Antifa droht das Aus

Ist die VVN-BdA kommunistisch? Der Verfassungsschutz behauptet: Ja.

Sie sind immer da, wenn Nazis aufmarschieren wollen, die meist älteren Damen und Herren der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Mit Fahnen und Transparenten in der Hand stehen sie oft in der ersten Reihe und rufen den Nazis »Nie wieder Faschismus!« entgegen. Sie sorgen für den symbolischen Schutz von »Stolpersteinen« und Gedenkstätten, wenn Nazis an ihnen vorbeimarschieren, und sie stellen in vielen Städten sicher, dass nicht vergessen wird. Egal ob am Holocaustgedenktag, dem Tag der Befreiung, dem Antikriegstag oder wenn an lokale Naziverbrechen erinnert wird, die VVN kümmert sich, organisiert, ist vor Ort. Minutiös haben Mitglieder des Vereins in vielen Städten fast vergessene Orte der nationalsozialistischen Herrschaft recherchiert und informieren über das Leid in tausenden kleinen Lagern, Polizeizellen oder Fabriken in der Nazizeit. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, gerade in der Fläche, sie wäre ohne die Mitglieder der VVN-BdA wohl längst nicht so weit, und vieles wäre bis heute unbekannt geblieben.

Für den bayerischen Verfassungsschutz ist die Vereinigung »die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus«. Mit übrigens gerade einmal 6000 Mitgliedern in ganz Deutschland. Das hat nun ernste Folgen. Das Berliner Finanzamt hat dem Bundesverband der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen. Bleibt es bei dieser Entscheidung, müsste der VVN Steuern in fünfstelliger Höhe für die vergangenen Jahre nachzahlen. Auch würden die Mieten für öffentliche Räume steigen, und an Gelder von Stiftungen oder Förderprogrammen würde die Vereinigung ohne Gemeinnützigkeit auch nicht mehr so einfach kommen. Die Fortführung der bisherigen Arbeit wäre nur schwer möglich. Schon im Frühjahr erhielten mehrere Gruppen der VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen (NRW) Bescheide ihrer Finanzämter mit der Information, dass ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Protest mehrerer Stadträte und ein Schreiben von Bundestagsabgeordneten von Linkspartei, SPD und Grünen führten in NRW allerdings zu einem Umdenken. Am 22. Oktober erhielt der Landesverband NRW einen neuen Freistellungsbescheid, in dem es heißt: »Die Körperschaft fördert ausschließlich und unmittelbar folgende gemeinnützige Zwecke: Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge und Vertriebene.« Seitdem sind die Antifaschisten an Rhein und Ruhr wieder in Sicherheit und können weiterarbeiten wie bisher.

Wann gelten Vereine als gemeinnützig?

Die Gemeinnützigkeit ist in Paragraf 52 der Abgabenordnung festgelegt. Dort sind gemeinnützige Zwecke aufgelistet. Die Liste umfasst 25 Punkte, darunter erstaunliche Details. Unter Punkt 21 zur »Förderung des Sports« wird etwa explizit angemerkt, dass Schach als Sport gilt. Die restlichen Zwecke sind weitläufig und umfassen fast alle Themen, für die sich jemand engagieren kann, von der Lebensrettung bis zum Heimatschutz. Politisches Engagement findet sich dort nicht wieder. Für Vereine ist es wichtig, gemeinnützig zu sein, weil so Spenden an sie von der Steuer abgesetzt werden können. Auch müssen Vereine Einnahmen, etwa aus Veranstaltungen oder Verkäufen, nicht versteuern. Gemeinnützige Vereine werden in der Regel alle drei Jahre vom Finanzamt überprüft. Dabei geht es um Einnahmen und Ausgaben, und ob diese einem gemeinnützigen Zweck entsprechen. Nachdem der Bundesfinanzhof im Februar entschieden hatte, dass »Attac« die »politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen« beeinflusst und nicht in der klassischen Bildungsarbeit tätig ist, hat die NGO ihre Gemeinnützigkeit verloren. Andere politische Vereine folgten. Das Bundesfinanzministerium hat eine Neuregelung der Gemeinnützigkeit angekündigt. swe

Auch für die nordrhein-westfälischen Finanzämter war der bayerische Verfassungsschutzbericht ausschlaggebend. Bayern ist das letzte Bundesland, das die VVN-BdA in seinem Bericht erwähnt. Aus dem bundesweiten Bericht wurden sie 2006 gestrichen. In Bayern ist man allerdings der Meinung, die Vereinigung arbeite »mit offen linksextremistischen Kräften« zusammen. Der Antifaschismus der VVN-BdA diene »nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt.« Im Klartext: Die Nazigegner sind Kommunisten. Dafür werden jedes Jahr andere Argumente herangezogen. Im Bericht über das Jahr 2017, auf dessen Grundlage dem Bundesverband nun die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, ist es etwa ein Beitrag des VVN-Bundessprechers Ulrich Sander in der Zeitung der DKP. Darin warnt Sander anlässlich des Antikriegstags vor deutschem Großmachtstreben. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht reicht eine Rede des DKP-Vorsitzenden Patrick Köbele aus, in der dieser die VVN als Bündnispartner erwähnt und lobt, dass viele Parteimitglieder auch in der Vereinigung aktiv sind.

Ganz unrecht hat der bayerische Verfassungsschutz mit seiner Einschätzung nicht. In der Vereinigung sind viele Kommunisten aktiv. Das ist in der bundesrepublikanischen Geschichte, begründet. Als die VVN sich 1947 gründete, waren dort auch sozialdemokratische und konservative Naziopfer aktiv, im Zuge des Kalten Kriegs gründeten sie aber eigene Vereinigungen und ließen die Kommunisten im VVN alleine. Der CDU-nahe »Bund der Verfolgten des Naziregimes« unterhält heute nur noch eine Internetseite des Berliner Ablegers, die letztmals 2006 aktualisiert wurde. Der sozialdemokratische »Arbeitskreis ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten« bekannte jüngst seine Solidarität mit der VVN-BdA. In einer Erklärung heißt es, man hoffe, der fachlich zuständige Berliner Finanzsenator werde »historische Sensibilität« beweisen und seine Entscheidung revidieren.

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