Im Kampf für die Volksfront

Heinrich Mann arbeitete im Exil in Nizza fieberhaft. Seine Essays und Schriften der Jahre 1936 und 1937 sind nun als Band 7 der Gesamtausgabe erschienen

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 7 Min.

Wieder eine Reise und wieder die enorme Zeitnot. Heinrich Mann würde seinen französischen Freund Félix Bertaux, das war nun sicher, auch diesmal nicht treffen. »Die paar Tage in Paris«, schrieb ihm der Schriftsteller am Silvestertag 1936, »sind wirklich allzu vollgestopft, und sowie ich meine Aufgaben erledigt habe, ruft mich meine Arbeit hierher zurück. Meine neue Lage bringt einen vollständigen Mangel an Muße mit sich.«

Noch nie hatte er so fieberhaft, so pausenlos gearbeitet wie jetzt, in den Anfangsjahren des Exils. Er lebte seit seiner Flucht aus Deutschland in Nizza, einer Stadt, die ihm vertraut war wie das Land, das ihm nun Zuflucht bot und auch Schauplatz war eines zweibändigen Werkes, das von seinem guten König erzählte, der den Franzosen im sechzehnten Jahrhundert endlich den Frieden brachte. Im Sommer 1935 war bei Querido in Amsterdam der erste Teil, »Die Jugend des Königs Henri Quatre«, erschienen, der große Roman über Macht und Ohnmacht der Aufklärung. Inzwischen arbeitete er konzentriert an der Fortsetzung.

»Ich schreibe meinen Henri IV«, berichtete er am 1. März 1937 in einem Brief an Arnold Zweig, »das ist mein privates und eigenes Leben. Sonst – Manifeste für Spanien, Aufrufe nach D. hinein: Pflicht-Arbeiten, deren endliche Wirkung man erlebt oder nicht. Unser Teil ist Festigkeit und Verzicht.« Er entwickelte eine ungeheure Produktivität, übernahm organisatorische Aufgaben in mehreren Komitees, besuchte Kongresse, Veranstaltungen und Sitzungen, die meist anstrengende und zeitraubende Bahnreisen erforderten, redigierte Programmentwürfe, verfasste Artikel, Reden, Stellungnahmen, Grußbotschaften, Aufrufe. Der Publizist zwang den Erzähler, die Arbeit am Roman wieder und wieder zu unterbrechen (der, über achthundert Druckseiten stark, trotzdem im November 1938 erscheinen konnte). Der Kampf gegen die Naziherrschaft in Deutschland hatte oberste Priorität.

Der Umfang all dieser Aktivitäten Heinrich Manns, bislang nur geschätzt, wird erst jetzt in der großen, auf zehn Bände veranschlagten Kritischen Gesamtausgabe seiner Essays und Publizistik sichtbar. Sie ist, auch wenn sie in den Medien so gut wie keine Resonanz findet, ein Ereignis, weil hier die beispielhafte öffentliche Existenz eines Autors dokumentiert ist, der der herausragende Chronist und Kritiker der politischen Entwicklung in Deutschland wurde.

Band 7 mit den Arbeiten der Jahre 1936 und 1937, ediert von Wolfgang Klein, bringt allein 166 damals veröffentlichte Texte, gedruckt in den Zeitschriften »La Dépêche de Toulouse«, »Die neue Weltbühne«, in Klaus Manns »Sammlung« und anderen Exilblättern, aber auch auf Flugblättern und in Tarnschriften, dazu fünf unveröffentlichte Arbeiten und viele Erklärungen, die er mitunterzeichnet hat.

Am Anfang stehen Worte der Bewunderung für die Sowjetunion, die Sammlung schließt mit einem Rundbrief, der für die Gründung eines Bundes freiheitlicher Sozialisten warb, um »zu einer vollständigen, ganz unangreifbaren Volksfront zu kommen«. Dazwischen Ansichten und Kommentare zu Hitlers Olympischen Spielen, zum Spanienkrieg, zu Thälmann und Ossietzky, zur Bücherverbrennung und Bombardierung Madrids, eine Rede vor dem Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus, ein Aufruf »Sendet die Wahrheit nach Deutschland!«, eine Würdigung des stillen, im Londoner Exil lebenden Dichters Max Herrmann-Neiße oder ein Brief an den Romancier Oskar Maria Graf, für ihn einer der »Glücksfälle der deutschen Opposition«.

»Es ist geboten«, schrieb Heinrich Mann damals in seinem Roman »Die Vollendung des Königs Henri Quatre«, »daß Humanisten streitbar sind und zuschlagen, sooft feindliche Gewalten die Bestimmung des Menschen aufhalten wollen.« Den Sozialdemokraten warf er in einem der umfangreichsten Aufsätze von 1936 (»Der Weg der deutschen Arbeiter«) vor, 1918 dieses Gebot missachtet und versagt zu haben. Sie hatten es in der Hand, die Verhältnisse grundlegend zu ändern, doch sie schreckten vor der erhofften »Umwälzung« zurück. Jetzt, angesichts der Hitlerdiktatur in Deutschland, forderte er, es nunmehr besser zu machen und das Terrorregime entschlossen zu bekämpfen. Das Ziel sollte ein »Volksstaat« sein, der alle Kräfte bündelt, »die ihn ohne Vorbehalt wollen und erstreben«, Sozialisten, Kommunisten, Bürgerliche, auch Konservative.

