Ein Mutmacher

Ulrich Schneider, Generalsekretär der FIR, über antifaschistischen Kampf gestern und heute

Was kann uns die Erinnerung an diesen, über 70 Jahre zurückliegenden Kampf heute noch sagen?
Sehr viel. Zum einen verdankt sich unsere Demokratie in starkem Maße dem Kampf europäischer Antifaschisten gegen die NS-Herrschaft. Zum anderen kann der antifaschistische Widerstand auch »Mutmacher« für heute sein - für die Auseinandersetzungen mit Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Rechtspopulismus, Neofaschismus und Antisemitismus, gegen Kriegspolitik, soziale Ungerechtigkeiten, für Frieden und für eine solidarische Gesellschaft.

Auf Solidarität hoffte das griechische Volk dieser Tage vergebens. Ist das auf Druck von Berlin den Griechen diktierte, rigide Sparprogramm ein Thema in der Fédération Internationale des Résistants?
In der FIR diskutieren wir seit vielen Jahren die griechische Situation - nicht erst seit der Euro-Krise. Den Aufschwung der rechtsextremistischen Partei »Goldene Morgenröte« und die verhängnisvolle Politik der vorherigen Regierungen haben wir öffentlich kritisiert. Die FIR unterstützt vorbehaltlos die Forderung der Angehörigen von Opfern faschistischer Verbrechen nach Entschädigung wie auch die Forderung nach Rückzahlung der Zwangskredite. Was die gegenwärtige Erpressungspolitik der EU-Regierungschefs betrifft, so sind wir solidarisch mit dem griechischen Volk, das in dem Referendum deutlich »Oxi« gesagt hat.

Zur Person

Die 1951 in Wien gegründete Fédération Internationale des Résistants (Internationale Föderation der Widerstandskämpfer, FIR) ist die Dachvereinigung von Organisationen ehemaliger Widerstandskämpfer, Partisanen, Angehörigen der Anti-Hitler-Koalition, Verfolgten des Naziregimes und Antifaschisten heutiger Generationen aus über zwanzig Ländern Europas und Israels. Mit deren Generalsekretär Ulrich Schneider.

Diskussionen gibt es in der FIR aber, wie eine Gegenstrategie aussehen muss. Die Mehrheit der griechischen Verbände unterstützt die Haltung der KKE zur grundsätzlichen Abkehr von der EU, während andere FIR-Verbände für eine aktive Einflussnahme auf die europäischen Institutionen und die Zusammenarbeit mit antifaschistischen Abgeordneten im Europäischen Parlament plädieren.

Im EU-Parlament ist der Einfluss rechtpopulistischer, nationalistischer Parteien enorm gestiegen.
Gerade weil extreme Rechte und rechtspopulistische Kräfte im Europäischen Parlament deutlich an Einfluss gewonnen haben, so auch durch die Gründung einer eigenen Fraktion der vor wenigen Wochen, können wir als internationale antifaschistische Organisation nicht schweigen. Wir sind zutiefst beunruhigt. Spätestens im Frühjahr 2016 wollen wir gemeinsam mit Abgeordneten verschiedener linker und demokratischer Fraktionen ein politisches Hearing zum Thema organisieren, das der Bestandsaufnahme und der Debatte dienen soll. Das wird gewiss interessant, da in den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte über antifaschistische Strategien diskutieren. FIR erhebt keinen »Alleinvertretungsanspruch« in Sachen Antifaschismus, sondern versteht sich als ein europaweites Netzwerk, das sich anbietet, diverse antifaschistische Handlungsansätze und Aktionsformen zusammenzuführen.

Wie schätzen Sie die Erinnerungs- und Gedenkkultur an den antifaschistischen Widerstand in Deutschland ein?
Insbesondere das Jahr 2015 hat gezeigt, dass das Interesse der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und besonders der nachgeborenen Generationen an der Erinnerungsarbeit zum deutschen Faschismus ungebrochen ist. Die Monstrosität der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Massenvernichtung und die Kriegsverbrechen werden als Mahnung und Verpflichtung wahrgenommen.

