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Kein Wohnberechtigungsschein für Flüchtlinge
Flüchtlingsrat kritisiert die Berliner Praxis bei der Vergabe vom WBS in Abhängigkeit vom Aufenthaltsstatus
Nicht mal eine Aufenthaltserlaubnis sichert Flüchtlingen den Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) in Berlin. »In Berlin werden Geflüchtete auf absehbare Zeit für Jahre in Wohnungslosenunterkünfte eingewiesen«, so Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. Eine Mietwohnung bleibe vor allem für Familien mit Kindern unerreichbar, kritisierte Classen am Sonntag. Ein Grund: Dauerhaft bleibeberechtigte Familien mit Kindern haben häufig nicht zum selben Zeitpunkt den Aufenthaltstitel erhalten. Wegen der unterschiedlichen Taktung der Aufenthaltsverlängerung geschieht es häufig, dass zum Zeitpunkt der Beantragung des WBS ein Familienmitglied einen gültigen Aufenthalt von unter elf Monaten hat. Damit verliert die gesamte Familie ihren Anspruch.
Besonders kritisiert der Flüchtlingsrat in dem Zusammenhang die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, aber auch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Obwohl diese im vergangenen Jahr am Runden Tisch »Alternativen zur öffentlichen Unterbringung Geflüchteter« zugesagt hatten, die rechtlichen Spielräume hinsichtlich des WBS für Flüchtlinge erneut prüfen zu lassen, sei dies nicht ergebnisoffen geschehen, wirft der Flüchtlingsrat den zuständigen Staatssekretären Sebastian Scheel und Daniel Tietze (beide LINKE) nun vor. Nicht einmal das Ziel einer Verbesserung der Situation für wohnungslose Geflüchtete sei zu erkennen, so Classen. Im Gegenteil lassen die im Rahmen der angekündigten Prüfung angefertigten Vermerke den Schluss zu, dass eine Ausweitung der Antragsbefugnis zum WBS auf Asylsuchende und Geduldete verhindert werden solle.
In einem Vermerk der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vom 4. April 2019 wird so beispielsweise der Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Engelhard Mazanke, um seine Einschätzung zur bestehenden Praxis gebeten. Dieser argumentiert im Sinne des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dass eine Einzelfallprüfung von Menschen aus Personengruppen ohne sogenannte Aufenthaltsperspektive einen Mehraufwand erfordere, der mit dem »Nutzen in keinerlei Verhältnis stünde«.
In einem anderen Vermerk vom 7. Mai 2019 wird seitens der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen darauf verwiesen, dass es aufgrund der geringen Anzahl von Sozialwohnungen in Berlin nicht zielführend sei, die Anzahl der Anspruchsberechtigten zu erhöhen. Aber, argumentiert Classen für den Flüchtlingsrat, diese Argumentation blende aus, dass der WBS in Berlin auch maßgebliches Vergabekriterium für 300 000 weitere, nicht als Sozialwohnungen zählende landeseigenen Wohnungen ist. Statt dies zu berücksichtigen, so Classen, seien 22 000 Flüchtlinge in Berlin auf unabsehbare Zeit in Sammelunterkünften untergebracht und viele weitere als Wohnungslose in Obdachlosenunterkünfte eingewiesen worden.
»Wenn der Flüchtlingsrat behauptet, Berlin habe genügend Sozialwohnungen, ist er über die Wohnungssituation einfach schlecht informiert«, sagt Petra Rohland, Sprecherin der Stadtentwicklungsverwaltung. Von 300 000 Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaften seien nicht alle für WBS-Berechtigte, aber es gebe durch Kooperationsvereinbarung festgelegte Kontingente. Mit der Erteilung eines WBS für Asylsuchende und Geduldete werde das Problem allein nicht gelöst, so Rohland. Auch in der Senatsverwaltung für Integration und Soziales ist man mit der Kritik nicht einverstanden: Man arbeite eng mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zusammen, dies belege der Runde Tisch, so eine Sprecherin, und halte an dem Vorhaben fest, mehr Flüchtlinge mit Wohnraum zu versorgen.
Der Flüchtlingsrat hatte zu einer Sitzung des Runden Tisches eine unvollständige Recherche zur Weisungslage und Vergabepraxis in anderen Bundesländern vorgelegt. Beispielsweise wird dargelegt, dass in anderen Bundesländern für einen WBS-Anspruch meist auf eine Gesamtlaufzeit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis von 12 Monaten abgestellt wird, nicht aber auf deren »Restlaufzeit« wie in Berlin.
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