Von Pentagon bis Panama

Eine Ausstellung im Dortmunder Hartware MedienKunstVerein beschreibt Widerstände im digitalen Zeitalter

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.

Was haben die Whistleblower Edward Snowden und Chelsea Manning, das Electronic Disturbance Theater, Wikileaks-Gründer Julian Assange, die reaktionären Terroristen Theodore Kaczynski und Anders Breivik sowie die Mediengruppe Bitnik gemein? Sie alle finden nebst ihren Werken, Aktionen, Gerätschaften, Motiven, Ideen sowie deren etwaiger Pervertierung Platz in der Ausstellung »Von Whistleblowern und Vigilanten: Widerstand im digitalen Zeitalter« des Dortmunder Hartware MedienKunstVerein. Und das ergibt sogar Sinn - wenn man vielleicht vom Mörder Breivik absieht.

Es geht in der dritten Etage des Dortmunder »U«, einer ehemaligen Brauerei, schließlich um Widerstände: gegen die digitale Revolution, gegen deren Schattenseiten, mitunter aber unter Ausnutzung ihrer Errungenschaften. Und die Ausstellung, sie leistet selbst teil-digitalen Widerstand: gegen simplifizierende Sichtweisen auf die Personen und Phänomene, um die es ihr geht.

Nein, nicht jeder der hier Porträtierten ist ein Sympathieträger und sie alle unterscheiden sich in ihrem (begrifflich vielleicht etwas schwammig gefassten) »Widerstand« recht drastisch - bezogen auf Formen wie auf Inhalte. Manche Akteure empfinden Technik als Bedrohung, manche erkennen in ihr Potenziale für sozialen Fortschritt.

Mal geht es um ein virtuelles Sit-in, mal um ein Aussteiger-Programm für Geheimdienstmitarbeiter, mal um Mord. Das ideengeschichtliche Spektrum reicht vom Naturrecht über den anarchistisch geprägten Kontraktualismus und die Transparenzbewegung bis hin - hier kommen Kaczynski und Breivik ins Spiel - zum Vigilantismus, der höchst subjektiv begründeten Selbstjustiz.

Zeitlich beginnt die Ausstellung mit den geheimen »Pentagon Papers«, mit denen Daniel Ellsberg, der Urvater der Whistleblower, 1971 die gezielte Desinformation der Bevölkerung der USA im Vietnam-Krieg durch die US-Regierung öffentlich machte. Die Schau endet knapp vor den Panama-Papieren. Den jüngsten globalen Skandal um Steuer- und Geldwäschedelikte konnten die Kuratoren Inke Arns und Jens Kabisch beim besten Willen nicht mehr aufgreifen, auch wenn er gewiss die Werbetrommel rührt für ihr Projekt. Zwischen Pentagon- und Panama-Papieren wurde, im Guten wie im Schlechten, eine Menge Widerstand geleistet, viel mehr und viel mannigfaltiger, als man vermuten mag. Arns und Kabisch - und das ist ihr großes Verdienst - zeigen genau dies auf.

Doch der Besucher, der bei all dieser Breite in die Tiefe gehen will, sollte Zeit mitbringen. Er muss eine Menge geschriebene und gesprochene Worte sowie viele bewegte und unbewegte Bilder verarbeiten. Er steht in einer Nachbildung jenes Zimmerchens in der ecuadorianischen Botschaft in London, in dem Wikileaks-Gründer Julian Assange seit Jahren Unterschlupf findet. Und er sieht die Werkzeuge, mit denen Hacker im Jugoslawienkrieg nationalistische Informationssperren überbrückten.

Selbst die handschriftliche Langfassung des »UNA-Bomber-Manifests« über »die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft« hängt ordentlich eingerahmt an der Wand. Man sollte sie unbedingt lesen, findet Inke Arns, auch wenn die teils tödlichen Briefbombenattentate des Theodore Kaczynski völlig inakzeptabel seien. Kabisch erkennt das »extreme Sendungsbewusstsein« des technophoben Anarchisten: »Er wollte das Computernetz unbedingt stoppen, weil es die Menschen in der Zukunft unterdrücken würde. Ähnlich wie die Protagonisten in den Terminator-Filmen ging es ihm darum, künftige Entwicklungen zu verhindern.«

Meist werden die Geschichten des digitalen Widerstands indes mit digitalen Mitteln erzählt. Ein Besuch lohnt sich, insbesondere für Menschen, die an den jüngsten Verästelungen der Ideengeschichte interessiert sind. Während Snowden und Assange meist in einem Atemzug genannt werden als Akteure, die Skandale öffentlich machten, indem sie diese digital zugänglich machten, arbeitet Kurator Jens Kabisch die massiven Unterschiede in ihrer Motivation und ihren Mitteln heraus. Die Kurzfassung: Assange steht für vollständige und notfalls rücksichtslose Transparenz, Snowden sehe sich selbst als Schützer der US-Verfassung. Längst werden einst kreative Protestformen wie ein Sit-in gegen reaktionäre Websites auch von Kriminellen ausgenutzt. »Wäre doch schade, wenn man Ihre Seite nicht mehr aufrufen könnte. Bitte überweisen Sie ...«.

Die Ausstellung beginnt aber, man ist schließlich nur gut zwei Kilometer entfernt vom schönsten Fußballstadion der Welt und ein bisschen Lokalkolorit muss sein, mit der Ablichtung eines Protestes auf grünem Rasen - und mit dessen kreativer Umgestaltung unter Ausnutzung der moralischen Autorität des bundesrepublikanischen Staatsoberhauptes. 1987 wurde leidenschaftlich analoger Widerstand gegen die Volkszählung geleistet - auch auf der Spielfläche des Westfalenstadions der Dortmunder Borussia. Damals sollte eine Datenmenge erhoben und verarbeitet werden, die uns gläsernen Bürgern des fast voll-digitalen Zeitalters im Rückblick recht winzig und vergleichsweise harmlos erscheint. Aktivisten hatten kurz vor einem Bundesligasiel des BVB auf den Rasen den Slogan »Boykottiert und sabotiert die Volkszählung« gepinselt. Auch deshalb schmunzeln wir. Und natürlich über die Gegenaktion der BVB-Verantwortlichen, die, um die Aktion zu torpedieren, den Slogan flugs in »Der Bundespräsident: Boykottiert und sabotiert die Volkszählung nicht!« änderten.

Whistleblower & Vigilanten. Figuren des digitalen Widerstands, Hartware MedienKunstVerein, Dortmund, bis 14. August

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