Entwicklungspolitik aus keinem Guss

Der Marshallplan für Afrika heißt inzwischen «mit Afrika», lässt zentrale Weichenstellungen dennoch außen vor. Von Martin Ling

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Botschaft der wachsenden Relevanz und Wirkmächtigkeit Afrikas ist bei der deutschen Bundesregierung angekommen. Nicht nur das Entwicklungsministerium, sondern auch Kanzleramt, Finanz- und Wirtschaftsministerium haben vor dem G20-Gipfel Afrika-Konzeptpapiere vorgelegt. Die umfassendste Vorstellung einer Neugestaltung der Beziehungen kommt aus dem Hause von Gerd Müller: «Wir brauchen einen Paradigmenwechsel und müssen begreifen, dass Afrika nicht der Kontinent billiger Ressourcen ist, sondern die Menschen dort Infrastruktur und Zukunft benötigen», wird der Entwicklungsminister am Anfang des 34-seitigen Strategiepapiers «Afrika und Europa - Neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft - Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika» zitiert.

Den zehn allgemeinen Thesen des Marshallplans lässt sich schwerlich widersprechen: z. B. Afrika braucht afrikanische Lösungen, Vorfahrt für Jobs und Chancen für die Jugend, Investitionen für unternehmerische Entfaltung, Wertschöpfung statt Ausbeutung, ein gerechter globaler Ordnungsrahmen und last but not least wir lassen niemanden zurück.

Die zehn Thesen werden durchaus mit Inhalt unterfüttert, auch an den drei Säulen, auf denen der Marshallplan fußen soll, ist nichts auszusetzen: Wirtschaft, Handel und Beschäftigung; Frieden, Sicherheit und Stabilität sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Als Fundament der drei Säulen wurden sinnvolle Schwerpunktbereiche ausgewählt: Ernährung und Landwirtschaft, Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Energie und Infrastruktur sowie Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung.

Das Konzept kreist um «die wichtigste Frage, auf die ein Marshallplan Antworten geben muss, ist: Wie entstehen jedes Jahr 20 Millionen neue Jobs, um der Jugend eine Perspektive zu bieten, ohne dabei die Umwelt zu zerstören?»

Warum jedoch bei der Suche nach einer Antwort die Economic Partnership Agreements (EPAs) ausgespart bleiben, ist nicht nachvollziehbar. Kein einziges Mal befindet sich das Wort EPAs auf den 34 Seiten - die derzeit von der Europäischen Union mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) in Aushandlung befindlichen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Die EPAs treten an die Stelle des 2020 auslaufenden Abkommens von Cotonou, in dem der Rahmen für die Entwicklung der EU-AKP-Beziehungen festgelegt wurde. Schon das Cotonou-Abkommen scheiterte wie seine Vorgänger - die 1975 geschlossenen vier Lomé-Abkommen - eklatant an dem selbst gesteckten Anspruch, die kolonialen Abhängigkeiten durch eine neue gleichberechtigte Entwicklungspartnerschaft zu ersetzen. Für die EPAs, die eine Abkehr von den bisherigen asymmetrischen Präferenzabkommen hin zu tendenziell symmetrischen Freihandelsabkommen bedeuten, gilt das mehr denn je. «Freihandel zwischen Ungleichen reproduziert Ungleichheit», sagt Gyekye Tanoh vom African Trade Network in Ghana. «80 Prozent des Handels zwischen EU und Westafrika sollen liberalisiert werden, einschließlich von Kernsektoren. Afrika wird als Markt für die EU erschlossen», ist sich der Ghanaer sicher, «Kein afrikanisches Land, nicht mal Südafrika, kann im Wettbewerb mit Deutschland zum Beispiel beim Sektor der Finanzdienstleistungen mithalten», ist seine düstere Prognose. «Das einzige, was zugunsten der EPAs spräche: Importe werden billiger, aber um den Preis, das afrikanische Produzenten vom Markt verdrängt werden.»

Ganz anders liest sich die handelspolitische Marschroute im Marshallplan: «Stopp von schädlichen Exporten nach Afrika; vom Freihandel zum fairen Handel, Förderung wirtschaftlicher Strukturen und gezielter Aufbau von Wertschöpfung vor Ort». Trotzdem wird über die EPAs geschwiegen. «Wer nicht will, der wird schon»: So lässt sich die Verhandlungsstrategie der EU bei den EPAs beschreiben. Beispiel ECOWAS, die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikas. Ihr gehört das ölreiche Nigeria an und es sagt «Nein» zum EPA, weil es sich nicht ewig als Rohstofflieferant in der Weltwirtschaftsordnung festschreiben lassen will. Nigeria verfolgt eine Industrialisierungsstrategie und wirbt um ausländische Investoren. Statt sich mit Abuja am Verhandlungstisch gütlich zu einigen, schloss die EU «Interims»-Abkommen mit einigen Ländern, darunter den deutschen «Compact»-Partnern Ghana und Côte d'Ivoire. Die beiden gehören mit Tunesien zu den gerade unter Finanzminister Wolfgang Schäubles Ägide ausgesuchten Partnerländern Deutschlands im Rahmen des «Compact with Africa. Sie sollen als Belohnung für ihre Reformbereitschaft Hilfe bei der Förderung von privaten Investitionen erhalten. Gegen renitente Länder wie Nigeria wird mit den »Interims«-Abkommen jedoch seitens der EU ein Keil in regionale Wirtschaftsbündnisse getrieben, mit denen sich die AKP-Staaten selbst helfen wollen.

Nach wie vor ist Afrika vor allem Rohstofflieferant und das, seit die Weltwirtschaftsordnung in Kolonialzeiten festgezurrt wurde. Dem Globalen Süden Raum für Wertschöpfungsketten zuzugestehen, was die Stufen vom Ausgangsmaterial bis zum Endprodukt beschreibt, wobei generell die Wertschöpfung mit dem Verarbeitungsgrad steigt, ist die handelspolitische Conditio sine qua non für nachholende Entwicklung.

Müllers Anspruch folgt dem: »Mit höheren Standards und Löhnen schaffen wir mit der deutschen Entwicklungspolitik Perspektiven für die Menschen vor Ort. Wollen wir hier erfolgreich sein, brauchen wir auch mehr Weiterverarbeitung im Land, die dafür nötige Ausbildung der Jugend und den konsequenten Abbau von Handelsbarrieren der EU. Das ist moderne Zukunftspolitik mit Afrika.« Die Realität folgt dem nicht, was selbst in der Ist-Analyse des Marshallplans nicht verschwiegen wird: »Gleichzeitig hat Europa über Jahrzehnte seine Afrikapolitik häufig an kurzfristigen Wirtschafts- und Handelsinteressen ausgerichtet. Es fehlte an einer konsequenten und zielgerichteten Politik aus einem Guss und an der hierfür erforderlichen Struktur zur Umsetzung.« Allein die Tatsache, dass aus den Reihen der Bundesregierung vier Afrikapapiere ohne kohärente Abstimmung vorgelegt wurden, zeigt, dass sich daran noch nichts geändert hat. Viel spricht dafür, dass der Marshallplan als weiterer Papiertiger endet.

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