Tillich will »Ruck der Barmherzigkeit«

CDU in Sachsen zögerlich bei neuem Kurs zu Asyl

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) fordert die Bürger zu Offenheit für Zuwanderer auf. Aus der CDU-Fraktion jedoch kommen gänzlich andere Töne.

In einer Sondersitzung des Landtags in Sachsen hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich die Bürger im Freistaat zu einem »Ruck der Barmherzigkeit« gegenüber Flüchtlingen aufgefordert und rassistische Pöbler scharf kritisiert. »Eine enthemmte Minderheit besudelt und beschämt unser ganzes Land in einer Art und in einem Ausmaß, die ich mir nicht habe vorstellen können«, sagte der CDU-Politiker. Dagegen müsse es einen »Aufstand aller in unserem Land« geben. Er räumte ein, dass die Unterbringung und Betreuung der Vielzahl von Asylbewerbern »uns an Grenzen führen« werde. Diese Aufgabe sei aber von der Gesellschaft gemeinsam zu bewältigen. Er wünsche sich dabei »weniger Vorwürfe und mehr Zusammenhalt«, sagte er.

Teile der Opposition beobachten beim Regierungschef eine seit den rassistischen Vorfällen in Heidenau veränderte Wahrnehmung. Das sei »eine Grundlage, die gemeinsames Handeln ermöglicht«, sagte Rico Gebhardt, Fraktionschef der LINKEN, die der Regierung und der Koalition aus CDU und SPD ein abgestimmtes Vorgehen beim Thema Asyl angeboten hat. Gebhardt regt einen Runden Tisch an, die Einrichtung eines Krisenstabes in der Staatskanzlei sowie den Abbau bürokratischer Hürden bei Unterbringung und Integration. Er versprach, man werde »nicht kleinkariert nach Verwaltungsfehlern suchen«. Sachsen erwecke derzeit den »fatalen Eindruck, es steuere auf einen Bürgerkrieg im Kampf der Kulturen zu«, sagte Gebhardt. Angesichts dessen solle die Landespolitik ihre »Rituale« zeitweilig außer Kraft setzen.

Diese Botschaft ist freilich bei der CDU-Fraktion ebenso wenig angekommen, wie sie den neuen Kurs ihres Regierungschefs verinnerlicht zu haben scheint. Fraktionschef Frank Kupfer drängte erneut vordergründig auf schnelle Abschiebungen und die Absenkung der Standards zur Versorgung von Flüchtlingen; diese könnten auch keinen Mindestlohn erwarten, wenn sie nicht gut genug Deutsch sprächen. Kupfer räumte zwar ein, dass es »ein rechtsextremistisches Problem« in Sachsen gebe. In den Fokus stellte er aber »Fragen von ganz normalen Bürgern, die keine Rechtsextremisten sind«. Für Kopfschütteln sorgte Kupfers Anmerkung, die muslimische Religion sei »keine Religion, die hier in Sachsen eine Heimat hat«. Volkmar Zschocke, Fraktionschef der Grünen, attestiert Tillich danach ein »Glaubwürdigkeitsproblem«. Er als Regierungschef spreche eine »Willkommenssprache«, Teile der CDU-Fraktion aber »blasen weiter kräftig in das Horn des Pegida-Populismus«. Zschocke appellierte an das Gewissen der sächsischen CDU, die sich mit Vorliebe als Erbin der friedlichen Revolution im Jahr 1989 feiert. Sie dürfte es nicht länger hinnehmen, dass »rechte ›Wir sind das Volk‹-Schreihälse« diese Parole vereinnahmen: »Mit jeder Grölparade vor einer Flüchtlingsunterkunft«, sagte der Grüne, »zerstören sie ein Stück von der Gesellschaft, für die wir ’89 gekämpft haben.«

Ein Grund für Kupfers Rede dürfte der Druck von Rechts sein, unter dem die CDU steht: durch die AfD. Fraktionschefin Frauke Petry sprach von einer »Sandmannrede« Tillichs, weil dieser den Bürgern »Sand in die Augen gestreut« habe. Sie warf der Bundespolitik vor, den starken Zuzug provoziert zu haben, indem sie »achtlos Anreize« geschaffen habe. Sie plädierte für eine stärkere Kontrolle der Außengrenzen der EU oder die Aussetzung der Freizügigkeit. In der Bundesrepublik sollten Geld- in Sachleistungen umgewandelt werden. Zudem will die AfD ein Zuwanderungsgesetz. Das Asylrecht ist laut Petry »nicht geeignet, diese Völkerwanderung zu bewältigen«.

Ein Einwanderungsgesetz sieht auch SPD-Fraktionschef Dirk Panter als notwendig an - aber mit anderer Zielrichtung. Er erinnerte daran, dass die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zwölf Millionen Vertriebene aufgenommen habe - in einer Zeit, »in der es nichts zu geben gab«. Panter wünscht sich, dass »unsere Enkel uns einmal Respekt zollen dafür, wie wir heute mit Geflüchteten umgegangen sind«.

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