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  • Folgen aus rechten Aufmärschen

Chemnitz kann auch anders

Zehntausende setzen beim Rockkonzert ein beeindruckendes Zeichen gegen Rassismus und Faschismus

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Zehntausende Menschen haben in Chemnitz bei einem Open-Air-Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus teilgenommen. Die Veranstaltung in der Innenstadt verlief am Montagabend störungsfrei, wie die Polizei am späten Abend mitteilte. Zu dem Gratiskonzert unter dem Motto »Wir sind mehr« hatten diverse Bands eingeladen. Darunter waren Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, die Chemnitzer Band Kraftklub und der Rapper Marteria.

Das Konzert war eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen vor gut einer Woche und die Vereinnahmung der Bluttat durch rechte Kräfte. Tatverdächtig sind zwei Asylbewerber. In der Folge kam es zu Ausschreitungen und Demonstrationen in Chemnitz, die sich gegen tatsächliche und mutmaßliche Migranten richteten. Allerdings waren auch viele Menschen gegen den rechten Mob auf die Straße gegangen.

Das Konzert auf dem Johannisplatz startete am späten Nachmittag mit einer Schweigeminute für den Getöteten. Angrenzende Straßen waren ebenfalls gut mit Besuchern gefüllt. Auf Plakaten standen Slogans wie »Menschenrechte statt rechte Menschen« und »Wir alle wollen leben ohne Angst und Hass«.

Die Versammlungsbehörde untersagte wegen der vielen Konzertbesucher weitere Kundgebungen und Spontanversammlungen in der Innenstadt. Deswegen konnten rechte Vereinigungen wie etwa der thüringische »Pegida«-Ableger »Thügida« am Montagabend nicht durch die sächsische Stadt marschieren.

Während Polizei und Stadtverwaltung die Anzahl der Veranstaltungsbesucher auf dem Platz vor der Johanniskirche und in den angrenzenden Straßen mit insgesamt rund 65.000 angaben, sprach die studentische Forschungsgruppe Durchgezählt von 29.000 bis 39.000 Besuchern.

Campino, der Leadsänger der Toten Hosen, erklärte vor dem Konzert, dass die Musiker jenen Menschen in Chemnitz und Sachsen Mut machen wollten, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen. Es gehe nicht um einen »Kampf Links gegen Rechts«, sondern darum, sich den Ausschreitungen eines »Rechtsaußenmobs« entgegenzustellen.

Auch in einem schriftlichen Statement fanden die teilnehmenden Musiker deutliche Worte. Die Tötung eines Deutschen werde instrumentalisiert: »Es geht ihnen nicht darum zu trauern, sondern um ihrem Hass freien Lauf zu lassen«, heißt es in der Erklärung. Beim Konzert sollten auch Spenden für die Familie des Getöteten sowie für sächsische Antirassismus-Initiativen gesammelt werden.

In Chemnitz soll es laut einem Bericht der Onlineausgabe der »Freien Presse« auch an den kommenden drei Montagen wieder Konzerte geben. Einzelheiten stünden noch nicht fest. Bereits am Freitag lädt das Theater Chemnitz zu einem Gratiskonzert unter dem Motto »Gemeinsam stärker - Kultur für Offenheit und Vielfalt« ein.

In der Politik hat die Veranstaltung unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Einige Politiker der CDU vermieden es, die Veranstaltung eindeutig zu unterstützen. Die Generalsekretärin der Partei, Annegret Kramp-Karrenbauer, hatte am Montag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kritisiert, weil er auf Facebook das Protestfestival in Chemnitz unterstützt hat. Kramp-Karrenbauer hatte sich darüber empört, dass auch die »linksextreme« Punkband Feine Sahne Fischfilet an dem Konzert teilnahm.

Nun folgte die Retourkutsche aus der SPD. Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, dass die CDU-Politikerin sich Mitte August 2016 in einem Facebook-Eintrag begeistert über das Festival Rocko del Schlacko geäußert habe - kombiniert mit einem Video-Schnipsel. »Einfach nur wow!«, schrieb sie damals enthusiastisch. Auf dem Festival hatte auch Feine Sahne Fischfilet gespielt.

Die sächsischen Grünen forderten auch die Landesregierung und insbesondere den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zu einem entschlosseneren Handeln auf. Die Grünen haben einen runden Tisch zu Rechtsextremismus im Blick, an dem Vertreter von Zivilgesellschaft, Opferberatung, Jugendhilfe, Bildungseinrichtungen, Kirche und Parteien nach Lösungen suchen sollten. Zudem müssten die Jugendarbeit und Demokratieprojekte gestärkt werden. »Es ist höchste Zeit, Geld für Prävention und Opferberatung in die Hand zu nehmen«, erklärte Grünen-Landeschefin Christin Meldcher.

Derweil wird weiter darüber debattiert, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden soll. Sachsens Verfassungsschutz lehnt ein solches Vorgehen im Freistaat ab. Der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath, sagte am Dienstag im Rundfunk Berlin-Brandenurg (RBB), die rechtlichen Hürden dafür seien sehr hoch.

Die Landesinnenminister der SPD-geführten Bundesländer Niedersachsen und Bremen kündigten am Montag die Beobachtung der dortigen Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) an. Begründet wurde dies mit rechtsextremen Umtrieben. Offenheit für die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz zeigten auch einige CDU-Politiker wie die Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen, Lorenz Caffier und Herbert Reul. Mit Agenturen

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