Essen müssen die Leute schließlich

Milchautomaten und Obstanbau auf besetzten Flächen - die griechische Landwirtschaft sucht Wege aus der Krise

  • Thembi Wolfram
  • Lesedauer: 6 Min.

Um elf Uhr an einem Wochentag ist Hochzeit auf der Varvakios Agora, einer von Athens ältesten Bauernmärkten in einer antiken Halle im Stadtzentrum. Grelle Glühbirnen werfen ein surreales Licht auf die wackeligen Metallstände, auf Schweinelebern, Rindersteaks, von der Decke baumelnde Hühnerinnereien. Kalimera, Hello, ein paar kräftige Schweinerippchen vielleicht? Händler in blutigen Schürzen drängeln sich um jeden Kunden. In einem geflochtenen Korb liegen Ziegenköpfe zu einem Euro das Stück, ein Schweinskopf kostet fünf Euro. Die Marktbesucher, vorwiegend alte Männer, lamentieren konzentriert mit den Händlern und Großeinkäufer schlängeln sich mit ihren Motorrädern zwischen den Ständen hindurch. Ein Hackebeil saust auf einen großen Knochen und ein vollgestopfter Fleischwolf wartet auf seinen nächsten Einsatz. In einem Hinterzimmer baumelt ein ganzes Schwein von der Decke, eine Traube aufgebrachter Männer hat sich darum versammelt.

Wer schon genug verkauft hat, schert aus dem Chor der singenden und brüllenden Händler aus und gönnt sich eine selbstgedrehte Zigarette oder einen Schwatz mit dem Nachbarn. Wie laufen denn die Geschäfte? Gut. Und die Krise, werden die Kunden nicht geiziger? Schulterzucken. Essen müssen die Menschen schließlich, ob Krise oder nicht.

Ein paar Schritte weiter, auf dem Fischmarkt verkauft der 30-jährige Suleyman Suleyman seit den frühen Morgenstunden griechischen Fisch. Kalmare und Doraden drängen sich in seinen Auslagen, es riecht nach abgestandenem Eis und frischen Muscheln. Der Boden ist rutschig vom tropfenden Eis. »Seit der Krise sind weniger Kunden da, es gibt weniger Fisch, der Einkauf wird teurer. Nur unsere Preise sind gleich geblieben«, versichert er. Die Kunden an seinen Stand zu locken, erfordert Konzentration. Am Nachbarstand verkauft Dimitris schließlich die exotischeren und günstigeren Fische aus Übersee, die Languste für 13 Euro. Suleyman Suleyman lächelt entschuldigend, dreht sich wieder um und winkt einem vorbeilaufenden Herren mit einer Flunder.

Die Krise hat der griechischen Landwirtschaft hart zugesetzt. Mit den Sparmaßnahmen wurden auch Subventionen in der Landwirtschaft gekürzt. Unter dem Druck der Troika verabschiedete das Parlament außerdem eine Grundsteuer, die erstmals auch für Landwirte galt. Als im Jahr 2014 mit den Steuern erneut die Produktionskosten stiegen, während die Preise für Grundnahrungsmittel immer tiefer fielen, kamen viele Landwirte in Existenznöte. Sie versammelten sich in der Innenstadt Athens zu Großdemonstrationen und blockierten die Straßen mit ihren Traktoren. Der jetzige Premierminister Alexis Tsipras versprach im Wahlkampf, die Maßnahmen der Vorgängerregierung zurückzunehmen, um die Landwirte zu entlasten.

Was erwarten die griechischen Bauern vom neuen Premier? »Stabilität und Sicherheit«, sagt Ioannis Kolyvas, Generaldirektor von PASEGES, dem größten Bauernverband Griechenlands. Die Krise spüre jeder Landwirt noch immer jeden Tag. »Die Banken haben kein Geld, die Bauern können keine Kredite aufnehmen und kein Saatgut, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel kaufen. Das ist ein Problem.« Vor allem zwei Sektoren habe die Krise hart getroffen: Von fünf Zuckerrübenfabriken steht nur noch eine. Im Norden des Landes, wo außer Tabakpflanzen nicht viel gedeiht, liegen nun mehr als drei Viertel der Felder brach. »Wir dürfen auf keinen Fall die Unterstützung der EU verlieren. Wir bekommen zwei Milliarden Euro Subventionen, darauf sind wir angewiesen.« Auch auf die Entspannung der griechisch-russischen Handelsbeziehungen hofft der Bauernverband: »Bald ist Erdbeerzeit. Durch das Embargo auf EU-Waren können wir keine Erdbeeren an unseren Hauptabnehmer Russland exportieren«, sagt Kolyvas.

