Eine zivilisatorische Wegscheide

Der »Westfälische Frieden« von 1648 könnte Vorbild für ein Kriegsende in Syrien sein, meint Robert Zion.

  • Robert Zion
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Reihe von Staaten hat dem Islamischen Staat (IS) den Kampf angesagt - unter ihnen auch Deutschland. Der »Krieg gegen den Terror« hat mit IS somit einen protostaatlichen Hauptfeind - so die allgemeine Lesart in einem Großteil der Medien und der Politik im Westen wie in Russland. Doch sie ist falsch. Denn der IS ist nur ein Symptom. Eigentlich war der Dschihadismus, die militant-extremistische Strömung des Islamismus, bereits im Niedergang begriffen. Dschabhad al-Nusra, der 2012 während des syrischen Bürgerkrieges gegründete Ableger des Terrornetzwerkes Al Qaida, hat im offenen Konflikt mit dem IS bereits schwere Niederlagen erlitten. Faktisch ist IS bisher der Hauptprofiteur der Widersprüche eines Stellvertreterkrieges im Nahen Osten - eines Krieges, den wir den »Arabischen Krieg« nennen sollten -, in dem sich geostrategische und regionale Machtinteressen mit einem Modernisierungskonflikt in der islamischen Welt verschränken und in einer politischen und gesellschaftlichen Neuordnung der Region entladen.

Der Arabische Krieg ist, ähnlich dem Dreißigjährigen Krieg im Europa des siebzehnten Jahrhunderts, nur vordergründig ein Religionskrieg. Tatsächlich werden die Macht- und Interessenkämpfe unter Instrumentalisierung des sunnitisch-schiitischen Religionsgegensatzes ausgetragen. So ist das IS-Kalifat im Kern ein machtpolitisches Staatsgründungsprojekt, das nur in einem entstehenden Vakuum von sich vielfältig überlagernden Stellvertreterkonflikten möglich gewesen ist. Wer das Kalifat folglich zunächst isolieren, dann eindämmen und ihm schließlich seine politischen und protostaatlichen Grundlagen entziehen will, muss alle involvierten Global- und Regionalmächte in eine ständige Konferenz bringen.

Es bedarf einer ständigen Konferenz, in der die allgemeine Absicht eines Friedensschlusses formuliert werden muss (Vorfriedensvertrag). Erst dann kann in einem zweiten Schritt über die Schlüsselfragen des Arabischen Krieges verhandelt werden (Universalfriedenskonferenz). Dies sind mindestens die Entflechtung aller Stellvertreterkonflikte, die das Staatsgründungsprojekt IS überhaupt erst militärisch, ökonomisch und ideologisch ermöglichen. Dabei ist die Herstellung eines Kräftegleichgewichts in der Region ebenso wichtig wie das Fördern von Selbstverwaltungs- und Staatsgründungstendenzen jenseits des IS, die, wenn nicht gleich demokratischen, so doch republikanischen und konföderalen Charakter annehmen können.

Doch diese politische Neuordnung der Region ist nicht von außen herzustellen. Sie ist nur unter Beteiligung der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und unter der Bedingung eines gemeinsamen Drucks auf die Regionalmächte Türkei, Israel, Iran und Saudi Arabien gemeinsam mit den anderen, auch zivilgesellschaftlichen Akteuren auszuhandeln. Wir Europäer kennen einen solch komplexen und langjährigen Friedensprozess. Im »Westfälischen Frieden« von Münster und Osnabrück (1648), der den barbarischen Dreißigjährigen Krieg beendete, gelang es am Ende, eine neue Rechtsordnung, religiöse Toleranz und eine tragfähige politische Neugestaltung durchzusetzen.

Der Arabische Krieg ist schlicht von keiner Partei zu gewinnen. Er droht von Partikularinteressen befeuert und damit auf Dauer gestellt zu sein. Der IS könnte sich dabei sogar zu einem Destabilisierungsfaktor von globalen Ausmaßen entwickeln - das erklärte Ziel des Kalifatgründers Abu Bakr al-Baghdadi. Denn auf der obersten, geostrategischen Ebene droht die Eskalation in einen Weltkrieg. Und auf der untersten Ebene wird die Modernisierungskrise der islamischen Welt nur dann ein Ende finden, wenn dem kriegerischen Staatsgründungsprojekt der Terrororganisation friedliche Staatsgründungsprojekte entgegengesetzt werden. Es bleibt gar keine andere Möglichkeit mehr, als die politische Neuordnung der Region zu akzeptieren und dafür friedliche Lösungswege zu suchen. Denn der eigentliche Feind ist nun der Krieg.

Die Auseinandersetzung mit IS ist vielleicht sogar die erste zivilisatorische Wegscheide globaler Art, die wir erleben. Und wir täten gut daran, unsere historisch überkommenen, kriegerischen Handlungs- und Lösungsmuster zu hinterfragen und unter den Kulturräumen einander abzugleichen. Dies ist nicht unmöglich, aber unabdingbar geworden. Denn die zweite Wegscheide steht uns mit den abzusehenden Folgen des beginnenden Klimawandels ebenfalls noch bevor.

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