Spielen in der Bonner Republik

SONNTAGSSCHUSS: Der Fußballosten hat in dieser Saison besonders gelitten. Doch das ist nur ein Teil des Problems, meint Christoph Ruf

Noch drei Spiele, dann ist die Saison, die keine war, endlich zu Ende. Ingolstadt und Nürnberg spielen die Relegation zwischen zweiter und dritter Liga aus, Heidenheim und Bremen treffen sich im Rückspiel um den Startplatz in der ersten Liga. Es sind allesamt Westvereine.

Für den Fußballosten war die Saison hingegen eine der schwersten in den schwierigen letzten 30 Jahren. Aus der einzigen bundesweiten Liga, in der in nennenswerter Zahl Vereine aus dem Osten spielen, der dritten, kommen mit Chemnitz und Jena zwei von vier Absteigern aus der damaligen DDR. Mit Ausnahme von Rostock, das bis Sonnabend sogar noch theoretische Aufstiegschancen hatte, waren auch alle anderen Ostvereine massiv abstiegsgefährdet: Zwickau, Halle und Magdeburg belegen die letzten drei Nichtabstiegsplätze. Die Aufstiegsspiele aus der vierten Liga gewann der SC Verl gegen Lok Leipzig, ein paar hundert Menschen irgendwo bei Gütersloh dürften sich da richtig gefreut haben. In den obersten drei Ligen spielen unter den 56 Teams künftig nur noch sieben Vereine aus dem Osten.

Nach dem Abstieg von Dynamo Dresden gibt es mit Erzgebirge Aue nur noch einen Ostverein in der zweiten Liga, in der Bundesliga spielt mit dem 1. FC Union Berlin ein originärer Ostvertreter. Dazu kommt RB Leipzig - ein Konstrukt, das in der Nahaufnahme so ostdeutsch wirkt wie Hansi Hinterseer. Red Bull hat seiner Fußballabteilung gerade 100 Millionen Euro Schulden erlassen, da lässt es sich gut leben.

Beim Blick auf das 30-jährige deutsch-deutsche Jubiläum ist diese Bilanz ein Problem. Und dass dieses Problem schon gar nicht mehr thematisiert wird, ist fast noch bezeichnender als der Missstand an sich. Denn neben all den strukturellen Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten - einige Regionen im Osten sind eben strukturschwach, die Konzernmütter sitzen fast alle im Westen und zahlen dort Steuern - scheint das Ganze auch ein politisches Problem zu sein. Zumindest wenn man akzeptiert, dass Politik auch etwas mit Lobbyismus zu tun hat, was man weder Sigmar Gabriel noch Philipp Amthor erklären muss.

Im neunköpfigen DFL-Präsidium befindet sich nicht ein Ostdeutscher, im erweiterten 18-köpfigen DFB-Präsidium sitzt mit Erwin Bugar immerhin der Chef des Nordostdeutschen Fußballverbandes - laut Organigramm ist er unter anderem für Antidoping und Beachsoccer zuständig. Wenn Dresdens Verteidiger Chris Löwe behauptet, Dynamo zahle den »verfickten Preis« für den Neustart nach Corona, und in Frankfurt am Main habe man sich »keine Sekunde« mit der Lage bei Dynamo beschäftigt, mag das einiges für sich haben.

Es läge dann allerdings auch daran, dass es schlicht und einfach keine vernehmbare ostdeutsche Stimme im Fußball gibt. Warum das so ist? Ralf Minge, der einem als erster einfiele, wenn es um gut vernetzte, kompetente Funktionäre aus dem Osten geht, hatte in den vergangenen Monaten mit sich und Dynamo Dresden genug zu tun. Bei allen anderen Vereinen - selbst in Aue - herrschte auf den oft sehr spärlich besetzten Geschäftsstellen bis zuletzt der nackte Kampf ums Dasein, durch Corona nochmals befeuert. Zeit und Kraft, sich den strukturellen und politischen Problemen des Ostfußballs zu widmen, fehlt da naturgemäß.

Zu gerne hätte ich allerdings erlebt, was passiert wäre, wenn das Gesundheitsamt in Frankfurt, Dortmund, Köln oder Gelsenkirchen die Spieler des jeweiligen Bundesligisten zu einer Zwangsquarantäne verurteilt hätte, die dafür gesorgt hätte, dass der Verein exakt zwei Trainingseinheiten absolvieren kann, bevor er sieben Spiele in 19 Tagen absolvieren muss. Schalke 04 hat jedenfalls gerade eine Landesbürgschaft über 40 Millionen Euro bekommen, als Lohn für jahrelanges Missmanagement. Und das von einer CDU/FDP-Regierung, die ansonsten mit großer Ergriffenheit das Hohelied auf freie Märkte singt.

Norbert Walter-Borjans, SPD-Bundesvorsitzender und bis 2017 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, hat im März ein bemerkenswertes Interview gegeben: »Die großen, namhaften Bundesligavereine haben immer den Staat auf ihrer Seite«, klagt er. »Wenn es um Fußball geht, tun sich alle Parlamentarier schwer, klare Kante zu zeigen. Beim Fußball gibt es keine Parteigrenzen.« Recht hat der Mann. Fußball-Lobbyismus lohnt sich. In Sachen Dynamo haben die bundesweit renommierten sächsischen Politikerinnen und Politiker also offenbar nicht gut gearbeitet. Wie hießen die noch gleich?

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