»Der Ball liegt nun bei den Taliban«

Schaffen Zugeständnisse des afghanischen Präsidenten neue Friedenschancen?

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 3 Min.

»Anführer der Taliban und alle Mitglieder - die Entscheidung liegt in euren Händen. Akzeptiert den Frieden. Kommt an den Verhandlungstisch und lasst uns dieses Land gemeinsam aufbauen.« Mit diesen Worten hatte sich der afghanische Präsident Ashraf Ghani vor einem Jahr direkt an die Taliban gewandt. Anlass war die Friedenskonferenz »Kabul Process«, die erstmals in der afghanischen Hauptstadt stattfand. Bei der Neuauflage ging Ghani dieser Tage noch weiter: Er bot den Aufständischen unter anderem einen Waffenstillstand, die Anerkennung als politische Partei sowie ein Büro in Kabul an. Derart viele Zugeständnisse sind überraschend. Denn 2017 hatte Ghani auch erklärt, dass die Tür für Friedensgespräche nicht permanent offen bleiben würde. Außerdem entsprach die Rhetorik des Präsidenten stets jener des US-amerikanischen »Krieges gegen den Terror«. Die Militäroperationen in Afghanistan, die mit der Präsidentschaft von Donald Trump massiv zugenommen haben, werden auch von Ghani abgenickt. Nach den jüngsten blutigen Taliban-Anschlägen in Kabul hatte er einen harten Kurs angekündigt.

»Der Ball liegt nun bei den Taliban«, so der US-amerikanische Analyst Barnett Rubin. Er hat sich kürzlich in einem offenen Brief, der im US-Magazin »The New Yorker« veröffentlicht wurde, ebenfalls an die Taliban gewandt und zu Friedensgesprächen aufgerufen. Der renommierte Afghanistan-Kenner, der unter anderem für die UN sowie für die US-Regierung gearbeitet hat, pflegte einst Kontakte zu den Aufständischen. Rubin erwähnt allerdings auch jenen Punkt, der in Ghanis »Friedensantrag« keinerlei Erwähnung fand: »Das Problem ist, dass keines von diesen großzügigen Angeboten die Hauptforderung der Taliban berührt - den kompletten Abzug des US-Militärs und anderer ausländischer Truppen aus Afghanistan. Und Präsident Ghani hat keine Kontrolle darüber«, so Rubin. Die Reaktion der Taliban auf Ghanis Angebote kam schnell und fokussierte sich auf eben jenen Punkt. Die Aufständischen nahmen die Rede des Präsidenten mit einigen positiven Worten auf, erklärten allerdings, dass er »das Thema verfehle«.

In der Abschlusserklärung der Konferenz »Kabul Process«, die erst nach der Reaktion der Taliban veröffentlicht wurde, wird allerdings darauf hingewiesen, dass ein Abzug der Truppen nicht vor Friedensgesprächen stattfinden werde. Die Taliban selbst forderten in der Vergangenheit immer wieder direkte Gespräche mit den USA anstatt mit der Kabuler Regierung. Der genannte Punkt würde nun eine solche Involvierung Washingtons möglicherweise in Betracht ziehen.

Wie genau und wann ein solches Szenarium greifen wird, bleibt aber offen. Kein einziger Gesandter der Taliban war zur Kabuler Konferenz eingeladen worden. Hinzu kommt die Frage, wie sich der Konflikt im Land in den nächsten Monaten entwickeln wird. Auf dem Schlachtfeld geben sich die Aufständischen weiterhin siegessicher. Zahlreiche Distrikte stehen bereits unter ihrer Kontrolle. Eine aktuelle BBC-Recherche hat vor Kurzem aufgezeigt, dass 70 Prozent des Landes von den Taliban bedroht werden und dass der Einfluss der Kabuler Regierung tagtäglich abnimmt. Diese Realität ist wohl einer der Hauptgründe dafür, dass Ghani immer mehr unter Druck gerät.

Trotz der erklärten Absichten des afghanischen Präsidenten lässt sich der Einfluss anderer Akteure mit Blick auf künftige Friedensgespräche schwer vorhersagen. Dies gilt vor allem für den Kabuler Sicherheitsapparat, bestehend aus Militär und Geheimdienst, dem bereits in der Vergangenheit nachgesagt wurde, potenzielle Friedensverhandlungen sabotiert zu haben.

Doch gerät vor allem die Rolle Washingtons in den Fokus. »Aus strategischen Gründen gehört es zu den Hauptinteressen der Amerikaner, ihre Militärbasen in Afghanistan aufrechtzuerhalten. Selbst wenn einige Stützpunkte der afghanischen Armee übergeben werden sollen, ist es kaum vorstellbar, dass alle verschwinden. Von den Taliban wird dies ohne Zweifel als Fortführung der Besatzung betrachtet«, meint etwa Waheed Mozhdah, ein afghanischer Analyst aus Kabul.

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