Ein Schlawiner

Wladimir Kaminer in der Volksbühne

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Schlawiner ist er schon, der Kaminer. Wären die Gäste im voll besetzten Saal der Volksbühne nicht schon allesamt Fans des Berufsrussen und Deutschlandverstehenwollers Wladimir Kaminer gewesen, hätte er sie spätestens mit dieser exaltierten dreifachen Verbeugung mit ausgestellten Füßen und spitzbübischem Gesichtsausdruck in bester sowjetischer Comédiantradition dran gekriegt.

In der Ehrerbietung liegt das Versprechen, dem Publikum einen gehörigen Bären aufzubinden und die Kuh durch den Propeller zu drehen, wahrhaft und höchstens ein wenig redigiert. Landgangscheue AIDA-Kreuzschifffahrer im Fressrausch gibt es wahrhaftig, ebenso Verkäufer von Pelzprodukten in Piräus, die zielsicher den Russen auf Russisch ansprechen, original griechische Sirtakitänzer und Zeusdarsteller, die, aus den Karpaten eingewandert, mit syrischen und äthiopischen Flüchtlingen um die Arbeitsplätze in der Folkloreindustrie konkurrieren. Wahrhaftig auch die Mama, die im Teleshopping einen sündhaft teuren intelligenten Staubsauger, den I-Robot, erwirbt, der zwar nicht staubsaugt, dafür eine Romanze mit der Stehlampe hat und die schmuseunwillige Jagdkatze Wassilissa vor der Verödung bewahrt. Wahrhaftig die Lösung des Flüchtlingsproblems in Finnland (die kommen mit chinesischen Billigfahrrädern über Murmansk - auf der sogenannten Russenroute - durch den Schnee gefahren) durch den Saunaverband, indem durch den repräsentativen Saunagang die hiesige Rechtsordnung erklärt wird. Das drohende Scheitern der Integration aufgrund unterschiedlicher Nacktarschigkeitsbehandlung - unausweichlich, wenn ein pakistanischer Akademiker, ein syrischer Ingenieur, ein algerischer Dorfsheriff und ein tadschikischer Gastarbeiter, der aus Versehen einfach nach Finnland mitgeradelt ist, Schicklichkeit und Pragmatismus verhandeln müssen - wird diplomatisch durch einen Aufguss abgewendet.

Derweilen müssen die Moskauer über Tunnel im Schnee ihre Häuser verlassen, da die tadschikischen Gastarbeiter alle in der finnischen Sauna sind und die Russen nicht mehr wissen, wie man eine Straße freischippt. Die Kaminer-Mama hingegen gewinnt - durch die Flüchtlingswelle in einer Berliner Schwimmhalle an ungeahnter Rasanz. Dank der Wasserverdrängung.

Überhaupt das Exilieren. Bei aller Kalauerei und dem Verknoten absonderlicher Gegebenheiten zu Geschichten und Geschichtchen, das Schicksal des Exilierten, das Sichabmühen um Aufnahme in einer fremden Umgebung, Unverständnis, Missverständnis, das Scheitern, Umfallen, Wiederaufstehen ist die eigentliche Grunderzählung des Wladimir Kaminer. Typisch russisch oder vielleicht eher sowjetisch, und das macht den Kerl so sympathisch. Da darf er auch mit der Eloquenz eines Pelzproduktverkäufers zwischendurch immer wieder seine Bücher zum Erwerb anpreisen, wenn er in seinem Abschiedstoast auf ein sonniges Leben in einem friedlichen, solidarischen Europa anstößt. Auch für die Exilierten. Do Vstretschi, bis zur nächsten Weihnacht.

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