Ausstieg aus dem fossilen Energiemodell

Elmar Altvater über das Weltklimaabkommen und das notwendige Ende der Wachstumsbeschleunigung

  • Elmar Altvater
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Ende der Pariser Klimakonferenz sah man die »Climate Fighters« abgespannt, aber auch unter Tränen und froh über das Ergebnis vor den Kameras. Sie haben es geschafft, ein klares Ziel vorzugeben, sich auf einen Zeitplan seiner Umsetzung zu einigen und sich sogar über die Finanzierung zu verständigen. Das ist viel im Vergleich zum Fiasko der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009. Deren Botschaft lautete schlicht: »Weiter so, nach uns die Sintflut.« Das war neoliberaler Nihilismus pur. Er hatte in Paris keine Chance. Das kann man Fortschritt nennen.

Denn immerhin haben sich 195 Staaten auf eine Reduktion des Treibhausgasausstoßes verständigen können, damit die Erdmitteltemperatur höchstens um zwei Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau ansteigt. 2°C sind viel und sehr konkret, wenn man das Fieber eines Menschen misst. Sie können über Leben und Tod entscheiden. Bei der mittleren Temperatur des Planeten Erde ist es im Prinzip nicht anders.

Doch nicht die 2°C sind es, die dem Planeten zu schaffen machen. Es sind die Wechselwirkungen der Erdsysteme von Energie und Information, von Wirtschaft und Klima und die Belastungsgrenzen der Sphären des Planeten einschließlich der Anthroposphäre von Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Die menschliche Gesellschaft und die lebendige wie unbelebte Natur sind also im Spiel und ihr, wie Friedrich Engels vor mehr als 100 Jahren schrieb, »dialektischer Gesamtzusammenhang«. Wer den unberücksichtigt lässt, läuft in die Irre. Man kann Glück haben, wie Erich Kästner sarkastisch vermerkt: »Irrtümer haben ihren Wert,/ jedoch nur hier und da./ Nicht jeder, der nach Indien fährt,/ entdeckt Amerika.« Zumeist wird nämlich nicht Amerika entdeckt, sondern nur Treibstoff verbrannt.

Womit wir wieder beim Thema des Klimagipfels wären. Die Vereinbarung der Ziele hat eine große Anstrengung verlangt, man konnte es den Verantwortlichen auf der abschließenden Pressekonferenz ansehen. Man muss ihnen Respekt zollen, auch weil sie bewiesen haben, dass »Top-down«-Formate wie auf den Klimakonferenzen zuvor nicht funktionieren und »Bottom-up«-Ansätze ausgehend von nationalen Reduktionszielen mehr versprechen.

Das ist nicht wenig. Doch nun kommen die Mühen der Ebene. Klimaziele zu beschließen ist eine Sache, doch wie sollen sie realisiert werden? Die Regierungspartei SPD hat bereits eine haarsträubende Antwort präsentiert. Noch am Tag des Pariser Beschlusses hat sie auf ihrem Parteitag dem aus Gesellschaft und Natur entbetteten Freihandel mit der Zustimmung zu TTIP Tür und Tor geöffnet. Nun hat der Schutz von Eigentumsrechten Vorrang vor allem anderen und Ölmultis können unter Berufung auf ihre im TTIP geschützten Eigentumsrechte die Nutzung, und das heißt die Verbrennung, der fossilen Ressourcen einklagen.

Fossile Brennstoffe im Boden zu belassen und mit Rücksicht auf das Klima nicht »in Wert zu setzen«, geht nicht mehr, wenn TTIP gilt. Klimapolitik wird also nicht nur mit Klimaabkommen gemacht, sondern auch mit den TTIP-Verhandlungen oder mit »European Partnership Agreements« über freien Handel.

Und wenn Vertreter von 195 Regierungen für die »Weltgemeinschaft« der Völker ein bejubeltes Abkommen erzielen, wird das vom republikanischen Mehrheitsführer im US-Senat, Mitch McConnell, am Tag darauf »in den Schredder« gekehrt. Das erinnert an des Spekulanten George Soros Beruhigung der aufgeregten internationalen »Banking Community«, als 2002 in Brasilien der »linke« Lula zum Präsidenten gewählt wurde: Im globalen System, so Soros, wählen nicht die Brasilianer ihren Präsidenten, sondern die Finanzmärkte.

Um den »Gesamtzusammenhang« kommt man nicht herum. Die Akteure der Abkommen mögen Regierungen sein, erfüllt werden sie nur, wenn andere Akteure mitziehen. Das werden sie nur, wenn die Rahmenbedingungen so gesetzt sind, dass sie dies freiwillig und bereitwillig tun. Doch warum sollen sie, wenn auch durch ein noch so breit getragenes Abkommen die Interessensgegensätze zwischen Lohnarbeit und Kapital, zwischen dem reichen globalen Norden und dem armen globalen Süden, zwischen den Bewohnern der kleinen Inselstaaten und Ländern mit fast kontinentalen Ausmaßen nicht gemildert werden? Dann spitzen sich Konflikte zu und dann muss um Rechte, die sich aus dem Klimaabkommen ergeben, gekämpft werden. Die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgassen ist vereinbart. Doch ob etwas daraus wird, hängt vom Kampf gegen die Emittenten der CO2-Moleküle ab.

Günther Anders hat 1980 in seinem Buch über die »Antiquiertheit der Menschen« bitterböse geschrieben, »dass die Welt als eine auszubeutende Mine gilt« und noch böser hinzugefügt: »Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, die geheime Verwertbarkeit der Welt zu entdecken.« Daher sind wir dabei, alles in Kapital zu verwandeln, auch die Natur zu verwerten: Die Ölreserven, die tropischen Wälder, die Ozeane, die Nano-Welt der genetischen Vielfalt und sogar mit Hilfe von CO2-Emissionsrechten die Atmosphäre, die wir als unsere Mülltonne nutzen und daraus noch einen Gewinn ziehen, indem wir uns die »Öko-Systemleistungen« bezahlen lassen.

Top-down-Klimapolitik ist gescheitert, bottom-up aber wird auch scheitern, wenn der Gesamtzusammenhang nicht beachtet und wenn manchmal naiv die widersprüchlichen Interessen im kapitalistischen Gesamtzusammenhang von Natur und Gesellschaft als Petitesse behandelt werden. Damit die vielen Akteure, die an einem Strang ziehen müssen, überhaupt zusammenkommen können, brauchen sie eine gemeinsame Grundlage. Die Minimalplattform ist der Ausstieg aus dem fossilen Energiemodell, das aber unser Leben, die Produktionsweise, unsere Denkformen und das Alltagsverhalten bestimmt.

Nach dem Pariser Abkommen kommt daher sofort die neue Aufgabe: Leben und Arbeit um die erneuerbaren Energien zu organisieren, um Kohlenstoff nicht mehr verbrennen zu müssen. Alles müsste langsamer laufen. Die SPD als Regierungspartei könnte da ein kleines Zeichen setzen, indem sie dafür sorgt, dass das nach der Klimakonferenz von Paris völlig absurde »Wachstumsbeschleunigungsgesetz«, das noch auf dem Mist der schwarz-gelben Koalition gewachsen ist, kassiert wird. Soll Paris ernst gemeint sein, ist es mit Wachstumsbeschleunigung vorbei. Und zwar endgültig.

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