nicht um eine gemeinsame Wirtschaftspolitik ergänzt?
Dafür wären Vertragsänderungen notwendig. Das ist aber ein sehr langer Prozess, zumal mit jetzt 28 Mitgliedsstaaten. Bis der letzte Vertrag, der Vertrag von Lissabon, durch war, hatte es zehn Jahre gedauert. Die Debatten werden weitergehen. Die Europäische Union muss etwa angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und vor allem Jugendarbeitslosigkeit reagieren. Im Rahmen ihrer Kompetenzen wurde schon viel versucht.

Nun gibt es den Investitionsplan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Aber einfach mehr Geld auszugeben, ist nicht die Lösung. Das kann die öffentliche Hand allein nicht stemmen, es müssen auch private Geldgeber gewonnen werden. Und das ist momentan in Ländern wie Griechenland ein echtes Problem. Denn nicht nur die griechische Wirtschaft ist marode, sondern auch der Staatsapparat. Mit Herrn Tsipras haben wir jetzt endlich jemanden an der Regierung, der das angehen will.

Das heißt, zunächst besteht eine echte Chance für Griechenland, das Land zu reformieren, aber längerfristig auch darauf, dass die EU als politisches Projekt vorankommt?
Ja, klar. Wenn wir die Krise in den Griff bekommen, bringt das auch das politische Projekt EU voran. Und ich möchte betonen: Ich finde die Solidarität gerade auch seitens der deutschen Wählerinnen und Wähler, auch angesichts der Pegida-Proteste, bemerkenswert. Die europäische Identität ist offensichtlich so belastungsfähig, dass wir bereit sind - wenn auch konditional im Gegenzug für Reformen -, uns solidarisch zu zeigen. Und ich finde, das ist ein positives Zeichen für Europa.

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