Im bestialischen Disneyland

Der Thriller »Antebellum« versucht, mit antirassistischem Inhalt Geld zu machen, was aber völlig misslingt

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 5 Min.

Ich schreibe so etwas nur selten über einen Film, und wenn, dann auch nicht gerne. Aber etwas im schlechten Sinne derart Kalkuliertes und leider auch Vermurkstes wie »Antebellum« habe ich seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen. Was nicht weiter bemerkenswert wäre, wenn der Film nicht Kraft einer Marketing-Kampagne an den aktuellen Boom von antirassistisch engagierten Horrorproduktionen anknüpfen würde und wohl deswegen in den USA auf Platz eins der Amazon-Prime-Video-Charts und auf Apple TV landen konnte.

Die Werbestrategie ist also aufgegangen. »Antebellum« tut so, als wäre er so etwas wie »Get out« oder »Us« von Jordan Peele, zwei Filme, denen es 2017 und 2019 gelang, an die ehrwürdige Tradition des subtextlastigen, kritischen Horrorkinos nicht nur anzuknüpfen, sondern sie für laufende Diskurse zu aktualisieren. Auf dem Poster zu »Antebellum« werden dann auch gleich beide Titel aufgerufen: »From the producer of...«. Damit ist allerdings nicht Peele gemeint, der mit all dem hier nichts zu tun hatte, sondern einer der sieben Produzenten, die »Get out« und »Us« mitfinanziert haben. So weit, so egal, es ist halt Werbung, einerseits. Andererseits ist »Antebellum« als ein Versuch, die eigene, umfassend ideenlose Geschichte mit Relevanz und Ernsthaftigkeit aufzuladen und sein Thema in diesem Sinne schlicht zu instrumentalisieren, dann doch wieder interessant.

Es beginnt mit einer guten halben Stunde unbeholfen gefilmtem »torture porn«. Auf einer Baumwollplantage werden Sklaven gefoltert und getötet, zum unverhohlenen Vergnügen der Sklavenhalter. Die Heldin (Janaelle Monáe), von der man im ersten Akt nur ihren Sklavennamen »Eden« kennenlernt, wird mit einem Brandeisen traktiert, eine Schwangere wird in den Bauch getreten. Und so geht es weiter, ohne dass sich so etwas wie ein Plot ergeben würde. Von dem Wissen um die Ambivalenz von Inszenierungen exzessiver Gewalt, das die Bilder vieler Horrorklassiker erkennen lassen, keine Spur. Stattdessen entsteht bald der Eindruck, hier soll Strecke gemacht werden, weil es schlicht kaum etwas zu erzählen gibt.

Dann wacht Eden auf, in der Gegenwart, und ist Veronica Henley, eine Soziologin, die sich im Fernsehen mit alten weißen Männern streitet und Vorträge über die Kontinuität des Rassismus in den USA hält. Gleich kommt ein Spoiler. Im zweiten Akt drängt sich der Eindruck auf, dass Gerard Bush und Christopher Renz - Regisseure und Drehbuchautoren des Films - alles, was auf der Leinwand geschieht, von Herzen egal ist. »Antebellum« stolpert in eine andere Tonalität und ganz klar wird es nicht, aber es scheint so, als wurde hier ein Genrewechsel versucht. Für eine knappe halbe Stunde tritt der Film als Female-Buddy-Movie auf, nur halt ohne Plot und ohne Witz. Veronica geht auf Vortragsreise in eine andere Stadt und nach ihren Vorträgen gemeinsam mit zwei Freundinnen ins Restaurant. Es wird viel geredet, aber das ist für den weiteren Verlauf des Films auch komplett egal.

Auf dem Rückweg ins Hotel wird Veronica betäubt und entführt, sie wacht auf der Baumwollplantage wieder auf. Was der Trailer noch als mysteriöse Zeitenmischung verkaufen wollte - als Metapher für die fortdauernde Gegenwart der Vergangenheit -, versackt in einer reichlich hanebüchenen Idee. Eine Geheimorganisation von white supremacists (weißer Vorherrschaft) entführt Afroamerikaner - und hält sie in einer Art bestialischem Südstaaten-Disneyland fest. »Antebellum« tut so, als würde er sich für die Kontinuität von Rassismus und rassistischer Gewalt interessieren, weiß aber mit dieser Idee - es ist tatsächlich die einzige des ganzen Films - rein gar nichts anzufangen und produziert nur einen sprachlich schwer zu fassenden Eindruck von Leere. Man muss es gesehen haben, um es zu glauben.

Am deutlichsten kann man diese filmische Einöde noch beschreiben, indem man sich ans Basale hält: Was wird wie erzählt? Eben leider kaum etwas, und das dann auch noch mit niederschmetternd faden filmischen Mitteln. Veronica beschließt irgendwann zu fliehen. Ihr Entkommen ist so etwas wie der dritte Akt, sie bringt ein paar der Sklaventreiber um, einer wird erstochen, ein paar andere werden in einer unangenehm schief inszenierten Szene verbrannt, dann wird noch eine Rädelsführerin (Jena Malone) hinter einem Pferd her geschleift. Dann raus aus dem Sklavenhalter-Themenpark und Abspann.

Auch mit seinem Genre weiß »Antebellum« nichts anzufangen. Beworben wird er als Horrorfilm, und tatsächlich taucht einmal ein blasses Kind im Hotel-Fahrstuhl auf und benimmt sich unheimlich. Dann macht Veronica die Zimmertür zu und das war’s. Nichts wird ausgespielt, jeder mögliche Ansatz läuft ins Leere. Das Timing in den Szenen, von denen ich annehme, dass sie als nervenaufreibend gedacht sind, stimmt nie. All das allerdings leider ohne dass sich deswegen ein Ed-Wood-artiger Zauber oder ähnliches im Raum ausbreiten würde; von einer völlig überkandidelten Zeitlupensequenz am Ende einmal abgesehen. Stattdessen bleibt das rundum unangenehme Gefühl, dass hier in Zeiten von Black Lives Matter schlicht ein Sujet genommen wurde, das gerade zieht, und das war es dann auch.

Der für das Genrekino per se ja alles andere als schädliche Wille, mit einem Film möglichst viel Geld zu machen, hier geht er zusammen mit einem umfassenden Desinteresse an der Geschichte, auf die er sich bezieht. Und diese Instrumentalisierung rassistischer Gewalt, gegenwärtiger und auch vergangener, steht dem Film nicht gut: Da »Antebellum« mit aller Kraft versucht, Relevanz zu suggerieren, wirkt das Ganze auf eine sehr eigene Weise grotesk. Aber eben nicht eigenwillig, denn das Motiv, schnell im Kielwasser des zurzeit sich etablierenden antirassistischen Horrorfilms so viel abzugreifen, wie eben geht, bestimmt hier jedes Bild.

»Antebellum«: 2020, USA. Regie und Drehbuch: Gerard Bush, Christopher Renz. Mit: Janelle Monáe, Jena Malone, Kiersey Clemons. 105 Min. Ab 18. Dezember als DVD erhältlich.

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