Wenn das eigene Leben zum Krimi wird

Gegen Ercan Özçelik liegt in der Türkei Haftbefehl vor. Der Tatort-Schauspieler weiß auch, wer ihn denunzierte

  • Flo Osrainik
  • Lesedauer: 5 Min.

Den Mund will er sich nicht verbieten lassen. So viel steht fest für Ercan Özçelik, bekannt aus einigen Folgen als »Tatort«-Kommissar Bülent Îsi sowie aus diversen Fernseh- und Kinofilmen. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl in der Türkei vor.

Eigentlich hatte der Deutsch-Türke sich nur erkundigen wollen, warum seine blaue Karte, die sogenannte Mavi Kart für ehemalige türkische Staatsbürger, nicht mehr gültig sei. Daraufhin teilte man ihm im türkischen Konsulat in Berlin mit, dass er gesucht wird. Özçelik solle zur Klärung der Sache doch demnächst in die Türkei reisen, so die magere Auskunft einer Dame im Konsulat. Mehr verriet man ihm nicht.

Von einem Anwalt aus der Türkei erfuhr er später, dass ihn die türkische Justiz wegen angeblicher »Propaganda für eine Terrororganisation« suchte. Außerdem müsse er sich für diesen Fall einen anderen Anwalt nehmen. Der in Berlin lebende Schauspieler wusste nicht, wie es zu dem Vorwurf gegen ihn gekommen war, da er »weder Mitglied irgendeiner Organisation« sei, noch jemals für »eine Terrororganisation Werbung« gemacht habe. Also, sagt Özçelik, »habe ich mich an Politiker gewendet«, denn solange die Sache ungeklärt ist, wolle er aus Furcht vor einem Zugriff nicht in die Türkei. Die Reise zur Beerdigung seiner Mutter in Istanbul trat er nicht an.

Özçelik versuchte, Kontakt mit Cem Özdemir von den Grünen und mit mehreren SPD-Politikern aufzunehmen, »darunter auch das Büro des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier«. Er schrieb auch mehrere EU-Abgeordnete an. Vergeblich. Es kam in der Folge lediglich zu einem einzigen Treffen mit einer Bundestagsabgeordneten von der Linkspartei in Berlin.

Warum sich aus der Politik kaum jemand für seinen Fall interessiert, man aber doch so gerne moralische Appelle in Richtung AKP-Regierung loslässt, kann sich der Schauspieler nicht so recht erklären. Vielleicht liege es einfach nur daran, dass er nicht in die Falle getappt sei, sich in der Türkei verhaften zu lassen. Womöglich möchte man auch die türkische Regierung, etwa wegen diverser Rüstungsgeschäfte, nicht weiter verärgern, vermutet Özçelik als einen Hintergrund.

Erst nachdem er sich einen neuen Anwalt in der Türkei genommen hatte - einen ehemaligen Abgeordneten der Oppositionspartei CHP, Hüseyin Aygün - erfuhr er, wie der Haftbefehl gegen ihn zustande kam.

Bei einem Schauspielworkshop, den Özçelik 2016 in Istanbul leitete, fiel ihm ein Teilnehmer auf. Der interessierte sich weniger für Schauspielerei, sondern protestierte hauptsächlich gegen die Einladung eines Gastdozenten - wegen dessen »prokurdischer« Haltung. Dieser Dozent war Ilyas Salman, ein bekannter türkischer Schauspieler, Regisseur und Autor. Der Teilnehmer, den Özçelik als »jüngeren Türken« beschreibt, habe ihn dann während des Putschversuchs in der Türkei vom 15. Juli 2016 über die Chat-Gruppe des Workshops angeschrieben. Wegen der Ereignisse an diesem Tag kam es zu einem politischen Disput zwischen den beiden.

