Heimat lebt sich nicht von selbst

Asal Dardans Essayband verhandelt Anderssein in Deutschland und ein Leben jenseits von Diaspora

  • Isabella A. Caldart
  • Lesedauer: 5 Min.

Einmal, erzählt Asal Dardan, verbrachte sie mit ihrem Partner einen sonnigen Samstagnachmittag im Innenhof einer Gaststätte nahe Berlin. Da er kein Deutsch spricht, unterhielten sie sich auf Englisch. Den Wirt der Gaststätte sprach Dardan auf Deutsch an, er antwortete ihr in (schlechtem) Englisch. Dann wendete der Wirt sich an ihren Partner – auf Deutsch. Und so ging es weiter. »Ich versuchte, geduldig zu sein, mich nicht aufzuregen, einfach darauf zu vertrauen, dass er schon bald merken würde, wie seltsam er sich benahm. Aber bis zum Ende der Bestellung veränderte sich nichts.«

Der Wirt meinte es nicht böse, betont Dardan. »Aber für ihn saßen dort eine Person, die deutsch aussah, und eine andere Person, die nicht deutsch aussah. Daraus machte sein Kopf dann das, was er daraus machte. Seine Absicht spielte keine Rolle. Nirgendwo werde ich in so wenigen Sekunden zur Ausländerin, wie in dem Land, in dem ich aufgewachsen bin.«

Zur Ausländerin gemacht werden in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist. Das ist eines der großen Themen in Asal Dardans Essayband »Betrachtungen einer Barbarin«. Der Titel ist eine Anspielung auf den Roman »Warten auf die Barbaren« von J. M. Coetzee, in dem es um eine potenzielle, doch imaginierte Gefahr der Fremden geht. Chronologisch arbeitet die 1978 in Teheran geborene und im Alter von einem Jahr nach Köln gezogene Autorin ihr Leben in den zehn Texten des Buches auf. So persönlich die Erinnerungen und Erlebnisse sind, so universell sind die Essays. Dardan nimmt ihre eigenen Erfahrungen, um anhand dieser größere gesellschaftliche Fragen zu stellen.

Zum Beispiel über die Themen Exil und Heimat. »Im Exil lebt Heimat nicht von selbst«, weiß Dardan. »Sobald man die Gerichte nicht mehr kocht, die Sprachen verlernt, die Geschichten nicht mehr weitergibt.« So geht es ihr: Sie hat früh ihre Muttersprache verloren, viele Geschichten der Familie nie gekannt, muss traditionelle iranische Rezepte nachschlagen. Zugleich blieb ihr eine klassische westdeutsche Kindheit verwehrt. »Exil ist für mich ein schwieriger Begriff, von Diaspora zu sprechen traue ich mich erst recht nicht. Diaspora klingt nach einem Ort, nach einer Gemeinschaft. Nur wo?«

Wo gehört man hin, wenn man nirgendwo hingehört? Eine Frage, die sich durch mehrere Essays zieht. »Ich bin keine Iranerin, und ich bin keine Deutsche, und ich bin doch beides.« Ein späteres Praktikum bei CNN in Atlanta macht Dardan bewusst, wie stark das Othering ist in dem Land, in dem sie aufwuchs: In den USA gehörte sie schlicht dazu, »mein Anderssein spielte nur in Deutschland eine Rolle«.

Neben der Auseinandersetzung mit dem Fremden, dem Anderen, auch in sich selbst, schneidet Asal Dardan weitere dringliche Themen an. Ein melancholischer Text erzählt von einem väterlichen Freund, der zu früh starb. Ein anderer nimmt die Vogelperspektive ein und handelt von der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit und Gegenwart, vom NSU und dem rechten Terroranschlag in Hanau. Es gibt ganz eindeutige Kontinuitäten, hält die Autorin fest. Der NSU-Prozess habe gezeigt, »dass nicht nur Opa ein Nazi gewesen ist, sondern dass auch die Enkelkinder Nazis werden können«.

In einem anderen Essay setzt sich Dardan mit ihrer Abtreibung auseinander. Aus deutscher Sicht ist hier vor allem der Vergleich mit dem von Hindernissen gesäumten Prozedere in Deutschland im Vergleich zu dem reibungslosen Ablauf in Schweden interessant, ein Land, das die Autorin sehr gut kennt.

Eine Leerstelle hat »Betrachtungen einer Barbarin« jedoch, die man leicht überliest. Obwohl die Autorin offen ihr Leben schildert, fehlt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Vaters. Nach Deutschland geflohen ist die Familie nach der Islamischen Revolution im Iran und der Absetzung des Schahs Mohammad Reza Pahlavi 1979, für dessen Geheimdienst der Vater gearbeitet hatte. »Ich wuchs mit der Überzeugung auf, dass die Pahlavis unfehlbar und würdevoll waren«, heißt es im ersten Text. Wie problematisch diese Sichtweise ist, deutet Dardan an: »Mich überrascht, wie sehr ich mich gegen diese Einsicht wehrte, selbst als ich schon längst verstanden hatte, dass der Schah meiner Kindheit eine Märchenfigur war.« Doch wie genau die Rolle des Vaters in dem Regime aussah, welche Schuld er möglicherweise auf sich geladen hat, bleibt offen. Es wäre bestimmt ein sehr eindrücklicher Essay geworden.

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Davon abgesehen ist »Betrachtungen einer Barbarin« ein Essayband in bester US-amerikanischer Tradition, der aus der persönlichen Perspektive Licht auf soziale und politische Angelegenheiten wirft. Zu Recht war das Buch für den in diesem Jahr erstmals verliehenen Deutschen Sachbuchpreis nominiert. Reflexionen über den Zustand des Landes aus einem nicht-weißdeutschen, post-migrantischen Blick gibt es seit einigen Jahren in Roman- wie Sachbuchform immer öfter – ein Glück.

Asal Dardan: Betrachtungen einer Barbarin. Hoffmann und Campe, geb., 22 €.

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