Der kleine »Parteisoldat«

Carl Aderhold: »Die Roten« ist eine Auseinandersetzung mit dem Vater

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 3 Min.

Sigrid Löffler brachte es kürzlich in einem Rundfunkinterview auf den Punkt: »Die deutschen Verlage schreiben auf alles ›Roman‹ drauf - das hat aber Verkaufsgründe.« In der Tat: Das neue Buch von Carl Aderhold ist alles andere als ein Roman. »Die Roten« ist eine Autobiografie, wie sie lupenreiner kaum geschrieben werden kann. Es ist eine Auseinandersetzung mit seinem Vater, einem Schauspieler, und mit dem, was dieser unter Erziehung verstand.

Irgendwie erscheint dieses Buch wie ein moderner Gegenentwurf zu Turgenews »Väter und Söhne«: Bei diesem steht dem aufbrausenden Sohn ein besonnener Vater gegenüber. Bei Aderhold ist es genau umgekehrt. Das Bild, das er von seinem Vater zeichnet, kann, trotz gelegentlicher Annäherungen, negativer nicht sein. Der Vater ist ein unbeherrschter Säufer und Schläger. Und er ist ein französischer Kommunist. Ein Kommunist, der die kommunistische Erziehung seiner Kinder geradezu apodiktisch lenkt.

Das führt gelegentlich zu unfreiwilliger Komik. So, wenn der Vater dem Jungen die Lektüre gewisser Comics untersagt: Tim und Struppi (zu rassistisch), Lucky Luke (zu amerikanisch), Asterix (zu gaullistisch) und so weiter. Die kommunistische Überzeugung des Vaters ist frei von Widersprüchen oder Zweifeln. »Er war Kommunist, wie andere Juden, Algerienfranzosen oder Korsen sind. Mit Pathos und völliger Hingabe.« Oder: »Jeder Besuch einer noch so kleinen kommunistischen Partei gab meinem Vater das berauschende Gefühl, die Weltrevolution wäre im Gange.«

Wenn aber die französische Linke bei den Wahlen wieder einmal verliert oder später, als im Osten wieder ein Stück Hoffnung zusammenbricht, reagiert er verständnislos, verzweifelt - und lässt seine Wut an der Familie, besonders an Carl aus.

In Aderholds Aufzeichnungen ist immer wieder mal die Rede von einer in der Familie vorkommenden Erbkrankheit, an der zu erkranken sich auch der Autor fürchtet. So, wie er seinen Vater beschreibt, kann es sich dabei um kaum etwas anderes als um das verhängnisvolle Tourette-Syndrom handeln.

Das Buch beginnt mit einer Art Rachefeldzug: Der Vater ist gestorben, Carl und seine Schwester sichten dessen Nachlass, der u. a. aus Unmengen marxistischer Zeitschriften besteht, zu deren Lektüre der kleine Carl seit seinem elften Lebensjahr genötigt wird. »Ich bin für ihn nie mehr als ein Parteisoldat gewesen.«

Es finden sich Bilder der großen Leitfiguren Marx, Engels, Lenin und andere kommunistische Devotionalien. Carl setzt sich gegen seine Schwester durch und wirft alles, wirklich alles, restlos auf den Müll. Er will die Erinnerung an seinen Vater auslöschen.

Doch diese Erinnerung holt ihn umso stärker ein, als er ein altes Schulheft entdeckt, in dem mit einer Kinderhandschrift der Versuch unternommen wird, die Familiengeschichte aufzuschreiben. In Carl Aderholds Kinderschrift.

Aus dieser Begebenheit heraus entwickelt der Verfasser seine Autobiografie, seine Abrechnung mit dem Vater. Während man zu Beginn der Aufzeichnungen auf einen grenzenlosen, erbitterten Hass stößt, entwickelt sich im Verlauf der Geschichte doch eher so etwas wie eine Hassliebe, die sich aus einigen, wenigen eher positiven Jugenderinnerungen speist.

Eine furiose Streitschrift, in die man sich vergraben kann, die aber vor allem nachdenklich stimmt.

Carl Aderhold: Die Roten. Roman. Aus dem Französischen von Timea Tankó. Arche Verlag, 362 S., geb., 24 €.

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