Andreas Karasyllis, ein Milchbauer aus Larissa, hatte von der finanziellen Unsicherheit, die seit der Finanzkrise den Alltag der Landwirte bestimmt, irgendwann genug. Vor zehn Jahren hatte er als Softwareentwickler in Deutschland das Handtuch geworfen und zog auf den Milchbauernhof seines Vaters im kleinen Larissa, etwa vier Autostunden von Athen entfernt. Karasyllis übernahm die Geschäfte von seinem Vater. Er produzierte, verbesserte, plante, investierte, bis vor fünf Jahren 120 Kühe in seinem Stall standen. Für griechische Verhältnisse war er damit ein Großbauer - er hatte trotzdem nichts von seinem Erfolg. Die Milchpreise stürzten, Zwischenhändler und Supermärkte wollten für seine Liter immer weniger bezahlen. Gleichzeitig stiegen die Produktionskosten. Karasyllis hörte, dass es den anderen Milchbauern in Larissa genauso ergeht. Zusammen mit einigen Kollegen gründete er die erste Milchbauerngenossenschaft »ThesGala«, wurde Vorstand und verhandelte mit der Milchindustrie über faire Preise. »Zwei Jahre lang. Dann haben wir aufgegeben«, sagt Karasyllis. Mitten in der Krise, im Jahr 2010, kommt den Genossenschaftlern die rettende Idee: »Wir haben gedacht, wir machen es eben ohne die Industrie. Wir verkaufen selbst.«

So werden die Milchautomaten geboren. 100 Milchbauern aus Nordgriechenland schließen sich der Genossenschaft an. Sie mieten eine Handvoll kleiner Ladengeschäfte im Städtchen Larissa. Durch die Krise gibt es viel Leerstand und die Geschäftsräume sind günstig zu haben. Einen Teil ihrer frischen Milch pumpen die Bauern seitdem nicht mehr in die Milchlaster der Zwischenhändler, sondern in die glänzend blauen Maschinen, die wie Coca-Cola-Automaten aussehen. Mit einer Klappe, aus der pasteurisierte, unbehandelte Milch aus der Region in mitgebrachte Gläser und Flaschen gefüllt wird - die kostet sogar ein paar Cent weniger als im Supermarkt. »Milchautomaten gibt es auch in anderen Ländern. Aber wir haben in die Infrastruktur investiert und sie direkt zu den Menschen gebracht, mitten in die Städte.« sagt Karasyllis.

In Larissa spricht sich die Initiative der Genossenschaft schnell herum. Die Presse berichtet, die Automaten rentieren sich und Karasyllis und seine Kollegen können expandieren. »Plötzlich war da Stabilität, die Preise blieben gleich, und wir konnten unsere Ausgaben zwei Monate im Voraus planen« sagt er.

Heute stehen 14 Automaten in Larissa, noch einmal so viele in Thessaloniki. 120 Tonnen Milch pumpen die Bauern hinein. Zwischen 300 und 400 Griechen füllen jeden Tag ihre Flaschen. Karasyllis ist zufrieden mit »ThesGala«, aber über die Krise hinweg ist sein Betrieb noch nicht: Die Milchkühe brauchen ein neues Gebäude. Er sei solvent, trotzdem wolle keine Bank einen Baukredit geben. »Aber ich bin Optimist. Wir werden einen gemeinsamen Weg finden.«

Auch die Athener Stadtbewohner haben unterdessen kreative Wege gefunden, mit der Krise umzugehen. Immer wieder finden sich Nachbarschaftsinitiativen zusammen, um auf stillgelegten oder verlassenen Flächen in der Stadt »Urban Farming« zu betreiben - also auf kleinen Feldern gemeinsam Obst und Gemüse für den eigenen Verbrauch anzubauen. Im lebendigen Studenten- und Künstlerviertel Exarchia besetzte eine Gruppe im Jahr 2012 sogar gegen den Widerstand der Stadt einen kleinen Platz. Der sollte eigentlich zubetoniert und zum Parkplatz umgestaltet werden, jetzt wachsen dort Tomaten, Oliven und Zitrusfrüchte. Noch sind die Nachbarschaftsgärten verlassen und liegen unter ihren Winterdecken. Was aus den Ansätzen zum gemeinschaftlichen Landwirtschaften erwächst, zeigt sich wohl erst in den kommenden, wärmeren Monaten.

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