Knapper Sieg dank geballter Kräfte

Leipziger Rathaus bleibt in SPD-Hand / CDU-Politiker empört mit Zuwanderer-Schelte

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Leipzig ist nicht gekippt - aber viel hat nicht gefehlt. Nur haarscharf hat der SPD-Politiker Burkhard Jung seinen Chefposten im Leipziger Rathaus verteidigt und verhindert, dass erstmals nach 30 Jahren ein CDU-Politiker an die Spitze der Verwaltung in Sachsens größter Stadt rückt. Jung kam im zweiten und entscheidenden Wahlgang auf 49,1 Prozent. Er lag damit 1,5 Punkte vor Herausforderer Sebastian Gemkow. Der Vorsprung betrug lediglich 3358 Stimmen. Den ersten Wahlgang hatte Gemkow noch für sich entscheiden können. Als dritte Kandidatin kam Ute Gabelmann (Piraten) auf 3,3 Prozent.

Den Wahlsieg für Jung sicherte der Rückzug von drei Mitbewerberinnen aus dem »Mitte-Links-Lager«. Franziska Riekewald (Linke), die Grüne Katharina Krefft und Katharina Subat (Die Partei) waren in Runde zwei nicht erneut angetreten und hatten mehr oder weniger deutlich zur Wahl Jungs aufgerufen. Das trug maßgeblich dazu bei, dass dieser seine Stimmenzahl von 68 000 auf 111 000 steigern konnte. In Runde eins erhielten die vier Kandidaten in Summe 132 000 Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag jetzt nur marginal unter der von Anfang Februar. Riekewald sah sich im knappen Ausgang in ihrem Entschluss zu Rückzug und Empfehlung für Jung bestätigt: »Das war die einzig richtige Entscheidung.« Ihre Parteifreundin Jule Nagel rät, aus dem knappen Ausgang Konsequenzen für künftige Wahlen zu ziehen: »Für die Zukunft geht nur ein*e gemeinsame Mitte-Links-Kandidat*in«, schrieb sie auf Twitter: »Solche Allianzen sind sinnvoll und tragfähig.«

Der »Stimmentransfer« und damit das Bündeln der Kräfte funktionierte in verschiedenen Teilen der Stadt dabei unterschiedlich gut. In Ortsteilen wie der Südvorstand sei Jung nur sechs Prozentpunkte unter dem summierten Wahlergebnis von SPD, Linke, Grünen und »Partei« aus Runde eins geblieben, heißt es in einer ersten Analyse von Tilman Loos, Sprecher der Linkspartei in Sachsen und Leipziger mit »Herz für Zahlen und Tabellen«. Ähnliches gelte für Gebiete wie Plagwitz oder Volkmarsdorf. »Dort, wo der Transfer besonders nötig war, hat er auch funktioniert«, sagt Loos. In etlichen Gebieten vor allem am Stadtrand habe Jung am Sonntag trotz der Unterstützeraufrufe aber kaum hinzugewonnen oder sogar an Stimmen eingebüßt.

Ohnehin aber sicherte vor allem der Zuspruch in der »Kernstadt« den Erfolg Jungs. Er lag in 21 Ortsteilen vor Gemkow, die alle in der Mitte des Stadtgebiets liegen. Auf einer Karte wirken sie wie ein roter Kern, um den sich ein schwarzer Kragen schlingt: 42 Ortsteile, in denen Gemkow die Nase vorn hatte und die in Vorstädten und nach 1990 eingemeindeten Ortschaften liegen. Der Politologe Hendrik Träger von der Uni Leipzig sprach gegenüber dpa von einem »klassischen Stadt-Land-Gefälle, komprimiert in einer 600 000-Einwohner-Stadt«.

Die Erkenntnis ist nicht neu; schon bei Kommunal- und Landtagswahl gab es am Stadtrand hohe Stimmanteile für CDU und AfD. Gemkow konnte diese mobilisieren, aber auch jenseits traditioneller Mitte-Rechts-Milieus punkten und fuhr so das beste CDU-Ergebnis in Leipzig seit 1990 ein. Zuletzt war Uwe Albrecht im Jahr 2006 auf 44 Prozent gekommen - bei der Wahl, zu der Jung erstmals als OB kandidiert hatte. Dass dieser nun 14 Jahre später so große Probleme hatte, den Posten zu verteidigen, wird mehreren Faktoren zugeschrieben. So hatte er sich zwischenzeitlich für einen gut dotierten Posten beim Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverband beworben, was manche Wähler als Untreue gegenüber der Stadt empfunden haben dürften.

Zudem hat seine Kampagne offenbar erfolgreich das Thema Herkunft besetzt. Gemkow ist in Leipzig geboren, Jung 1991 aus Siegen zugezogen, wie CDU-Kreischef Thomas Feist am Wahlabend in einem drastischen Vergleich noch einmal erinnerte. »Wenn eine Katze in einem Fischladen Junge bekommt - sind das dann Fische?«, fragte er und betonte, ein in der Stadt Aufgewachsener habe zu ihr »ein anderes Verhältnis als jemand, der seit 29 Jahren hier lebt«.

Der Satz stieß auf Kritik. Henning Homann, Generalsekretär der sächsischen SPD, nannte es »unwürdig, Leipzigern ihr Leipziger-Sein« abzusprechen. Feist habe wenig von einer »wachsenden, internationalen Stadt« verstanden. In dieser stellten die in Leipzig Geborenen im Übrigen schon 2013 nicht mehr die Mehrheit, sagt Roman Grabolle, der als wohnungspolitischer Aktivist demografische Entwicklungen im Blick hat. Seither gab es weiter erheblichen Zuzug. Die Bemerkung Feists hat laut Grabolle ein handfestes politisches Ziel. Ihre Botschaft laute, dass Gemkow gewonnen hätte, wenn nicht »Zugezogene« dem SPD-Mann den Job gerettet hätten. So wird eine Spaltung vertieft, die zu überwinden sich Jung nach seinem Sieg vornahm: Er wolle »der Oberbürgermeister aller Leipzigerinnen und Leipziger sein«.

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