Athen will mit Schweiz über Steuerhinterzieher reden

Bericht: Griechenland hat bis 8. April genug Geld / Griechen hierzulande zunehmend Beleidigungen ausgesetzt / Premier Tsipras: Sondertreffen »von Erfolg gekrönt« - aber »nicht alle Differenzen ausgeräumt«

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Update 19 Uhr: Die SYRIZA-geführte Regierung in Athen will mit der Schweiz über unversteuertes Geld auf eidgenössischen Bankkonten reden. Der für internationale Finanzfragen zuständige Staatssekretär Jacques de Watteville werde kommende Woche zu Gesprächen nach Athen reisen, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums in Bern am Samstag. Es sind die ersten Gespräche über das griechische Schwarzgeld in der Schweiz seit dem Amtsantritt von Regierungschef Alexis Tsipras Ende Januar. Wie die Schweizer Zeitung »Tages-Anzeiger« am Samstag berichtete, horten griechische Bürger insgesamt 1,5 Milliarden Franken (1,4 Milliarden Euro) auf Schweizer Bankkonten. Ein Teil dieser Gelder ist demnach unversteuert. Der Ministeriumssprecher wollte die in dem Bericht genannte Summe allerdings nicht bestätigen. In den vergangenen Tagen war in Schweizer Medien darüber spekuliert worden, warum sich das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland nicht um die Schwarzgeldmillionen in der Schweiz kümmert. Zuletzt hatte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf im Februar 2014 mit ihrem damaligen griechischen Kollegen Giannis Stournaras über das Thema gesprochen. Am Freitag hatte Tsipras dann beim EU-Gipfel in Brüssel baldige Verhandlungen mit der Schweiz angekündigt, um über ein »Abkommen über die Gelder von Griechen in der Schweiz« zu reden.

Update 18 Uhr: Die SYRIZA-geführte Regierung in Griechenland verfügt laut einem Zeitungsbericht noch bis zum 8. April über genügend Geld zur Begleichung ihrer finanziellen Verpflichtungen. Die EU-Kommission geht nach internen Berechnungen davon aus, dass Athen Ende des Monats Löhne und Gehälter voll auszahlen kann, wie die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« unter Berufung auf Diplomaten berichtete. Vom 9. April an wird dem Bericht zufolge die finanzielle Situation der griechischen Regierung in der EU-Kommission als »kritisch« eingestuft. Das Land muss dann eine Kredittranche in Höhe von 467 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Mitte April müssen außerdem kurzfristige Staatsanleihen im Wert von 2,4 Milliarden Euro refinanziert werden. Die Berechnungen beruhen laut »FAS« auf neuen Zahlen der Fachleute der EU-Kommission in Athen. Die Kommission unterstellt demnach bei ihrer Kalkulation, dass die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras auch auf Barmittel der Sozialkassen und staatlicher Unternehmen zurückgreift. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür wurden in der vergangenen Woche geschaffen.

Update 16 Uhr: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat der neuen Regierung in Athen angeboten, deutsch-griechische Jugendprojekte auszuweiten. »Meine Hand ist ausgestreckt«, sagte Wanka der »Neuen Osnabrücker Zeitung« vom Samstag. Nach einem guten Start wolle sie erfolgreich laufende Programme fortsetzen. Das Problem sei, dass seit den Neuwahlen in Griechenland vor knapp zwei Monaten die neuen Ansprechpartner in Forschung und Berufsbildung noch nicht bekannt seien. »Die Abstimmung weiterer konkreter Schritte für die Zusammenarbeit steht deshalb aus«, sagte Wanka. In Athen ist nach ihren Worten 2013 ein neues Berufsbildungsgesetz verabschiedet worden. Die Bundesregierung wolle die Zukunftschancen junger Griechen unterstützen. Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland von über 50 Prozent habe das Bildungsministerium im September 2013 deutsch-griechische Pilotprojekte unter anderem im Tourismusbereich gestartet. So hätten im Berufsschuljahr 2014/2015 in Athen und auf Kreta duale Ausbildungsgänge begonnen, sagte Wanka. Seit Oktober 2013 werde die deutsch-griechische Auslandshandelskammer bei der Ausbildung von Kfz-Mechatronikern oder Industriekaufleuten unterstützt. Zehn Millionen Euro fließen laut Wanka in 20 gemeinsame Projekte in der Gesundheits- und Energieforschung sowie der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Update 9 Uhr: Die SYRIZA-geführte Regierung in Athen will mit einem Gesetz die hohen Steuerrückstände eintreiben. Das Parlament in Athen verabschiedete am Samstag einen entsprechenden Entwurf von Finanzminister Yanis Varoufakis, der deutlich geringere Strafen und lange Rückzahlungsmöglichkeiten vorsieht - in der Hoffnung, dass die auf 76 Milliarden Euro geschätzten Rückstände wenigstens zu einem Teil beglichen werden. Der Betrag summiert sich auf etwa 42 Prozent der Wirtschaftsleistung Griechenlands. Die Regierung in Athen rechnet damit, rund neun Milliarden Euro einzutreiben. Man habe sich zum Ziel gesetzt, eine »neue Kultur der Einhaltung der Steuervorschriften« zu schaffen, hieß es.