In dem privaten Chat habe er nur seine »ablehnende Meinung« über die religiös-nationalistische AKP-Regierung zum Ausdruck gebracht: Diese habe einen Putsch verdient für die Verfolgung und Inhaftierung von Oppositionellen, Journalisten oder Kritikern, die bloß ihre Arbeit machen oder ihre Bürgerrechte wahrnehmen, fasst Özçelik seine Aussage zusammen. Diese habe dem Teilnehmer nicht gepasst, der während des Putsches auf den Straßen Istanbuls unterwegs gewesen sei und bekennender AKP-Anhänger ist. Ein paar Monate später zeigte er Özçelik an. Dafür legte er das Streitgespräch aus der Chat-Gruppe sowie Äußerungen seines Workshop-Leiters auf Facebook vor. Der Schauspieler, der 1966 in Ordu am Schwarzen Meer geboren wurde, mit sechs nach Deutschland gekommen war und Alevit ist, geht davon aus, dass der Mann ein AKP-Spion war. Aleviten stehen in der Türkei ohnehin unter Generalverdacht.

Der gegen ihn ausgestellte Haftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul stammt vom Januar 2017. Seit der Schauspieler davon weiß, vermeidet er zwar Reisen in die Türkei, nicht aber Kritik an der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan. Für den 18. Juli 2019 ist er zu einer Anhörung in Istanbul geladen. Dazu wird er nicht erscheinen, obwohl sein Anwalt in Ankara nicht von einer Verhaftung ausgeht. »Wenn Sie kommen, könnten Sie aussagen und wieder gehen. Ich glaube nicht, dass man Sie verhaftet. Ich würde gerne wissen, wie Sie darüber denken«, schrieb ihm Aygün ihm vor wenigen Tagen per Mail. Özçelik traut den, wie er sie nennt »gleichgeschalteten Gerichten« in der Türkei jedoch nicht mehr. Er persönlich geht sehr wohl davon aus, dass man ihn zunächst einsperren würde - wie so viele andere zuvor.

Jenseits des Haftbefehls aus der Türkei will Anwalt Aygün unbedingt etwas über das »Thema Interpol« erfahren. Özçelik befürchtet nämlich, dass auch ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vorliegen könnte. Von den türkischen Behörden hat er dazu bisher aber keine weiteren Informationen erhalten.

Özçelik möchte seine Meinung »gegenüber dem AKP-Regime jetzt erst recht« kritisch äußern und die demokratischen Oppositionsparteien unterstützen. Die Menschen sollen sich nicht länger durch Denunziation verunsichern lassen. Sie sollen ihre Meinung über die politische Situation in der Türkei ohne Angst vor Repressionen äußern. Und wenn es bloß ein Beitrag in den sozialen Medien ist.

Von der deutschen Politik und den Medien fordert Özçelik mehr Unterstützung, nicht nur für sich, dafür müsse er ja nicht erst verhaftet werden, sondern insgesamt für den Erhalt der Bürgerrechte in der Türkei.

Trotz des jüngsten Sieges des oppositionellen CHP-Politikers Ekrem İmamoğlu bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul bleibt der Berliner skeptisch. Selbst wenn die AKP durch angekündigte Parteineugründungen einiger AKP-Politiker geschwächt werden könnte, wäre »das Ein-Mann-System« ja »nicht passé«, da Erdoğan und seine »hinterherdackelnden Hampelmänner« blockieren würden, wo sie nur können. Auch in Istanbul. In wichtigen Positionen, ob als Richter, bei der Polizei oder im Militär seien überall »AKP-Mitglieder am Werk«. Letztlich sei es aber nur eine Frage der Zeit, bis auch diese »gefügigen Figuren umfallen«, wenn das Volk nur weiter aufbegehre. Erdoğan sei dagegen »verbohrt und vernarrt in sein einsames System«, analysiert Özçelik. Wie die Türkei sich weiterentwickele, müsse man eben abwarten. Gleiches gilt für seinen Haftbefehl. Es ist völlig ungewiss, wie es damit weitergehen wird.

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