Bevormundung bleibt Gesetz

Große Koalition einigt sich auf Abmilderung des Verbots, für Abtreibung zu »werben«

Seit Montagabend liegt er vor: Der Referentenentwurf der Bundesregierung für eine »Reform« des Strafrechtsparagrafen 219a. Der stellt »Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe. An der Erarbeitung des Gesetzespakets waren Bundesjustizministerin Katarina Barley, Frauen- und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD), Gesundheitsressortchef Jens Spahn (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) beteiligt. Über Eckpunkte der geplanten Maßnahmen hatten sie sich bereits im Dezember geeinigt.

Vorgesehen ist eine Ergänzung von Paragraf 219a um einen »Ausnahmetatbestand«. Danach dürfen Ärzte und Krankenhäuser künftig bekanntmachen, dass sie Abtreibungen durchführen. Auskünfte über die Methoden, die sie anbieten, sind aber weiter untersagt. Diese dürfen nur an die Bundesärztekammer weitergegeben werden. Die soll künftig eine zentrale Liste der Ärzte führen, die den Eingriff vornehmen. Die Übersicht soll monatlich aktualisiert und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung übermittelt werden. Diese soll sie wiederum ungewollt Schwangeren zugänglich machen. Bestandteil der Liste sollen auch Informationen darüber sein, wer welche Methoden des Abbruchs anbietet.

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Parallel zu diesen Maßnahmen will die Koalition die Altersgrenze, bis zu der die Krankenkassen die Kosten für Verhütungsmittel übernehmen, von 20 auf 22 Jahre heraufsetzen. Außerdem soll die Qualifizierung von Ärzten zu Methoden des Schwangerschaftsabbruchs verbessert werden. Bislang sind praktische Kenntnisse darüber in Deutschland nicht Teil der regulären Facharztausbildung für Gynäkologinnen und Gynäkologen.

Die Neuregelungen sollen am 6. Februar im Bundeskabinett beraten werden, danach muss der Bundestag sie beschließen.

SPD-Politikerinnen versuchten, den Kompromiss als Erfolg zu verkaufen und erklärten, es gebe nun »Rechtssicherheit« für Ärzte. Von LINKE-, Grünen- und FDP-Politikerinnen hagelte es derweil Kritik. Die Ärztin Kristina Hänel konstatierte am Dienstag, die Informationen, die sie auf ihrer Webseite veröffentlicht habe, blieben auch mit der geplanten Novelle strafbar. Hänel war im November 2017 wegen Verstoßes gegen Paragraf 219a zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden. Bereits zuvor hatte die Gießener Medizinerin eine Petition für eine Streichung des Paragrafen initiiert. Hänel will trotz der geplanten Änderungen weiter für dieses Ziel streiten und dafür, wenn nötig, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Gleichwohl sieht sie die Tatsache, dass Mediziner künftig überhaupt informieren dürfen, als Erfolg der vielen Proteste gegen das »Werbeverbot«.

Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, wertete die Einigung als »Kotau der SPD vor dem Koalitionspartner«. »Ärzte dürfen auch weiterhin nicht entscheiden, wie sie Schwangere informieren«, kritisierte er. Das sei ein »Misstrauensbeweis«. Ursprünglich hatte die FDP selbst lediglich eine Abmilderung von Paragraf 219a vorgeschlagen. Seit dem vergangenen Herbst spricht sie sich aber für eine Streichung aus. Damit gäbe es im Parlament eine Mehrheit für eine Abschaffung, wenn die SPD ebenfalls dafür stimmen würde. Sie hatte noch im Frühjahr 2018 einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, diesen aber nach Protest der Unionsparteien zurückgezogen.

Scharfe Kritik an den Regierungsplänen äußerten auch die LINKE-Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring und die Journalistin Antje Schrupp. Möhring betonte, was »auf den ersten Blick nach einer Verbesserung« aussehe, offenbare »auf den zweiten Blick das skandalöse Frauenbild der Regierungskoalition«. Die »Gängelung der Ärztinnen« gehe weiter, der Schwangerschaftsabbruch bleibe tabuisiert. Weiter wies Möhring darauf hin, dass das Bereitstellen von Informationen über staatliche Webseiten längst möglich ist. Eine Änderung des Paragrafen 219a sei dafür nicht nötig. Die Regierung, so Möhring, müsse »endlich verstehen, dass Frauen vernunftbegabte Wesen sind, die selber über ihren Körper zu entscheiden haben«.

Nach Einschätzung von Antje Schrupp ist der neue Paragraf sogar »schlimmer« als der alte. Denn Informationen »über die Art und Weise eines Abbruchs« würden damit »offiziell illegal«, während der alte Gesetzestext diesbezüglich uneindeutig sei, schreibt die Autorin in ihrem Blog. Klarheit werde damit nur im Sinne der Abtreibungsgegner geschaffen.

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