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Sozialistischer Revolutionär

Leo Panitch ist gestorben

  • Ingar Solty
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeder Intellektuelle hat Mentoren. Sie vermitteln Denkbewegung und Haltung. Manche haben zwei bis drei. Andere verlassen enttäuscht Universität oder politische Zusammenhänge, weil diese das Versprechen nicht hielten, aufzuzeigen, »was die Welt im Innersten zusammenhält«, wie es in Goethes »Faust« heißt.

Mein Mentor war Leo Panitch. Samstagnacht ist der emeritierte, marxistisch orientierte Professor der York Universität in Toronto im Alter von 75 Jahren verstorben. In der kanadischen Metropole im Krankenhaus mit einer heilbaren Krebserkrankung behandelt, wurde er mit Covid-19 infiziert und starb an den Folgen.

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Panitch war ein intellektueller Gigant inmitten einer Bastion kritischen Denkens. Mitten im Kalten Krieg entstand im politikwissenschaftlichen Institut der York Universität der größte Zusammenhang marxistischer Forschung in einem kapitalistischen Staat. Und Panitch war sein ungekrönter König. Fast sämtliche Innovationen im westlich-marxistischen Denken sind auf dieses Institut zurückzuführen, vom »politischen Marxismus« (Ellen Meiksins Wood, Neal Wood, David McNally, George Comninel, Hannes Lacher u.a.) über den Neogramscianismus in den Internationalen Beziehungen (Robert W. Cox, Stephen Gill, Isabella Bakker) bis zum »Capital-as-Power«-Ansatz von Jonathan Nitzan. Hunderte Schülerinnen und Schüler wurden an Universitäten und Forschungseinrichtungen in aller Welt exportiert und prägen dort weiter Abertausende. Die überwältigende Anteilnahme an Panitchs Tod in den sozialen Medien spricht Bände.

Dabei war es gar nicht Panitchs prioritäres Ziel gewesen, in dieser Weise in die Hochschulinstitution zu wirken. Panitch war ein lebenslanger sozialistischer Revolutionär, ohne jedes Sektierertum und das in nicht- bzw. gegenrevolutionären Zeiten. Im Zweifel zwischen Zitationen und prestigeträchtigen Verlagspublikationen einerseits und Klassenkampf sowie eigener Wirkmächtigkeit darin andererseits entschied sich Panitch für Letzteres. Ihm war es etwa wichtig, dass er nach ihrem Sieg 2015 für die Syriza-Regierung und für Jeremy Corbyn als Labour-Parteivorsitzender ein Berater war, so wie auch der britische Politiker Ed Miliband (sein Patenkind) stets seinen Rat suchte.

Panitchs Geisteskraft wandte die Marx’sche Denkbewegung auf die Gegenwart an und beschrieb die Globalisierung des Kapitalismus, die Entstehung einer transnationalisierten kapitalistischen Klasse und die besondere imperiale Rolle des US-Staates zur Durchsetzung und, notfalls militärischen, Aufrechterhaltung dieses Systems. Und dies tat er in einer allgemein zugänglichen Sprache.

Diese Kunst resultierte zum einen aus seiner Anbindung an reale Kräfte im Klassenkampf, nicht zuletzt die von ihm mitgegründete »Toronto Workers’ Assembly« und das »Socialist Project«. Zum anderen aber resultierte diese Fähigkeit aus einer Haltung, dass Wissen demokratisch ist. Das Bildungssystem im Kapitalismus vermittelt den Menschen, bestimmte Lerninhalte seien nur für Auserwählte.

Panitch wusste es selbst besser. Geboren als Kind eines von der Ukraine nach Winnipeg ausgewanderten jüdischen Schneiders und einer ukrainisch-jüdischen Waisen, die im Alter von 13 Jahren nach Kanada kam, verleugnete Panitch nie die Klasse, aus der er kam. Ganz im Gegensatz zu manchem Klassenaufsteiger, wie es Didier Eribon in »Rückkehr nach Reims« autobiografisch beschrieben hat.

Panitch genoss Jazz und gutes Essen, aber seine Herkunft vergaß er nie, sondern stellte sein Denken in den Dienst der Befreiung der Klasse, aus der er stammte. Als Denker und als Mensch wird er fehlen. Aber im Denken, Fühlen und Handeln seiner Abertausend Schüler lebt er fort.

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