Wenn die Verwaltung auf der Bremse steht

Trotz des höchstrichterlichen Urteils werden Diesel-Verkehrsverbote in den meisten Städten auf sich warten lassen

Ist die Luft in den mit Stickoxiden besonders belasteten deutschen Städten in den Tagen seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schon besser geworden? Natürlich nicht. Viele Kommunen wollen erst den Richterspruch ausführlich studieren, der in zwei Monaten in geschriebener Form vorliegen soll. Um Luftreinhaltepläne zu überarbeiten, müssen auch noch Fristen für die Anhörung Betroffener beachtet werden. Ohnehin haben die Leipziger Richter nicht geurteilt, dass Diesel-Fahrverbote kommen müssen, sondern nur, dass sie rechtlich zulässig sind unter Wahrung der »Verhältnismäßigkeit«.

Konkret bezieht sich das Urteil auf die Luftreinhaltepläne in zwei Städten: Düsseldorf und Stuttgart. Hier hat das Bundesgericht erstinstanzliche Urteile der örtlichen Verwaltungsgerichte weitgehend bestätigt. Demnach habe die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt bisher »Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen«, heißt es in der Erklärung des Leipziger Gerichts. »Dies wird der Beklagte nachzuholen haben.«

Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) lehnte bisher selbst eine Prüfung kategorisch ab. Geradezu beleidigt reagierte er auf den Richterspruch: Das Problem werde »auf die Kommunen abgeladen«, schimpfte er. Das Gericht habe »keine Rücksicht« darauf genommen, »mit welch hohem administrativen und nahezu unlösbarem Aufwand« Fahrverbote verbunden wären.

Geisels Problem ist folgendes: Zwar entscheidet die Verwaltung selbst, mit welchen Maßnahmen sie für bessere Luft sorgen möchte. Allerdings müssen diese geeignet sein für die, so die Leipziger Richter, »schnellstmögliche Einhaltung überschrittener NO2-Grenzwerte«. Bislang wollte die zuständige Bezirksregierung Düsseldorf am 1. Juli einen neuen Luftreinhalteplan für die Stadt in Kraft setzen, der rund 50 Maßnahmen jenseits von Fahrverboten beinhaltet. Experten der Behörde hatten allerdings berechnet, dass es fast unmöglich sei, die Einhaltung der Grenzwerte ohne Fahrverbote zu erreichen. Nun wird man den Plan wohl überarbeiten müssen - mit Fahrverboten entweder für einzelne Straßen oder die innerstädtische Umweltzone.

Wie die konkret aussehen könnten, um die geforderte Verhältnismäßigkeit zu wahren, hat das Bundesverwaltungsgericht am Beispiel der Umweltzone Stuttgart ausgearbeitet. In einer ersten Stufe sollten Verkehrsverbote nur ältere Fahrzeuge bis zur Abgasnorm Euro-4 betreffen. Euro-5-Diesel, die mit etwa 40 Prozent aller in Deutschland zugelassenen Diesel-Pkw größte Gruppe, solle nicht vor September 2019 (vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro-6) mit Fahrverboten belegt werden. Darüber hinaus soll es »hinreichende Ausnahmen« etwa für Handwerker und bestimmte Anwohnergruppen geben.

In Stuttgart kann man derweil schon Zeitpläne nennen. Ein Fahrverbot mit neuen Schildern für Diesel bis Euro-4 und Benziner bis Euro-2 wäre frühestens im Oktober möglich, der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) spricht von Ende des Jahres. Dass man im Ländle ein Stück weiter als am Rhein ist, liegt wohl daran, dass Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zwar ebenfalls Fahrverbote eigentlich vermeiden möchte, sich dem aus Rücksicht auf seine Wählerklientel aber auch nicht verweigern will. Kuhn äußerte sich positiver zu dem Urteil, denn es schaffe Klarheit, auch wenn die Umsetzung nicht einfach sei.

Handlungsbedarf besteht natürlich nicht nur in Düsseldorf und Stuttgart: 37 Städte haben 2017 laut den Daten des Umweltbundesamtes den zulässigen Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschritten. Davon liegen nur zwei im Osten: Berlin und Halle/Saale. Betroffen sind nämlich vor allem Städte mit starker Wirtschaftskraft, in die es viele Pendler aus dem Umland zieht. So ist es kein Zufall, dass die Grenzwerte am stärksten in München (78mg/m³) und Stuttgart (73mg/m³) überschritten werden. Umweltverbände vermuten hingegen, dass an zu wenigen Stellen gemessen wird und eigentlich weit mehr Städte betroffen sind.

Damit Fahrverbote schnell kommen, braucht es so etwas wie eine Koalition der Willigen. In dieser Frage gibt es nämlich vielschichtige Verantwortlichkeiten: Fahrverbote gelten für einzelne Kommunen. Deren Luftreinhaltepläne werden aber eine Etage höher erstellt: von den Regierungspräsidien. Eigentlich zuständig für die Umsetzung der EU-Luftqualitätsrichtlinie sind die Bundesländer, die die Pläne also kritisch beäugen sollten. Letztere hoffen wiederum darauf, dass der Bund einheitliche Regelungen für Fahrverbote gemäß einer Blauen Plakette erlässt, damit Autofahrer den Überblick behalten können, wo wer nicht fahren darf.

Dass es schnell gehen kann, zeigt sich in Hamburg. Die Hansestadt hat nur auf das Leipziger Urteil gewartet, um die im Luftreinhalteplan vom Sommer 2017 geregelten Durchfahrtsbeschränkungen auf zwei besonders belasteten Straßenabschnitten einzuführen. Ab April geht es los.

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