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Der Reiz des Illegalen

Christoph Ruf fragt sich, was Pyrotechnik in Fußballstadien mit Gewalt zu tun hat. Er meint: nichts.

Ein Haus ist ein Haus, ein Auto ist ein Auto, ein Haus ist etwas anderes als ein Auto. Keine Angst, werte Leserinnen und Leser, ich bin am Wochenende weder vom Balkon gefallen noch vor ein Auto gerannt. Es ist nur einfach so, dass man sich als Kolumnist, der von der Redaktion den Auftrag bekommen hat, über Fußball zu schreiben, manchmal rückversichern muss, ob man die einfachen Dinge des Lebens noch zuordnen kann.

Denn während sich bei Häusern die meisten Menschen einig sind, dass man sie nicht betanken muss, bevor man hineingeht, sind die Dinge beim Fußball nicht immer so eindeutig. Nehmen wir einmal das Thema Pyrotechnik. Menschen zünden eine Fackel an, die brennt und Rauch verursacht. Das eine sieht ganz nett aus, das andere stinkt, beides zusammen ist in deutschen Fußballstadien verboten. Tatsache.

Ebenfalls eine Tatsache ist es, dass nicht alle Menschen, die in einem Fanblock stehen, vor Freude im Kreis tanzen, wenn der Ultra mal wieder ein Feuerwerk entfacht. Dem Ultra ist das in der Regel egal. Auch wenn er das Gegenteil behauptet, geht es ihm doch eher um die anderen Ultras als um die ganze Kurve. Und Ultras finden Pyrotechnik nun mal mindestens so toll wie Tante Agathe die Gans zu Weihnachten. Auch Fakt. Genauso wie der Umstand, dass, wenn die bösen, bösen Ultras wieder herumfackeln, Tausende Handys von Tribünenbesuchern und Journalisten gezückt werden, die das Ganze schnell filmen. Nicht wenige von denen fordern danach Führerscheinentzug oder Gefängnisstrafen für die Ultras. Sie selbst finden das nicht widersprüchlich.

Zurück zum Haus und zum Auto. Denn ich habe ein Problem. Auch wenn ich es immer wieder lese, immer wieder höre und in Diskussionen mit Kollegen immer wieder mit vorwurfsvollem Ton vor den Latz geknallt bekomme: Nein, ich habe immer noch nicht begriffen, warum Pyrotechnik unter Gewalt fällt. Dass das Zeug bei unsachgemäßer Handhabung gefährlich sein kann, würde ich nie bestreiten. Aber Gewalt? Was zum Henker ist dann das, was Silvester rund um Mitternacht passiert? Ein kollektiver Gewaltexzess? Da sind die äußeren Umstände sicherer als im Stadion?

Wenn das so ist, unterliegt das Personal in den Notaufnahmen aber schweren Bewusstseinsstörungen. Denn das würde schwören, dass nicht samstagnachmittags die meisten Menschen mit Verbrennungen behandelt werden, sondern in der Nacht auf den 1. Januar, wenn der besoffene Papa und sein pubertierender Sohn mit Karacho durch die Häuserschluchten ballern. Ich bleibe also bei meiner offensichtlich gewagten These: Pyrotechnik kann man gut oder schlecht finden, aber mit Gewalt hat sie nichts zu tun.

Womit wir bei der Frage wären, die Politiker und Talkshow-Redakteure dieser Tage mal wieder mächtig umtreibt. Die Frage, ob die Gewalt im Fußball (zum 183. Mal) eine »neue Dimension« erreicht habe. Angeführt werden dann Beispiele wie die (tatsächliche) Gewalt vor der Partie Rostock gegen Nürnberg - ansonsten aber ausschließlich Beispiele, die mittelbar oder unmittelbar mit Pyrotechnik zu tun haben. Dortmund gegen Hertha? Pyrotechnik. Und wäre die Polizei weggeblieben, keine Verletzten. Wehen-Wiesbaden gegen den HSV? Kein Verletzter. Sonst ist eigentlich sowieso nichts passiert. Was die These von der neuen Dimension der Gewalt aber offenbar nicht weniger attraktiv erscheinen lässt.

Zum Schluss mal ein Gedankenexperiment. Was wäre eigentlich, wenn Politik und Polizei einfach mal klüger wären als die Ultras, die ihnen in Sachen Sturheit ja in nichts nachstehen? Letztere wollen partout nicht von Pyro lassen und frönen damit einem Hobby, das zwar im Stadion verboten, letztlich aber nahezu ungefährlich ist. Zumindest kann auch die Null-Toleranz-Fraktion keine besonders aktuellen Beispiele von Verbrennungen aufzählen. Also einfach mal ein Auge zudrücken? Vielleicht auch in der begründeten Hoffnung, dass weniger gezündet würde, wenn der Reiz des Illegalen entfällt?

Selbst wenn das nicht eintreten würde - die Vereine könnten wohl mit einem Schlag zwei Drittel ihrer Ordner abziehen. Denn auch die sind ja fast ausschließlich damit beschäftigt, Pyrotechnik zu suchen (und nicht zu finden). Vor allem könnte man jedes Wochenende eine vierstellige Anzahl an Polizisten einsparen, die sich dann um die wirklichen Problemfälle kümmern könnten.

Christoph Rufs Buch »Fieberwahn: Wie der Fußball seine Basis verkauft« hat bei der Wahl zum »Fußballbuch des Jahres 2018« gerade den zweiten Platz belegt.

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