Leben in Angst, Müll und Kälte

In Straßburg hausen Asylsuchende in wachsender Zeltstadt am Bahnhof / Behörden zeigen sich überfordert

  • Robert Schmidt, Straßburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwischen den Zelten stapelt sich der Müll, die Wäsche trocknet auf einem Zaun, Kinder spielen im Dreck. Es gibt weder Duschen noch regensichere Unterkünfte. In einem von Asylsuchenden unweit des Straßburger Bahnhofs errichteten Zeltlager herrschen katastrophale Zustände. Die Behörden zeigen sich von der Situation überfordert. »Eigentlich dürften diese Menschen gar nicht hier sein«, ärgert sich Béatrice Assfeld, Leiterin der Tafel am Straßburger Hauptbahnhof. Direkt gegenüber des Eingangs der Tafel haben Asylsuchende im Mai eine Zeltstadt errichtet.

Aus anfänglich rund 30 Campbewohnern sind bis Anfang September mehr als 100 geworden. Die meisten von ihnen kommen aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, also aus Serbien, Albanien oder Kosovo. Dreimal in der Woche erhalte jeder, der möchte, eine warme Mahlzeit, berichtet die Tafelleiterin. Kürzlich habe es in die Zelte geregnet. Im Sommer sei das noch zu verkraften. Doch bald wird es kalt. Was werde dann?

Valérie Suzan und Gilles Fischer vom Verein Strasbourg Action Solidarité unterstützen die Campbewohner. Sie haben zunächst einen Anwalt besorgt. Seit Anfang August vertritt Rechtsanwältin Sophie Schweitzer mehrere Dutzend Familien. Ende August erstritt sie vor Gericht die Unterbringung für die erste Familie. Mittlerweile konnten weitere Menschen das Camp verlassen, dafür kamen aber neue hinzu. Gemeinsam mit ihrem Vereinskollegen Fischer, der bis vor kurzem selbst obdachlos war, verständigt sich Suzan bei ihren Besuchen im Camp in einer Mischung aus Französisch, Englisch und Deutsch.

Ein älterer Mann aus Albanien hat offensichtlich einen Termin beim Amt versäumt. Dabei bleibt unklar, ob man ihm bereits eine Entscheidung über sein Asyl mitgeteilt hat. Mit Hilfe einer ehemaligen Campbewohnerin versuchen Suzan und Fischer in einem anderen Fall einer jungen Frau zu erklären, dass sie einen Gutschein für Zugtickets zu einer ihr zugeteilten Unterkunft in der Bretagne bekommen hat. Während sich viele bereitwillig bei ihren Problemen mit den Behörden helfen lassen, möchten die meisten über die genauen Hintergründe ihrer Flucht lieber nicht offen reden. Ein Mann aus dem Kosovo imitiert Pistolen, ein Serbe wiederholt fortlaufend das Wort Probleme.

Suzan kritisiert die katastrophale Situation im Camp. Die Stadt, auf dessen Gelände das Lager entstanden ist, habe zwar einen Wasserzugang gelegt, dieser sei aber nachts geschlossen. Duschen können die Bewohner nur sporadisch in den nahe gelegenen Räumen eines örtlichen Vereins. Die grüne Sozialbeigeordnete Straßburgs, Marie-Dominique Dreyssé, erklärt, die Stadt versuche für Umstände zu sorgen, die »so wenig schlimm wie möglich« seien. Mitarbeiter hätten vier Toiletten aufgestellt und sammelten regelmäßig den Müll ein. Täglich seien Vertreter der Stadt vor Ort. Natürlich bedaure sie die »würdelose« Situation im Camp. Dieser Kommentar wirkt allerdings zynisch, wenn man bedenkt, dass die Stadt am heutigen Dienstag wieder vor Gericht für eine Räumung des Geländes streitet.

Verantwortlich für die Unterbringung der Flüchtlinge ist aber eigentlich der Staat. Die zuständige Präfektur in Straßburg erklärt auf Anfrage, man verfolge die Situation im Camp sehr genau, vor allem die Fälle von besonders schutzbedürftigen Personen und seelisch kranken Menschen. Weil die Zahl der Asylsuchenden massiv gestiegen sei, alleine seit dem vergangenen Jahr um 42 Prozent, habe die Präfektur Probleme, die Menschen unterzubringen. In den vergangenen Monaten seien zahlreiche Plätze im Aufnahmezentrum und in Notunterkünften entstanden, die Zahl der Unterbringungsmöglichkeiten in Hotels habe sich verdoppelt.

Da aber immer noch nicht alle Asylsuchenden untergebracht werden konnten, wurden einzelne Familien in andere Departements verlegt. Fakt sei jedoch auch, dass Kontrollen ergeben hätten, dass unter den Menschen im Camp auch Personen seien, deren Asyl abgelehnt wurde oder die sich aus anderen Gründen illegal in Frankreich aufhielten und deshalb wohl bald abgeschoben würden. Ob und wenn, wann das Camp aufgelöst wird, dazu äußerten sich weder die Stadt Straßburg noch die Präfektur.

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