Das doppelte Spiel des Julian Reichelt

Die »taz« lädt »Bild«-Chef Julian Reichelt zum Nachbarschaftsplausch ein und kumpelt dabei mit dem rechten Scharfmacher

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 5 Min.

Locker steigt Julian Reichelt aus einem neuen Audi mit verdunkelten Scheiben aus, zeigt seinem Personenschützer etwas auf seinem Smartphone, lacht, und zündet sich eine Zigarette an. Als er sie fertig geraucht hat, geht er auf »taz«-Reporter Martin Kaul zu. Beide sind lässig in Jeans gekleidet und Ende 30, man versteht sich. Reichelt, seit 2017 Chefredakteur der »Bild«, hat sich über die Einladung der »taz« zu einem Nachbarschaftsgespräch gefreut. Das sieht man ihm an.

Im Rahmen des jährlich stattfindenden Kongresses »tazlab«, zu welcher die Tageszeitung Politiker und Medienexperten einlädt, um über gesellschaftlich relevante Fragen zu diskutieren, trifft Kaul am Abend des 6. Aprils den »Bild«-Chef, um mit ihm über Heimat, Sehnsüchte, Deutschland, Europa und das Nachbarschaftsverhältnis von »taz« und »Bild« zu reden.

Zusammen trinken Reichelt und Kaul noch ein Bier, vor dem Veranstaltungsort, der zwischen dem neuen »taz«-Gebäude und dem Axel-Springer-Haus liegt. Noch bis vor Kurzem lagen die Redaktionsräume der beiden Medien in direkter Nachbarschaft, in der Rudi-Dutschke-Straße. Doch das hat sich mit dem Umzug der »taz« Ende letzten Jahres in die Friedrichstraße 21 geändert.

Während sich Reichelt und Kaul biertrinkend annähern, verteilen junge Leute rosa Flugblätter, auch Reichelt bekommt eines. Der Titel des Papiers lautet: »There`s something wrong in your neighborhood…« (zu Deutsch: »Es läuft etwas falsch in ihrer Nachbarschaft«). Reichelt wirft nur einen Blick auf das Flugblatt und plaudert fröhlich weiter.

Andreas Funk von der Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative«, die hinter den rosa Blättern steht, sagt gegenüber »nd«, dass der »Bild«-Chef ein »krasser Hetzer« sei. Des Weiteren sei es bedauerlich, »dass der Liberalismus der taz so weit reicht, dass sie einem Rassisten wie Reichelt ein Podium bietet«, so Funk.

Kritik mit Charme

Kaul, Reporter in der Chefredaktion der »taz« und bekannt geworden durch Video-Live-Berichterstattung beim G20-Gipfel in Hamburg 2017, beginnt die Veranstaltung mit einem Verweis auf die Geschichte der beiden Medienhäuser. »Wir wollten schon immer die «Bild» bekämpfen, und wir machen das bis heute, aber mit Charme«, sagt Kaul. Er habe Reichelt eingeladen, damit man nicht immer »nur mit den eigenen Kosmen« redet. Er fragt das Publikum, ob es okay sei, Reichelt zu duzen, eine Mehrheit entscheidet sich dafür.

Kaul versucht einen Widerspruch zwischen der »Refugees Welcome Kampagne« der »Bild« von 2015 und der heutigen abschiebefreundlichen Ausrichtung des Blattes herauszuarbeiten. Sein Gegenüber will den nicht gelten lassen und bezieht sich einfach auf Beides und bleibt geschickt vage. Deutsche Bahnhöfe hätten 70 Jahre lang für Deportation gestanden, jetzt für Fluchthilfe. »Der Preis, den wir dafür zahlen, ist extrem hoch, aber es hat sich gelohnt«, so Reichelt.

Das höre sich ja fast so an, als ob jemand von der »taz« spreche, witzelt Kaul und das Publikum lacht. »Ich war nach meiner Syrienberichterstattung einer der treibenden Kräfte in der «Bild»- Redaktion, die gesagt hat, wir müssen den Menschen Zuflucht geben«, sagt Reichelt. Gleichzeitig fände er es wichtig, dass Flüchtlinge konsequent abgeschoben würden, die kein Bleiberecht hätten. Die Entscheidung Merkels, Flüchtlinge aufzunehmen, kritisiere er nicht, aber »das Management der Flüchtlingskrise«.

Reichelt bezieht sich auf den ehemaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß. In Anlehnung an seinen Ausspruch »Rechts von uns ist nur noch die Wand«, sagt Reichelt: »Ich will, dass rechts von der «Bild» nur noch die Wand ist.«

Wenn AfD-Wähler*innen keine Rassisten sind

Reichelt ist sich sicher, dass die AfD so erfolgreich geworden sei, weil viele Menschen Angst hätten, direkt in die Ecke der »Fremdenhasser« gestellt zu werden, wenn sie bestimmte Dinge sagten. Es sei ihm wichtig, den Menschen, die für ein Burka-Verbot seien, zu zeigen, dass »Bild« sie abhole. Solche Themen will er nicht »Compact« oder der »Jungen Freiheit« überlassen.

Lesen Sie hier den Kommentar: Unfassbar - Leo Fischer über die gar nicht neue »Bild«-Methode, mit Fremdenhass Geld zu verdienen.

Auch als Kaul nach Reichelts Idealvorstellungen von Europa fragt, bemüht sich Reichelt, AfD-Positionen einzuschließen. Er fordert harte Außengrenzen, aber auch europäische Gesetze für »legale Einwanderung«. Er will klare Regeln, die Europa dann auch durchsetzt. Der Brexit zeige gerade zum zweiten Mal, nach der Schuldenkrise Griechenlands, dass Europa zu nachgiebig sei. Der »taz«-Reporter hört verständnisvoll zu, Kritik bleibt aus, auch stellt er Reichelt keine andere Vision für Europa gegenüber.

Echte Kritik gibt es dann aber doch noch, und zwar aus dem Publikum. Eine junge Frau fragt vorwurfsvoll, warum »Bild« das Video des Christchurch-Attentäters gezeigt habe, ein Mann wirft Reichelt vor, sein Medium trage mit tendenziösen Überschriften dazu bei, dass Menschen sich vor Ausländern bedroht fühlten und Rassismus erstarke.

Ein großer Teil des Publikums lässt sich von Reichelt nicht hinters Licht führen. Das wird in den Gesprächsrunden nach Ende der Veranstaltung deutlich. Trotzdem bleibt am Ende der Veranstaltung der Eindruck, »taz« und »Bild« seien sich nicht mehr so fern, wie noch zu Gründungszeiten der linken Tageszeitung. Das ist keine gute Bilanz des Nachbarschaftsgespräches.

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