Im Mai 1936 siegte in Frankreich der Front populaire aus Sozialisten und Kommunisten bei den Wahlen. Die neue Regierung unter Léon Blum wurde von den Kommunisten unterstützt, sie gehörten ihr nicht an. Als sich der Vorbereitende Ausschuss der deutschen Volksfront in Paris konstituierte, übernahm Heinrich Mann den Vorsitz, und er wurde auch die treibende und zugleich ausgleichende Kraft in der Sammlungsbewegung, ein Repräsentant, der zunehmend damit beschäftigt war, parteipolitischen Interessen entgegenzutreten. Die Differenzen zwischen Kommunisten, vertreten durch Walter Ulbricht, Sozialdemokraten und anderen Strömungen waren bald unübersehbar, das Scheitern schließlich nicht zu verhindern. Ulbricht, »ein vertracktes Polizeigehirn«, wie es 1937 im Brief an Lion Feuchtwanger heißt, sei bemüht, den Volksfrontausschuss zu sprengen, ihm sei »das demokratische Verantwortungsgefühl« fremd.

Heinrich Mann war der Einzige, der bis zuletzt meinte, eine starke Volksbewegung könne Hitler stoppen und einen Krieg verhindern. Später, in seinem Erinnerungsbuch »Ein Zeitalter wird besichtigt«, wird er schreiben: »Dem Comité der Volksfront schulde ich die Anerkennung, daß es mir meine vermeintliche Haltung zwischen den Parteien eher dankte als übelnahm. Ein Sozialdemokrat ging so weit, mir zu sagen, ich wüßte wohl nicht, daß ich das Ganze zusammenhalte … Ich hatte viel Streit zu schlichten, hätte Abtrünnige retten wollen, was indessen wider den Willen der Dinge ist.«

Er kämpfte wie kein anderer, gab, unbeugsam und durch keinen Misserfolg aufzuhalten, nicht auf. Aber er irrte auch, gab sich Illusionen hin, glaubte unbeirrt, dass nach Hitler in Deutschland die Volksfront herrschen werde.

Auch die Sowjetunion, die er in jenen Jahren rühmte, existierte so nur in seinem Kopf. Sie war angesichts der zögerlichen Politik Frankreichs und Englands gegenüber dem Hitlerregime die Hoffnung, an die er sich klammerte, der idealisierte Kontrast zum Deutschland der Nazis und ihrem demonstrativen Antibolschewismus. Das alles ändert nichts an seiner Leistung und seinen Verdiensten. Dieser Heinrich Mann, inzwischen über sechzig Jahre alt, hat sich im Kampf gegen die Barbaren in Deutschland das Äußerste abverlangt – mehr, radikaler, leidenschaftlicher als irgendein anderer Exilant. »Was ich selbst tue«, schrieb er seinem Bruder Thomas am 23. Oktober 1936, »verlang’ ich sonst von niemand, besonders von Dir nicht, und oft wird es mir zur Last, daß ich es von mir verlangen muß.«

»Die Jahre 1936 und 1937 bildeten nicht nur den Höhepunkt des politischen Engagements des Intellektuellen Heinrich Mann«, schreibt Herausgeber Wolfgang Klein. »Sie waren bereits der Zeitraum seines Scheiterns, in das er sich jedoch nicht ergab.« Die Sätze stehen im Kommentarband, der mit seinen 650 Seiten den Umfang des Textbandes deutlich übertrifft und mit einer unglaublichen Fülle an Informationen, biografischen und historischen Details, Dokumenten, Bezügen und Zusammenhängen immer wieder verblüfft. Klein, der sich auf Vorarbeiten Werner Herdens stützen konnte, liefert nicht nur die unbedingt notwendigen Erläuterungen zu den Heinrich-Mann-Texten, sondern bietet ein kompaktes, in dieser Dichte, diesem Faktenreichtum einmaliges Bild des Autors, seiner Lebensumstände in den beiden Jahren, seiner Einnahmen und finanziellen Verpflichtungen, der Reisen und Funktionen, der Zeitungen und Zeitschriften, für die er schrieb, der Beziehungen zu Willi Münzenberg, Rudolf Breitscheid, Walter Ulbricht, Johannes R. Becher und anderen, natürlich auch zu Frankreich, dessen Sprache und Literaten er seit jeher liebte.

Das Land war für ihn ja nicht Fremde. Er fuhr schon 1923 zu einer Gesprächsrunde mit Schriftstellern nach Pontigny, als in den Geschäften seines Wohnorts München noch Schilder hingen mit der Aufschrift »An Franzosen wird nicht verkauft«, obwohl dort gar keine Franzosen lebten, und er ist danach immer wiedergekommen, hat sich nachdrücklich für die deutsch-französische Aussöhnung eingesetzt und dabei in Frankreich Respekt und Ansehen erworben. Anfang 1936 allerdings ließ ihn der Präfekt des Departements, zu dem Nizza gehörte, zwei Monate lang wegen seiner politischen Aktivitäten überwachen. Da war die Stadt für Heinrich Mann noch immer ein Paradies, verglichen mit allem, was später kam, der strapaziösen Flucht über die Pyrenäen und den Jahren der Demütigung in den USA.

Heinrich Mann: Essays und Publizistik, Band 7: 1936–1937, 2 Bände, hg. von Wolfgang Klein, Aisthesis Verlag, 1227 Seiten, geb., 278 €.

Buchvorstellung und Vortrag von Wolfgang Klein am Mittwoch, 18. August, um 19 Uhr, im Max-Lingner-Haus Berlin, Beatrice-Zweig-Straße 2. Um Anmeldung auf der Homepage der Hellen Panke oder per Mail wird gebeten.

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