Alles gut also? Keine Defizite oder Desiderata in der Erinnerung?
Doch, die gibt es. Ein Desiderat ist die Erinnerung an diejenigen Frauen und Männer, die tatsächlich und von Anfang an gegen das verbrecherische Hitler-Regime Widerstand geleistet haben. An sie wird immer noch deutlich weniger erinnert als etwa an die Opfer der NS-Rassenpolitik oder an Stauffenberg und seine Mitstreiter. Zudem fordert die schwindende Zahl von Zeitzeugen, wie zum 70. Jahrestag besonders deutlich wurde, neue Überlegungen zur Weitergabe ihres Vermächtnisses. Mit der Erarbeitung der Ausstellung »Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922 - 1945«, die in diesem Jahr bereits in Bremen, Hamburg und Berlin für jeweils mehrere Wochen gezeigt worden ist, hat FIR einen wichtigen Schritt getan. Und der dieser Tage erschienene Katalogband trägt sicherlich dazu bei, deren Inhalte und Materialien dauerhaft und an ein größeres Publikum weiterzugeben.

Nach unserer Erfahrung stoßen verschriftlichte oder vertonte Berichte von Zeitzeugen sowie von Angehörigen der zweiten und dritten Generation auf erfreulich große Resonanz. Wir werden jedoch weiter daran arbeiten müssen, öffentlich bewusst zu machen, dass es nicht nur Opfer der faschistischen Verbrechen gab, sondern Frauen und Männer mit konträren politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Überzeugungen sich selbst unter den schlimmsten Bedingungen diesen Verbrechen mutig entgegengestellt haben. Auf diese Weise möchten wir - im Sinne von Peter Gingold - vor allem jungen Menschen Mut machen, sich für eine andere, eine bessere, eine solidarischere Welt zu engagieren.

Gibt es eine Positionierung der FIR zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, die unter deutsch-faschistischer Okkupation die größten Opfer verzeichneten?
Die Einschätzung des Ukraine-Konfliktes ist innerhalb der FIR-Verbände nicht einheitlich, es gibt aber Gemeinsamkeiten. Mit großer Sorge verfolgen wir den massiven Einfluss der faschistischen Kräfte in der Regierung und auf das gesellschaftliche Leben des Landes. Wir unterstützen die Minsker Vereinbarungen, sehen aber, dass Kiew - mit Rückendeckung von politischen Vertretern der EU und der USA - diesen in vielen Punkten zuwider handelt. Wir sehen es als eine Aufgabe an, für die Einhaltung der Minsker Vereinbarungen einzutreten und die politisch Verantwortlichen der europäischen Staaten aufzufordern, ihren Einfluss auf die ukrainische Regierung zu nutzen, dass diese endlich alle darin enthaltenen Verpflichtungen umsetzt.

Zweitens fordern wir, im Dialog mit den Vertretern Russlands nach Lösungen zu suchen und nicht durch Sanktionen oder Ausgrenzung - wie bei der aktuellen parlamentarischen Versammlung der OSZE in Helsinki - die Türen zuzuschlagen.

Russland erhält beängstigenden Zuspruch von rechtsextremer Seite.
In der Tat. Ein verhängnisvolles Ergebnis ignoranter, konfrontativer Politik ist, dass sich die russische Seite auch Kräften öffnet, die zur extremen Rechten in Europa gehören oder Rechtspopulisten sind, die ihr eigenes Süppchen kochen und noch mehr Unfrieden in Europa stiften wollen. Wenn man seitens der Europäischen Union nicht will, dass russische Stellen mit solchen Gruppen konferieren, dann muss man den Dialog führen. Wir haben jedenfalls in diesem Frühjahr mehrfach das politische Gespräch mit unseren russischen und ukrainischen Kameraden und Freunden gesucht und sind auf große Dialogbereitschaft gestoßen.

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