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Kein Motzen überm Gürtel

Ja, Böhmermann hat bewusst provoziert - doch schon Kindergartenkindern wird beigebracht, Provokationen zu ignorieren

Jan Böhmermann hat seine nächste Sendung abgesagt. Dabei ist der Streit um Satirefreiheit nicht ihm anzulasten, sondern der sich Erdoğan unterwerfenden Kanzlerin, für die sich der bewusste Tritt ins Fett nicht mal lohnt.

Es vergeht kein Tag ohne neue Entwicklungen im Fall des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann und seines berüchtigten Schmähgedichts. Seine nächste Sendung hat er am Dienstag abgesagt, laut ZDF aufgrund »massiven öffentlichen Drucks«. Vorher hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Strafantrag wegen Beleidigung gestellt. Die deutsche Bundesregierung prüft nun den Wunsch nach Strafverfolgung. Das werde ein paar Tage dauern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert - der Mann, der aus einer Zote erst die Affäre werden ließ.

Ja, Böhmermann hat bewusst provoziert, doch schon Kindergartenkindern wird beigebracht, Provokationen zu ignorieren. Das ist meist der beste Weg, sie zu stoppen. Stattdessen wurde Böhmermann vorgeworfen zu beleidigen - und das auch noch unter der Gürtellinie. Sein Gag beruhte aber nun mal auf dieser Prämisse. Er nutzte den juristischen Begriff der Schmähung. Wenn er dann nicht heftig schmäht und beleidigt, hat der Witz keine Pointe mehr.

Das darf man genial oder uninspiriert finden, komisch oder langweilig. Auch die Kanzlerin darf das. Nur muss sie das nicht dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu ins Telefon säuseln und dann Seibert genau diesen Fakt ungefragt verlauten lassen. Davon erhoffte sich die Regierung angeblich, ein Strafverlangen seitens der Türkei zu verhindern. Nun ist es doch dazu gekommen. Ins Fettnäpfchen zu treten, hat sich also nicht einmal gelohnt für Angela Merkel.

Auf Feuilleton-Seiten - auch denen des »nd« -, wurde suggeriert, Böhmermann habe auf Kosten Erdoğans nur für seine kleine Sendung werben wollen. Schließlich kenne nun jeder seinen Namen. Dabei schauen meist keine 100 000 Nutzer seine Youtube-Videos. Nur selten - wenn sie gut sind wie bei »Ich hab Polizei« auch mal 13 Millionen. Von Böhmermanns Schmähgedicht hatte bis zu Seiberts erster Erwähnung also kaum jemand etwas mitbekommen. Berühmt wurde es erst durch die Diskussion, ob Merkel sich bei Erdoğan dafür entschuldigen darf.

Natürlich war längst bekannt, dass die Kanzlerin die Menschenrechte der Kurden für ihre eigene Flüchtlingspolitik opfert. Neu ist nun aber, dass sie das auch mit der deutschen Meinungs- und Satirefreiheit tut. Der Skandal ist nicht das ach so pubertäre Gemotze Böhmermanns, sondern die neue Dimension der Unterwerfung Merkels gegenüber dem autoritären türkischen Staatschef.

Sicher gibt es bessere Satiriker, die eine Verbreitung verdient hätten, wie sie nun Böhmermann genießt. Doch die geben nun mal keinen Anlass dafür, die Satirefreiheit zu verteidigen, da sie sich brav innerhalb ihrer Grenzen bewegen. Und wenn sie doch mal ausbrechen, bekommt es keiner mit. Oder man ignoriert sie eben.

Dass der Hype nicht Böhmermann anzulasten ist, sondern der Bundesregierung, zeigt übrigens ein weiteres Schmähgedicht, das das »Titanic«-Magazin als Unterstützung für den ZDF-Kollegen veröffentlichte. Es geht auch unter die Gürtellinie - die von Merkel, nur spricht niemand darüber. Wahrscheinlich weil die Kanzlerin die Verfasser nicht verklagt.

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