Update 8.05 Uhr: Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat davor gewarnt, die Schuldenkrise Griechenlands mit dem Streit über Reparationszahlungen oder Zwangskredite aus dem Zweiten Weltkrieg zu verknüpfen. »Im Kern muss man das gesondert klären. Ich glaube nicht, dass da ganz schnelle Lösungen zu erwarten sind«, sagte Riexinger vor dem Deutschlandbesuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras der Deutschen Presse-Agentur. Athen fordert von der Bundesregierung die Rückzahlung eines 1942 abgepressten Zwangskredits und Reparationen für von Nazi-Deutschland begangenes Unrecht. »Die Bundesregierung muss sich auf den Weg des Dialogs und des Rechts begeben«, sagte Riexinger dazu. »Auch bei der deutschen Bevölkerung gibt es einen Stimmungswandel, so dass sich mittlerweile auch Grüne und SPD dem anschließen.«

Update 7.45 Uhr: Im Streit um die Finanzhilfen für Griechenland hat die Vereinigung deutsch-griechischer Gesellschaften die Bundesrepublik zu mehr Nachsicht aufgerufen. »Griechenland muss eine realistische Chance bekommen«, sagte die Präsidentin der Vereinigung, Sigrid Skarpelis-Sperk, am Freitag. Deutschland dürfe gegenüber Griechenland nicht auf einem Kürzungsprogramm bestehen, das dort bereits »viel Elend« ausgelöst habe, mahnte die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. Skarpelis-Sperk sagte, es sei inzwischen zu beobachten, dass die in Deutschland lebenden Griechen im Alltag zunehmend Beleidigungen ausgesetzt seien. Der Bundesregierung warf sie vor, mit »Selbstgerechtigkeit« die eigene ökonomische Sicht zur Lösung der Krise als die einzig richtige Perspektive anzusehen.

Griechenland brauche mehr Luft zum Atmen und mehr Investitionen, damit das Land aus der Krise komme. Am Wochenende findet die jährliche Mitgliederversammlung der Vereinigung in Mühlheim statt. Der griechische Metropolit Varnavas aus Thessaloniki, der Gast der Versammlung ist, warnte vor einer zunehmenden Verarmung in seinem Land. Viele Menschen seien zunehmend auf die Verpflegung in Suppenküchen angewiesen. Schon jetzt liege die Jugendarbeitslosigkeit bei rund 50 Prozent. Immer mehr gut ausgebildete junge Griechen verließen ihr Land. Allein im vergangenen Jahr hätten 8.000 Ärzte ihre griechische Heimat verlassen.

Nach Angaben der Vereinigung leben in Deutschland derzeit rund 750.000 Griechen - die meisten von ihnen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Auf ihrer Mitgliederversammlung will die VDGG, der bundesweit 45 Gesellschaften angehören, dem Auswärtigen Amt eine gemeinsame Tagung zur Zukunft der Jugend in Europa vorschlagen. Wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern drohe eine »verlorene Generation« heranzuwachsen.

Premier Tsipras: Sondertreffen »von Erfolg gekrönt« - aber »nicht alle Differenzen ausgeräumt«

Berlin. Die SYRIZA-geführte Regierung in Athen hat nach eigenen Angaben keine Schwierigkeiten, ihre Kreditverpflichtungen zu bedienen und den Staat am Laufen zu halten. Es gebe »kurzfristig keinerlei Liquiditätsproblem«, sagte Tsipras am Freitag. Zahlungen an Bürger und Institutionen seien »vollkommen sicher«, ebenso wie die Einlagen bei den griechischen Banken. Die Bemühungen bei dem Sondertreffen am Rande des EU-Gipfels seien aus seiner Sicht »von Erfolg gekrönt«, auch wenn »nicht alle Differenzen ausgeräumt« worden seien, sagte Tsipras. Vereinbart sei, die Reformliste so schnell wie möglich vorzulegen, es sei aber bewusst kein genauer Tag genannt worden. Darauf solle dann ein Treffen der Euro-Finanzminister angesetzt werden, »um die finanziellen Schwierigkeiten zu beseitigen«. Merkel habe ihm bei dem Treffen gesagt, es sei »besser miteinander zu sprechen, als dass andere über uns sprechen«, so Tsipras. Der SYRIZA-Chef zeigte sich auch selbstkritisch. »Wir sind eine neue Regierung, das muss sich noch einschleifen«, sagte er. Zudem bewege sich seine Regierung vielfach »in unerforschten Gebieten«.

