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Afghanistans Todesengel

Das Land am Hindukusch ist das am meisten mittels Drohnen bombardierte Land der Welt

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Mann und sein vierjähriger Neffe sterben durch einen Drohnenangriff. Von den USA werden sie bis zum Beweis des Gegenteils pauschal zu Taliban oder Terrorverdächtigen erklärt.

Die Autos waren vollkommen zerstört und ausgebrannt. Ebenso die Körper ihrer Insassen. Vierzehn von ihnen wurden getötet. So gut wie nichts blieb von ihnen übrig. Der Tatort: Die ostafghanische Provinz Kunar - ein Ort, an dem US-amerikanische Drohnenangriffe - wie an jenem Tag im April 2013 - zum Alltag gehören.

Unter den Opfern befand sich auch der vierjährige Amir. Er und sein Onkel, der 25-jährige Abdul Wahid, waren auf dem Weg in ihr Dorf, nachdem sie im nahegelegenen Asadabad ein Krankenhaus aufgesucht hatten. Naqibullah, Amirs Vater, hatte beide vorausgeschickt und wollte später nachkommen. Doch als er zu Hause anrief, um sich nach Amirs und Abdul Wahids Ankunft zu erkundigen, erfuhr er die grauenvolle Wahrheit.

»Ich konnte die Nachricht nicht ertragen und verlor meine Sinne in diesem Moment. Plötzlich kamen alle Erinnerungen hoch. Ich sah nur noch meinen Sohn und meinen Bruder vor mir, während ich in Tränen ausbrach«, sagt Naqibullah.

Afghanistan ist das am meisten von Drohnen bombardierte Land der Welt. Zu diesem Schluss kam das Bureau of Investigative Journalism (BIJ), eine in London ansässige Organisation, die sich unter anderem mit dem Drohnenkrieg beschäftigt. Allein im Zeitraum 2001 bis 2013 fanden im Land mindestens 1670 Drohnenangriffe statt. Die Opfer dieser Angriffe sind kaum bekannt. Sie bleiben namenlos und haben kein Gesicht.

Exemplarisch hierfür ist der allererste Drohnenangriff, der in Afghanistan stattfand und gleichzeitig historisch auch den ersten Einsatz einer bewaffneten Drohne überhaupt darstellt. Das Ziel des Angriffs im Oktober 2001 war Mullah Mohammad Omar, der Gründer und Führer der Taliban-Gruppierung. Während Mohammad Omar an jenem Tag aus seinem Stützpunkt in der südafghanischen Provinz Kandahar fliehen konnte, wurden Dutzende andere Menschen getötet. Wer sie waren, weiß man bis heute nicht.

Medial ist es zu einer alltäglichen Praxis geworden, jegliche Drohnenopfer als »Taliban-Kämpfer«, »Militante« oder »Terrorverdächtige« zu bezeichnen. Dies war auch in der östlichen Provinz Kunar der Fall. Nachdem Amir, Abdul Wahid und die zwölf anderen Menschen getötet worden waren, wurden sie von verschiedenen Nachrichtenagenturen kurzerhand zu militanten Kämpfern erklärt - ohne jeglichen Beweis. Das Problem für derartige Schlüsse liegt auf der Hand. Oftmals beziehen Medien ihre Informationen von offiziellen Stellen, etwa Militärs und Politikern. Da diese in Afghanistan vor allem im Interesse der USA agieren, wird nur das verlautbart, was man im Weißen Haus hören will. Und die meiste Medien übernehmen es ungeprüft.

Nachdem sich Naqibullah an das lokale Militär gewandt hatte, wurde ihm erklärt, dass sowohl sein Sohn als auch sein Bruder als getötete Taliban-Kämpfer betrachtet werden. »Dies gilt, solange Sie nicht das Gegenteil beweisen«, hieß es. »Es ist absurd und verabscheuungswürdig, dass behauptet wird, mein Bruder sowie mein Sohn, ein vierjähriges Kind, seien Taliban-Kämpfer gewesen«, so Naqibullah.

Für den Journalisten Jack Serle vom BIJ sind Militärs, Polizei und Mitglieder der Provinzregierungen die Hauptquellen für derartige »Informationen«. Oft sei allerdings nicht klar, wie sie sie erlangt haben. »Oft heißt es, dass der afghanische Geheimdienst ihnen diese Informationen zugespielt hat. Dieser wiederum erhält sie von den Amerikanern«, hebt Serle hervor.

Für Naqibullah spielt das keine Rolle. Er und viele seiner Landsleute, die dasselbe Schicksal unter den »Todesengeln«, wie Drohnen in Afghanistan genannt werden, erlitten haben, wissen, wer ihre getöteten Verwandten waren. Egal, was in den Zeitungen steht.

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