Erhitztes Schreiben

Über die Macht des Klimawandels: In Berlin fand am Wochenende das erste »Climate-Fiction-Festival« statt

  • Nina Schaefer
  • Lesedauer: 4 Min.

Kennen Sie »Cli-Fi«? Das ist die Abkürzung für »Climate Fiction«, eine neue Literaturform, die von den Folgen des Klimawandels handelt. Am vergangenen Wochenende fand in Berlin im Literaturhaus in der Fasanenstraße das erste »Climate Fiction Festival« statt, selbstverständlich online.

Zur Begrüßung sprach der bekannte US-Schriftsteller T. C. Boyle: »Vor zwanzig Jahren habe ich meinen Roman ›Ein Freund der Erde‹ geschrieben, der übrigens bis ins Jahr 2026 blickt. Ich hätte ihn 2015 spielen lassen sollen, denn es ist bereits alles eingetroffen. Wir erleben bereits den Zusammenbruch der Umwelt, über den ich geschrieben habe. Für mein neues Projekt überspringe ich 25 Jahre und sehe mir an, wie die Zukunft wird. Und wissen Sie was: Es wird eine Komödie werden.«

Die dunkel imaginierte Zukunft von gestern ist heute also schon Realität. Das wirft die Frage auf: Kann ein dystopisch angelegter Roman Leser*innen dazu bewegen, politisch aktiv zu werden? Und ist das überhaupt der Anspruch? Beim »Cli-Fi-Festival« wurden solche Probleme von Autor*innen und Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Türkei, den USA und weiteren Ländern in 14 Panels diskutiert.

Im Unterschied zur Science-Fiction, die in der Regel zukünftige Technologien thematisiert, bedarf es bei der Climate Fiction einer wissenschaftlichen Expertise in der Jetztzeit. Aber wie soll man über etwas schreiben, das sich rasant ändert? Die Zukunft wird sozusagen stetig schneller. Der irische Professor Axel Goodbody, der an der University of Bath (England) lehrt und in Berlin als »Grandseigneur des Ecocriticism in der Germanistik« bezeichnet wurde, sagte, mittlerweile spiele der Klimawandel in vielen Büchern nicht mehr nur eine Hintergrundrolle, sondern nehme »den Platz eines Hauptakteurs ein«.

Zur Fiktion kommen die Fakten: Bei Cli-Fi geht es um Geschichten, gerahmt von der globalen Erwärmung. Umrahmt auch von wissenschaftlichen Fakten: Die englische Schriftstellerin Maggie Gee beschrieb in dem Panel »Future Bodies: Körper und Klimawandel«, dass sie sich beim Schreiben ihrer Romane nebenher, um die Erzählungen zu festigen, »enorm viel wissenschaftliche Lektüre« einverleibe. Und dann las sie zur Demonstration einen Auszug aus ihrem neuen Roman »The Red Children« vor, in dem sie neueste klimawissenschaftliche Erkenntnisse mit dem Thema der Migration kombiniert.

Goodbody hatte darauf hingewiesen, dass für die Cli-Fi zwar noch eine genaue Definition fehle, aber man könne doch festhalten könne, dass darin der Klimawandel »in Beziehung mit psychologischen und sozialen Fragen« gesetzt werde, in dem »fiktive Handlungen mit meteorologischen Fakten, Spekulationen über die Zukunft und Reflexionen über die Mensch-Natur-Beziehung kombiniert« würden.

Wenn das Genre noch nicht endgültig definiert ist, dann gibt ist viel im Fluss und es gibt dementsprechend viele Zugangsmöglichkeiten. Der dänische Kulturwissenschaftler Gregers Andersen hat die neu aufkommenden Erzählmuster analysiert. Seit rund zehn Jahren arbeitet er zum Themenkomplex Klimakrise und Kultur. In dem Panel »Beyond Human: Von Ecopoetry zu Cli-Fi« stellte er seine Kategorien vor und diskutierte mit der dänischen Autorin Siri Ranva Hjelm Jacobsen, die erklärte, dass ihr Ansatz beim Cli-Fi-Schreiben weniger ein ästhetischer, als ein politischer sei: »Ich habe eine Agenda, aber es geht dabei nicht um Agitation, denn mein Schreiben soll weder belehren noch destruktiv sein«, sagte sie.

Cli-Fi - so niedlich der Begriff auch klingt, nach drei Tagen virtuellen Tauchgang in die Welt der Climate-Fiction-Literatur strotzt er plötzlich vor Bedeutung, aufgeladen mit massenweise Information. Beim Berliner Festival verschwammen dann auch zusehends die drei großen Themenblöcke Wissenschaft, Klimawandel und Literatur zu einem großen Wissens- und Diskussionsfluss mit fast schon natürlicher Anmutung.

Dass die Veranstalter das Wagnis eingegangen sind, den Klimawandel, dieses zwar brisante, aber aufgrund der Fülle an wissenschaftlichen Forschungsergebnissen auch dröge wirkende Thema in einem größeren Maßstab aufzugreifen und es mit theoretischen Überlegungen und literarischen Exkursen zu kombinieren, verdient Respekt. Im Prinzip ist es doch genau das, was uns weiterbringt: darüber reden. Und jetzt auch noch viel mehr: darüber schreiben und lesen. Und dank der digitalen Streamingportale auch ohne uns aus dem Haus zu bewegen. Also dann doch auch ein bisschen Sci-Fi?

»Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen an der Cli-Fi-Konferenz teilnehmen. Aber dazu müsste ich in ein Flugzeug steigen, dass die Atmosphäre unseres bereits verkrüppelten Planeten weiter zerstören würde. Außerdem gibt es das kleine Problem des Coronavirus«, sagte T. C. Boyle in seinem Begrüßungsvideo, das er in seinem Hinterhof im kalifornischen Santa Barbara, umgeben von Grün, aufgenommen hat.

Immerhin kann sich das Festival, das als Hybrid-Event veranstaltet wurde, zugutehalten, keine weiteten Ressourcen verschwendet zu haben. Es war das erste Festival zu diesem Thema und es bleibt abzuwarten, inwieweit es die zukünftigen Diskurse zum Klimawandel beeinflussen wird.

Der Mitschnitt des »Climate-Fiction-Festival« kann auf Youtube angesehen werden.

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