SYRIZA in Umfrage bei fast 50 Prozent
Athen kann auf zwei Milliarden aus EU-Fonds hoffen / Griechenland zahlt fristgemäß an IWF zurück und soll Reformliste verlängern / EU-Kommissionschef Juncker will Geld aus EU-Strukturfonds für Sozialprogramme freimachen - der Newsblog vom Freitag zum Nachlesen

Griechenland hatte am Freitag fristgemäß Kredite von 348,5 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds sowie kurzfristige Staatsanleihen im Wert von 1,6 Milliarden Euro zurückgezahlt. In den kommenden Wochen und Monaten werden aber deutlich höhere Beträge fällig, die Athens Finanzkraft übersteigen dürften. Die griechische Regierung versucht deshalb derzeit mit den europäischen Gläubigern die Voraussetzungen für die Auszahlung von Kreditgeldern aus dem verlängerten Programm zu schaffen. Beim Sondertreffen wurde dazu vereinbart, dass Athen in den kommenden Tagen eine vollständige Liste mit Reformen vorlegt. Ein genaues Datum nennt die nur fünf Sätze umfassende gemeinsame Erklärung der Präsidenten von EU-Rat, Kommission und Eurogruppe nicht. Sie verweist darauf, dass Athen die volle Hoheit über diese Maßnahmen habe – ein Erfolg von SYRIZA, die stets auf eine Abkehr vom verhassten »Memorandum«, also den bisherigen Verpflichtungen, gedrängt hatte.

Griechenland kann dann mit neuen Auszahlungen rechnen, auch bevor alle vereinbarten Maßnahmen vom Parlament in Athen auch verabschiedet sind. Einiges solle zuvor rechtlich umgesetzt werden, anderes könne »auf einer Zeitachse vereinbart« werden, sagte Angela Merkel am Freitag in Brüssel. Bisher hatte vor allem Berlin darauf gepocht, dass erst Vereinbarungen erfüllt sind, bevor die noch verfügbaren Tranchen überwiesen werden. Es handelt sich kurzfristig um 1,8 Milliarden Euro aus dem Kreditprogramm und 1,9 Milliarden Euro Zinsgewinne der Europäischen Zentralbank aus Geschäften mit griechischen Staatsanleihen. Zudem kann Griechenland im Kampf gegen die soziale Krise auf EU-Gelder hoffen. Im Budget der Europäischen Union stünden für 2015 noch etwa zwei Milliarden Euro für Griechenland bereit, sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat nach dem Sondertreffen von Fortschritten gesprochen - zugleich aber erneut den Zeigefinger in Richtung Athen erhoben. Die Gespräche am Rande des EU-Gipfels in Brüssel hätten »ohne jeden Zweifel« Fortschritte gebracht, sagte Schulz der »Passauer Neuen Presse«. Der SPD-Politiker zeigte sich überzeugt, dass Griechenland weiter Mitglied der Eurozone bleibt, wenn Athen in den nächsten Tagen »die notwendigen Hausaufgaben«erledige. Schulz betonte zudem, die neue griechische Regierung sei zwar nicht schuld am Zustand des Landes. Dennoch habe sie es in den letzten Wochen geschafft, »in erstaunlich viele Fettnäpfchen zu treten«. Der Vertrauensverlust sei erheblich, sagte Schulz.

Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) streute ebenfalls erneut Zweifel an der Verlässlichkeit Griechenlands. Mit Blick auf die jüngsten Zusicherungen von Tsipras, die geforderten Reformen zügig umzusetzen, sagte Söder dem »Tagesspiegel«: »Das hat Griechenland bisher jedes Mal zugesagt und wenig geliefert.« Er sei »gespannt, wie es diesmal wird«.

Auch in der CDU wurden Zweifel ausgesprochen, ob Griechenland diesmal bei seinen Reformvorschlägen konkreter wird. »Was soll in einer neuen Liste denn drinstehen?«, sagte der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand in der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), der »Rheinischen Post«. »Bei mir hat die griechische Regierung schon jegliches Vertrauen zerstört.« Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sagte der Zeitung: »Wenn Athen jetzt nicht im Hinblick auf tragfähige Reformen konkret wird, wird es eng für Griechenland.«

Der Vorsitzende der Rechtspartei AfD, Bernd Lucke, sagte mit Blick auf die in Aussicht gestellten Gelder aus den EU-Fonds für soziale Maßnahmen in Griechenland, diese Milliarden seien »ein weiteres Eingeständnis des Scheiterns der Eurorettungspolitik. Die Tatsache, dass die EU nun schon eine Art humanitäre Hilfe leisten muss, um die Folgen der Eurorettung abzumildern, ist erschreckend. Humanitäre Hilfe empfangen normalerweise Entwicklungsländer der Dritten Welt«. Zugleich erneuerte der AfD-Politiker die Forderung seiner Rechtspartei, »dass Staaten wie Griechenland den Euroraum verlassen müssen«. nd/Agenturen

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