Trümmer der Treuhand

Frustration im Osten lässt Fragen nach Ursachen lauter werden / Bundesregierung bleibt bei bekannten Antworten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Die neue Sammlungsbewegung »Aufstehen« benennt in ihrem Gründungsaufruf einen Grundkonflikt: Das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft sei gebrochen - dass nämlich »jeder, der sich anstrengt, auch zu Wohlstand kommen kann«. Die AfD beziehe den Zulauf für ihre menschenfeindlichen Positionen vor allem aus diesem sozialen Konflikt, zeigten sich die Initiatoren um Sahra Wagenknecht überzeugt. Oder, noch einmal aus dem Gründungsdokument: »Die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts, wachsende Unzufriedenheit und empfundene Ohnmacht schaffen einen Nährboden für Hass und Intoleranz.«

Das Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft wurde zuallererst im Osten gebrochen. Das Wirken der Treuhandanstalt, deren Aufgabe die Überführung der volkseigenen DDR-Betriebe in die Marktwirtschaft war, gestaltete sich für diese und die in ihnen beschäftigten Menschen zur Katastrophe. Dass die Leute im Osten zwischen diesen Erfahrungen und heutiger Perspektivlosigkeit einen Zusammenhang herstellen, könnte gut und gern einen Grund für die besondere Empfänglichkeit des Ostens für rassistische Ressentiments darstellen - auch wenn diese dadurch nicht weniger abscheulich werden.

Ein negativ besetzter Erinnerungsort der Jahre unmittelbar nach 1990 ist die Treuhand, für Ostdeutsche womöglich »der negativ besetzte Erinnerungsort der hochdynamischen und konfliktintensiven ›Vereinigungsgesellschaft‹«. Dies ist ein Ergebnis einer Studie, die der Historiker Marcus Böick von der Universität Bochum im letzten Jahr vorlegte. Die Frage danach, woher die Wut der Leute kommt, wo die Quellen ihrer Frustration sind, lässt die Treuhand in letzter Zeit wieder schärfer in den Blick auch der Politik geraten. Denn die nach dem Anschluss der DDR an die BRD ersten Erfahrungen der Zurücksetzung, der Ungleichbehandlung und Ignoranz von Lebensleistungen machten die DDR-Bürger im Zusammenhang mit dem Wirken der Treuhand. In einer schriftlichen Anfrage an die Bundesregierung fragte Jan Korte, Parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer der LINKEN im Bundestag, die Bundesregierung deshalb jüngst nach ihrer Bewertung, was die Arbeit der Treuhandanstalt und ihrer langfristigen Resultate betrifft. Und ob die Bundesregierung eine neue Aufarbeitung und eventuell Neubewertung dieser Arbeit für angeraten halte. Die Arbeit von Marcus Böick ist schon ein Ergebnis solcher Aufmerksamkeit. Denn den Auftrag zur Studie erteilte das Bundeswirtschaftsministerium.

Auch die Antwort an Jan Korte ist um Gründlichkeit bemüht. Ihr Inhalt könnte, was die wenigen wertenden Aussagen betrifft, jedoch mit leichten Variationen auch vor 20 Jahren schon gegeben worden sein. »Die Treuhandanstalt hat eine Grundlage für die marktwirtschaftliche Entwicklung auf der Basis privater Unternehmen in den neuen Ländern geschaffen. Die Bundesregierung sieht hierin rückblickend einen wesentlichen Baustein des Transformationsprozesses. Unterstützt durch umfangreiche Fördermaßnahmen hat sich bis heute in Ostdeutschland insgesamt eine wettbewerbsfähige Wirtschaft entwickelt ...«

In seiner Studie beschrieb Marcus Böick das Treuhandthema als eine »schwer zugängliche Zone im erinnerungskulturellen Konflikt- und Spannungsfeld zwischen Ost und West« sowie zwischen DDR und »Berliner Republik«. Auch die Antworten der Bundesregierung sind offenkundig Ausdruck eines speziellen, nämlich des regierungsamtlichen Zugangs zum erinnerungskulturellen Spannungsfeld Treuhand. Doch wenn der Beurteilung der Treuhand eine aktuelle Bedeutung zukommt, dann doch nur deshalb, weil alle bisherigen offiziellen Bewertungen offenbar nicht mit den Erfahrungen der Betroffenen im Osten zusammenpassen. Jan Korte hätte deshalb »eine deutlichere Positionierung zur Treuhand begrüßt«, wie er gegenüber »nd« kundtut. Die Bundesregierung könne die damaligen Entscheidungen nicht umkehren, »aber man kann alles dafür tun, die Fehler von damals aufzuarbeiten. Das ist keine geschichtspolitische Frage, sondern eine Frage des Respekts, der den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der DDR bis heute vorenthalten wird. Und was auch Auswirkungen bis heute hat, wenn ein großer Anteil der Bevölkerung im Osten sich weiterhin als Bürger zweiter Klasse fühlt.«

Doch geschichtspolitisch fängt die Manipulation schon in der Antwort selbst an. Die Bundesregierung weist die Verantwortung für die Aufgaben der Treuhand der Volkskammer der DDR und der letzten Regierung DDR unter Hans Modrow zu. Die habe die Privatisierung der volkseigenen Betriebe zum Ziel erklärt. Doch das ursprüngliche Ziel der Treuhand, die im März 1990 geschaffen wurde, war nicht Privatisierung um jeden Preis. Erst unter dem Druck der Wirtschafts- und Währungsunion und der damit beschlossenen Einführung der D-Mark wurde auch der Auftrag der Treuhand geändert. Diese konstituierte sich neu, erst ab Sommer 1990 waren ihr Eingriffe in die Geschäftsführung der unterstellten Unternehmen erlaubt. Der Zweck der Treuhand »wurde um 180 Grad gedreht«, wie Historiker Böick auf einer Veranstaltung formulierte.

Die Treuhand ist immerhin wieder in den Zenit der Aufmerksamkeit gerückt. Böick legte kürzlich ein 800 Seiten starkes Buch nach, in dem er nicht mehr nur Auffassungen über die Treuhand, sondern die Privatisierung des DDR-Staatsbesitzes selbst unter die Lupe nimmt. (»Die Treuhand: Idee - Praxis - Erfahrung 1990-1994«) In einer weiteren aktuellen Erscheinung stellt die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) den Zusammenhang zwischen den Erfahrungen der Ostdeutschen und dem Erfolg von Pegida und AfD im Osten in einen ungeschönten Zusammenhang. Der Titel ihres Buches: »Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten«. Köpping provoziert in ihren Veranstaltungen zur Vorstellung des Buches überdies mit der Forderung nach einer »Wahrheitskommission«, die wegen der Analogie zu einer Einrichtung dieses Namen nach dem Ende der Apartheid in Südafrika bei manchem vorhandene Aufarbeitungsvorbehalte noch verstärkt.

Jüngst forderte auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Treuhand. Und seit Mitte vergangenen Jahres untersucht das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin politik- und kulturgeschichtliche wie auch wirtschafts- und sozialhistorische Aspekte des Wirkens der Treuhand. Die Tatsache, dass die Arbeit vom Bundesfinanzministerium, also der für die Treuhand einst zuständigen Behörde gefördert wird, ist freilich geeignet, den Verdacht einer anhaltend einseitigen Interpretation von Geschichte zu nähren.

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