Ukraine schafft sich Probleme mit Nachbarn

Nationalistische Geschichts- und Sprachenpolitik stößt auf Widerstand im EU-Ausland

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Lange waren die Ukraine und Polen die wohl wichtigsten Verbündeten, obwohl die Positionen Warschaus und Kiews über die Rolle der umstrittenen Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) während des Zweiten Weltkrieges schon immer auseinandergingen. Doch seit die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführte Regierung an die Macht kam, zeigt sich Polen immer skeptischer. Warschau sieht die UPA als Nazi-Kollaborateur und verurteilt die Teilnahme ukrainischer Nationalisten am Wolhynien-Massaker, bei dem zwischen Februar 1943 und April 1944 rund 100 000 Polen ermordet wurden.

»Die Politik der Verehrung, die in der Ukraine stattfindet, ist für uns nicht akzeptabel«, sagt der polnische Außenminister Witold Waszczykowski. Mitte November führte Warschau als Antwort eine »schwarze Liste« für Ukrainer ein, denen die Einreise wegen ihrer »antipolnischen Position« verweigert werden soll. Die ganze Liste wurde nicht veröffentlicht, bekannt ist jedoch, dass auf sie unter anderen Wolodymyr Wjatrowatsch, Direktor des ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung, das für die Geschichtspolitik Kiews verantwortlich, ist, gelangte. Einige ukrainischen Beamte scheiterten bei Einreiseversuchen nach Polen. »Für mich wäre ein Einreiseverbot sehr unangenehm. Ich habe viele Freunde in Polen und nehme dort an vielen Konferenzen teil«, kommentierte Wjatrowytsch die Nachricht.

Verzeichnet wird ein Rückschlag für die Beziehungen zwischen Kiew und Warschau, die ohnehin kompliziert sind. Im Dezember soll der polnische Präsident Andrzej Duda nach Kiew kommen, um sich mit seinem ukrainischen Kollegen Petro Poroschenko zu treffen. Außenminister Witold Waszczykowski riet Duda von dem geplanten Besuch ab. Das Treffen soll jedoch demnächst stattfinden und gilt als richtungsweisend.

Der Konflikt mit Polen kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen Kiews mit den meisten westlichen Nachbarn durch die Bildungsreform beeinträchtigt wurden. Weil Ukrainisch alleinige Unterrichtssprache sein soll, protestieren vor allem Ungarn, aber auch Moldau, Rumänien oder die Slowakei heftig.

Aus Ungarn ist sogar zu hören, das Land wolle die weitere EU-Integration der Ukraine verhindern, falls das Gesetz nicht rückwärtig gemacht wird. »Kiew hat die Rechte der nationalen Minderheiten völlig vergessen. Wir können nicht darüber hinwegschauen«, betonte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó am Rande des Gipfels der Östlichen Partnerschaft am Freitag in Brüssel. In Transkarpatien lebt eine große ungarische Minderheit, die kaum Ukrainisch kann und sich durch die Reform benachteiligt fühlt.

Damit befindet sich die Ukraine mittlerweile im Konflikt mit fast allen EU-Nachbarn. Und während die Beziehungen mit Russland spätestens seit der Annexion der Krim im März 2014 katastrophal sind, konnte Kiew immerhin produktive Gespräche mit Belarus führen. Minsk gilt als wichtiger Vermittler im Donbass-Konflikt. Zudem hat Belarus die Halbinsel Krim nicht als russisch anerkannt, obwohl das von Präsident Alexander Lukaschenko angeführte Land bei der UN-Versammlung gegen eine Resolution stimmte, die Menschenrechtsverletzungen auf der von Moskau kontrollierten Halbinsel verurteilt.

Aber auch mit Belarus ist der Streit im Moment heftig. Der Grund ist die Festnahme des Korrespondenten des Ukrainischen Radios in Minsk Pawlo Scharojko, dem die belarussischen Behörden Spionage vorwerfen. Er hat früher als Pressechef der ukrainischen Aufklärung gearbeitet und soll laut Minsk in Belarus ein Spionagenetzwerk aufgebaut haben. Die Ukraine hat auf die Festnahme mit der Ausweisung eines Mitarbeiters der belarussischen Botschaft reagiert. »Wir haben noch Anfang November mit Poroschenko über den Fall Scharojko gesprochen und uns festgelegt, dass wir damit nicht an die Öffentlichkeit gehen«, kommentierte der belarussische Staatschef Lukaschenko den Vorfall. »Dass die Ukraine es doch veröffentlichte, ist mir unverständlich.«

Kann man unter diesen Umständen über eine diplomatische Krise für Kiew sprechen? Die Gestaltung der Beziehungen mit allen Nachbarn sei »angesichts des großen Einflusses Russlands nicht immer leicht«, klagte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin. Bezweifelt wird, dass die aktuellen Tendenzen mit diesem Verweis auf Moskau zu erklären wären.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal