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Die neue Balkanroute

Flüchtlinge suchen Weg in die EU über Bosnien / Kroatien macht die Grenze dicht

  • Elke Windisch, Dubrovnik
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie Nadelstiche wirkt der Eisregen, der über Trebinje, einer bosnischen Kleinstadt, niedergeht. Am Stadtrand ein halbfertiges Gebäude, im Erdgeschoss die Reste eines Lagerfeuers, zwei leere Plastikflaschen und ein paar abgenagte Hühnerbeine. »Gestern Abend waren sie noch hier«, sagt Zlatko, der als freier Journalist für »Oslobođenje«, die Tageszeitung der Ostherzegowina arbeitet. Aber es sei schon zu dunkel für ein Foto gewesen. »Der Bauherr wird sie davongejagt haben. Oder die Polizei hat sie mitgenommen.«

Sie, das sind Flüchtlinge, die illegal nach Bosnien-Herzegowina eingereist sind. Allein in diesem Jahr waren es bisher 651. Das klingt erst mal wie eine Lappalie, bedeutet aber eine 380-prozentige Steigerung im Vergleich zu 2016. Und die Behörden rechnen mit mehr. Zwar ist die so genannte Balkanroute, die von Griechenland über Mazedonien und Serbien nach Europa führt, offiziell dicht. Inoffiziell, so Sanela Dujković, die Sprecherin der bosnischen Grenzpolizei, funktioniere sie aber weiter. Weil sie gefährlich geworden sei, würden die Migranten jedoch nach Alternativen suchen. Die neue Balkanroute führe daher von Griechenland über Albanien und Montenegro nach Bosnien. Von dort aus würden die Flüchtlinge versuchen, Kroatien und damit EU-Gebiet zu erreichen.

Die Erfolgschancen sind, was sich offenbar noch nicht herumgesprochen hat, eher gering. Kroatien drängt mit Macht in den Schengen Raum, wo es keine Grenzkontrollen mehr gibt. Allein schon weil Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig ist, Daher sind die Kontrollen an Kroatiens Grenzen zu Serbien, Bosnien und Montenegro, die gleichzeitig EU-Außengrenzen sind, schon jetzt etliche Zacken schärfer als in Deutschland. Patrouillen, ausgerüstet mit modernster Technik und Spürhunden, durchkämmen das Unterholz auch bei schwierigem Relief im Zehn-Minuten-Takt. Ihre Aufgabe ist es, potenzielle Grenzverletzer zurückzuschicken, noch bevor sie kroatischen Boden betreten.

Derzeit vor allem nach Bosnien. Dort waren im Sommer bereits mehrere Hundert angekommen, Behörden wie Hilfsorganisationen schon damals hoffnungslos überfordert. Nun droht eine humanitäre Katastrophe. Bosnien ist bitterarm und zur Zeit ist es auch noch bitterkalt. In den Bergen in der Ostherzegowina an der Grenze zu Montenegro kriecht die Quecksilbersäule tagsüber schon jetzt in der Nähe des Gefrierpunktes dahin, nachts liegen die Werte um minus zehn. Dort aber, an der Grenze zu Montenegro, werden derzeit die meisten Migranten aufgegriffen. Syrer, Iraker, Algerier, Libyer, Pakistani und Afghanen. In diesem Jahr bisher 256, im Jahr 2016 waren es nur 88. Die Dunkelziffer, fürchten Menschenrechtler, sei noch viel höher.

Zu Fuß unterwegs bewegen sie sich zunächst im weglosen Gelände abseits der Fernverkehrsstraßen. Manche probieren sogar mit morschen, von den Fischern bereits aufgegebenen Kähnen die eiskalte Drina zu überqueren. Oder sie versuchen, auf offene Güterwagen aufzuspringen und sich im Schüttgut zu verstecken.

Slobodan Ujić, Chef der bosnischen Ausländerbehörde, sagt, die Situation werde dadurch zusätzlich verschärft, dass Montenegro, arm wie Bosnien, »Illegale« zur bosnischen Grenze fahren würde. So jedenfalls hätten es die Flüchtlinge erzählt. Ujić ist wütend über die Kollegen. Einerseits. Andererseits kann er sie verstehen. Albanien, sagt er, habe bisher von Montenegro auch nicht einen einzigen Flüchtling zurückgenommen.

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