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Spannung und Fakten

Waldtraut Lewin erzählt, wie Eliane Loew sich auf ein Flüchtlingsschiff rettete

  • Christel Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich bin Eliane Loew, eine Jüdin. Ich trage keinen Stern. Nein, ich trage euren Stern nicht.« Diese Sätze hat die Mutter ihr eingeprägt - ein Schibboleth, ein Losungswort, das Zugehörigkeit und Identität benennt und das für Eliane Überlebenswert hat. Denn bald sind die Eltern abgeholt worden und das elfjährige Mädchen ist allein, wird in Kellern, Bodenräumen oder Lauben versteckt, bis nach langer Zeit niemand mehr kommt, um Wasser und Brot zu bringen. Da öffnet sie die Tür zum Nachbarkeller, gerät in die Trümmerlandschaft Berlins, wo irgendwo unter Bäumen drei uniformierte Männer feiern und singen. Der Krieg ist aus ... - Waldtraut Lewin hat die Geschichte dieses Mädchens erfunden, und sie erspart dem jugendlichen Leser nichts: Nichts von den Grausamkeiten, die das Mädchen und ihr Volk während des Faschismus erlitten, nicht die vielfältigen Reaktionen einzelner, die Not des Kindes für sich auszunutzen. Sie schickt im ersten Teil des Buches Eliane auf die Suche danach, wer sie ist und wer ihr bestätigen kann, dass sie Eliane Loew heißt.

Fast scheitert sie, bis ein glücklicher Zufall alles zu wenden scheint. Mit Hilfe einer List könnte es gelingen, dass das Mädchen Deutschland verlässt und nach Palästina gelangt, wohin schon ihre Eltern wollten.

Der zweite Teil des Buches handelt von der Reise der nunmehr jungen Frau 1947 an Bord der »Exodus«, eines Flüchtlingsschiffes, das über 4000 Juden illegal aus Europa nach Eretz Israel bringen will, organisiert von der jüdischen Widerstandsorganisation Hagana, verfolgt von sechs britischen Kriegsschiffen, die kurz vor der Landung das unbewaffnete Flüchtlingsschiff zwingen aufzugeben, denn die britischen Besatzer erlauben die Einwanderung nicht. Es gibt Kampf, Tote, Verwundete, schließlich ergibt sich die »Exodus«. Alle Flüchtlinge gehen in Haifa von Bord und müssen in bereitgestellten Transportschiffen die Reise zurück nach Europa antreten. (All das beruht auf Tatsachen.) Nur Eliane hat Glück ...

Die Zustände auf dem Schiff erlebt Eliane hautnah: traumatisierte Überlebende aus den Lagern und Verstecken, sehr unterschiedliche Hoffnungen auf das »Gelobte Land«, Hunger, Enge, Auseinandersetzungen über einen zukünftigen Judenstaat, Kämpfe, Widerstand. Natürlich gibt es in diesem Jugendbuch auch eine erste große Liebe zum Funker Uri und Eifersüchteleien. Ein spannendes Buch, das aber eben nicht nur eine erfundene Geschichte ist, sondern mit historischem Hintergrund arbeitet, detailreich und belegt mit Fakten, die zu einem differenzierten Geschichtsbild verhelfen.

Dass es nach 1945 erhebliche Widerstände gab, jüdischen Flüchtlingen die Ausreise aus Deutschland und Europa zu gewähren und sich in Palästina anzusiedeln, dass damals wie schon oft und immer wieder Schiffe auf dem Meer trudelten, ohne ihr Ziel zu erreichen, wer weiß das heute? Wer bedenkt heute, dass die, die nach Israel wollten, oft kranke und kaputte Menschen waren, wo sie schon seit Monaten als »befreit« galten? Waldtraut Lewin zeichnet ein beeindruckendes Bild von einer verdrängten, bzw. weithin unbekannten Realität und schafft so Möglichkeiten, auch die heutige Lage besser zu verstehen.

Gleichzeitig lässt sie ihre Leser nicht mit den grausamen Beispielen aus der Vergangenheit allein, sondern verwendet immer wieder starke bildhafte Hoffnungssymbole, sei es das Schibboleth, das zum Überleben half, oder die Szene mit dem Schiff, »das singt«, und vor allem das Neugeborene, das die Flüchtlingsfrauen, die keine Milch haben, am Leben erhalten.

Waldtraut Lewin: Nenn mich nicht bei meinem Namen. Ein Mädchen an Bord der Exodus. cbj Verlag. 317 S., br., 8,99 €.

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