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Anonyme Handgranatenträger

Neues Polizeigesetz in Sachsen: Opposition bezweifelt Verfassungskonformität

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

So richtig zufrieden ist keiner mit dem Entwurf für ein neues Polizeigesetz in Sachsen. Ein Jahr haben die Regierungsparteien CDU und SPD über die erste umfassende Novelle seit 1999 verhandelt. Jetzt ist ein Entwurf zur Anhörung im Landtag freigegeben, und alle murren. CDU-Innenminister Roland Wöller teilt mit, es sei »noch Luft nach oben«, und Unterhändler von CDU und SPD publizieren Wunschzettel mit den Punkten, denen der jeweils andere noch nicht zugestimmt hat.

Die Opposition droht derweil bereits mit einem Gang vors Gericht. Man prüfe den Entwurf »auf seine Verfassungskonformität«, sagt die LINKE; es gebe »erhebliche Bedenken«, ob die neuen Regelungen alle verfassungsgemäß seien, erklären die Grünen. Das Gesetz mit seinen derzeit 107 Paragrafen eröffnet der Polizei viele neue Möglichkeiten. Zu den spektakulärsten gehört die Ausrüstung von Spezialeinheiten mit Maschinengewehren und offenbar auch mit Handgranaten, was Enrico Stange, den Innenexperten der LINKEN, von einer »Militarisierung« der sächsischen Polizei sprechen lässt. Eine ähnliche Regelung in einem neuen Polizeigesetz, das gerade in Bayern vorbereitet wird, ließ die Gewerkschaft der Polizei vermuten, hier werde »vorsorglich die Rechtsgrundlage beim Einsatz der Bundeswehr im Inneren mit schweren Waffen geschaffen«.

Auch die Videoüberwachung soll deutlich ausgeweitet werden - etwa in einem 30 Kilometer breiten Korridor entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien, wo potenzielle Kriminelle mit stationären Geräten zur Gesichtserkennung aufgespürt werden sollen. Die stationäre Kennzeichenerfassung wird eingeführt. Die Telekommunikation kann auch in Fällen überwacht werden, wo noch keine Straftaten begangen wurden. Potenzielle »Gefährder« sollen mit Hilfe von elektronischen Fußfesseln überwacht und mit Kontaktverboten belegt werden dürfen. Es gebe zudem »breitere Observationsmöglichkeiten und neue Durchsuchungsbefugnisse«, sagte der Innenminister. Das Gesetz, betonte er, bewirke einen »Qualitätssprung«.

Das sieht die Opposition naturgemäß anders. Stange kritisierte, unter dem Vorwand von Terrorismusbekämpfung und der Gewährleistung von Sicherheit sollen »tiefe Eingriffe in Grundrechte erleichtert« werden. Valentin Lippmann, Innenexperte der Grünen, sprach von einem »Frontalangriff auf Bürgerrechte« und warf Wöller vor, Sachsen »in Richtung eines Polizeistaats« zu entwickeln. Der Begriff findet sich auch im Namen einer Initiative, die gegen das Gesetz zu Felde zieht: »PolizeistaatSachsen« will eine breite Öffentlichkeit über die geplante Gesetzesverschärfung informieren und diese möglichst »öffentlichkeitswirksam verhindern«, wie es in einer Erklärung hieß. Am Tag der Vorstellung des Gesetzentwurfs gab es eine erste Protestaktion und einen Infostand in Dresden.

Derweil läuft in der Koalition das Tauziehen um zusätzliche Regelungen weiter. Der CDU geht das Gesetz in manchen Punkten noch nicht weit genug; Innenpolitiker Christian Hartmann wünscht auch die Möglichkeit zur Online-Durchsuchung von Computern; die sogenannte »Quellen-TKÜ«, die bei der Kommunikation etwa per Handy die Verschlüsselung der Gesprächsinhalte aushebelt; oder die »Bodycam«, eine Kamera, die Beamte im Einsatz am Körper tragen. Das stößt bei der SPD auf Widerstand. Die wiederum möchte die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte mittels anonymisierter Nummern durchsetzen. Dieses Thema sei »nicht vom Tisch«, sagte Innenexperte Albrecht Pallas. Allerdings sträubt sich hier die Union - bis hin zum Ministerpräsidenten. Michael Kretschmer ließ unlängst via Twitter wissen, er »vertraue unserer Polizei«; ihr Einsatz für Sicherheit verdiene »vollsten Rückhalt und Respekt - und keine Kennzeichnungspflicht«.

Scheitern lassen wird die SPD das Gesetz an diesem Punkt wohl nicht. SPD-Mann Pallas attestiert diesem eine »ausgewogene Balance« zwischen Sicherheit und Freiheit - und frohlockte, es sei kein Gesetz »bayerischer Prägung«.

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