Das skrupellose christliche Abendland

Erinnerungen eines unbequemen Kirchenmannes: Warum Peter Franz zum Sozialisten wurde

  • Christian Stappenbeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt in Deutschland nur wenige Pfarrer, die von ihrer Kirche aus dem Dienst unter Verlust sämtlicher Pensionsansprüche entfernt wurden. Dabei handelte es sich bemerkenswerterweise nicht um irgendwelche braunen oder feldgrauen Übeltäter (das heißt völkische »Deutsche Christen« oder Feldprediger). Als frühester Geschasster muss der Mannheimer Pfarrer Erwin Eckert, in der Weimarer Republik Vorsitzender des Bundes Religiöser Sozialisten, erwähnt werden: Er erhielt seine erste Kirchenstrafe schon 1925 wegen eines Artikels gegen die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten und wurde aus dem Kirchendienst verbannt, nachdem er sich öffentlich zur Kommunistischen Partei bekannt hatte. Anders und doch irgendwie ähnlich: der Weg des Verfassers dieses Buches, der letztinstanzlich das gleiche Urteil erfuhr.

Im 20. Jahr seiner endgültigen Amtsenthebung hat der Thüringer Pfarrer a. D. Peter Franz, geboren 1941 in Apolda, seine Memoiren pu-bliziert: Kindheit in einem nicht religiösen Arbeiterhaushalt; im 21. Le᠆bensjahr getauft; im Theologiestudium geprägt durch Professoren wie Erich Hertzsch, Mitbegründer der Gruppe Religiöser Sozialisten in Thüringen, und so verschiedene Gestalten wie Thomas Müntzer und Dietrich Bonhoeffer. Anschließend emsige Arbeit als Gemeindepfarrer, der in der DDR eine lebendige junge Gemeinde aufbaut, der sich auch in die Probleme und Missstände der örtlichen Kommune einmischt. Seine Parteinahme als kritischer Staatsbürger führt ihn in die CDU, bei der ihn des Öfteren die »Fremdeinwirkung« von oben ärgert. Er bringt es bis zum Kreistagsabgeordneten.

Mehr als die CDU - die kirchlichen Oberen sehen es mit deutlichem Missvergnügen - prägt ihn die ökumenische Bewegung der Christlichen Friedenskonferenz. Am Müntzer-Gemeindezentrum Kapellendorf entsteht eine echte Basisgruppe mit vielfältigen Inlandskontakten und mit ausländischen Gästen. Internationale Verbindungen rufen selbstredend die erhöhte Aufmerksamkeit staatlicher Organe hervor. Und so nimmt im November 1977 »das MfS in Gestalt von Erhard Fritza [Major der Kreisdienststelle] erstmals Kontakt mit mir auf«. Man traf sich anfangs vor allem wegen der ausländischen Gäste, später drehten sich die Gespräche und Fragen um Jugendpolitik und um die Ärgernisse fehlender Demokratie in der DDR. Nach »Einschätzung« des MfS-Mannes (des sogenannten Führungsoffiziers, vielmehr jedoch Gesprächspartners), so die Aktenlage, könnte sich die Amtskirche beruhigen, denn: »Als negatives Merkmal muss eingeschätzt werden, dass der Kandidat sich in seinen Handlungen stets von den Interessen der Kirche leiten lässt ...« Pfarrer Franz würde an dieser Stelle präzisieren: Nicht die Interessen der Amtskirche, wohl aber Aufbau und Gedeihen der Gemeinde hatten für ihn Vorrang.

Unter dem Datum 3. Oktober 1990 notiert der ostdeutsche Christdemokrat: »Was manche mit Bratwurst und Bier feiern, wird für andere ein Tag der Trauer.« Zu dieser Zeit fühlt er sich verpflichtet, die Verschwiegenheit über seine MfS-Kontakte zu beenden. Die Notizen der folgenden Wochen und Monate lesen sich beeindruckend und bedrückend - ein Lehrstück. Von nun an beschränkt sich der Verfasser mehr und mehr auf tagebuchartige Mitteilungen. Solch ein chronologisches Auflisten liest sich, nebenbei bemerkt, weniger gut als die thematischen Überblicke zuvor. Dankenswerterweise findet der Leser am Schluss des Buches ein pralles Register von 27 Seiten mit sämtlichen erwähnten Personen, Orten und Pressetiteln, so dass ein gezieltes Herauspicken bestimmter Geschehnisse möglich ist.

Der Klappentext enthält die Frage, wie denn einer als lutherischer Theologe zum Sozialisten werden kann. Zum Beispiel dadurch, dass der christlich-abendländische Westen mit seinen Wertpapieren skrupel- und hemmungslos wird. Da ist im Vorwort zum Buch die Rede von der »politischen Erweckung«, die durch Vietnamkrieg und Pinochet-Putsch ausgelöst wurde. Peter Franz bemerkt zum blutigen 11. September 1973, ihm sei da schlagartig klar geworden, »in welchem Überlebenskampf sich das Experiment ›Sozialismus‹ in dieser Welt des Kapitals befand, und - war das nicht auch unser Kampf?« Dies veränderte seine Haltung zur DDR, und deshalb »ließ ich auch nicht nach, selber Kritik zu üben«.

Peter Franz: Der rote Pfarrer von Kapellendorf. Als Christ und Sozialist im Diesseits. GNN-Verlag, 406 S., br., 15 €.

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