Sporadische Evakuierungen

Hilfsorganisation fordert Grundsatzentscheidung für afghanische Medienschaffende und Transparenz im Umgang mit den Listen

Ihre Gesichter, Stimmen und Erzählungen füllten die Medien in Afghanistan. Sie berichteten von Wiederaufbau, Hilfe und Kooperation, die die internationalen Hilfsorganisationen nach Afghanistan brachten. Jetzt scheint all das vergebens gewesen zu sein. In Kabul, aber auch landesweit, sind es ihre Namen, nach denen die Taliban an Checkpoints nun suchen.

Die Hilfeersuchen der afghanischen Journalist*innen erreichen Kolleg*innen weltweit, die Kontakte in die Region unterhielten. Bei der Organisation Reporter ohne Grenzen laufen viele Anfragen ein. In der vergangenen Woche übergab Geschäftsführer Christian Mihr eine »Zurückgelassenen-Liste« mit mehr als 100 Namen afghanischer Journalist*innen an die Bundesregierung. »29 davon sind Frauen - plus jeweils Familienangehörige. Hinzu kommen noch die Familienangehörigen von fünf bereits in Deutschland lebenden Exiljournalistinnen und -journalisten«, teilte Mihr dem »nd« mit.

Zusätzlich gibt es eine Liste des internationalen Sekretariats von Reporter ohne Grenzen, auf der weitere etwas mehr als 70 Namen von afghanischen Journalist*innen, plus Familienangehörigen, stehen, beschreibt Mihr. Man erhalte täglich weitere Anfragen und stehe darüber hinaus auch in Kontakt mit zahlreichen Journalist*innen, die das Land aus unterschiedlichen Gründen nicht verlassen können, weil das die Familiensituation nicht zulasse oder es aus anderen Gründen nicht gewollt werde.

Die Evakuierungen, die die Bundeswehr in den letzten Wochen vorgenommen hat, sieht Mihr kritisch. »Mit der Luftwaffe ist während der Luftbrücke de facto nur eine einzige Journalistin von unserer Liste evakuiert worden. Über die zivile Luftbrücke Kabul und über die US Air Force wurden am Ende 16 Menschen von Reporter-ohne-Grenzen-Listen evakuiert«, zieht Mihr eine ernüchternde vorläufige Bilanz. Ein genereller Überblick sei aber schwer zu bekommen. »Wir sind noch in der Auswertung, wie viele Menschen sonst über andere Listen in ausgeflogen wurden«, sagt Mihr.

Reporter ohne Grenzen fordert die Bundesregierung auf, eine verbindliche Grundsatzentscheidung für in Drittstaaten geflüchtete Medienschaffende aus Afghanistan zu treffen sowie Transparenz über den Bearbeitungsstand der Listen zu schaffen, die eingereicht wurden.

Am Montag gab die Bundesregierung auf nd-Nachfrage an, dass im Rahmen der Luftbrücke und in weiteren Flügen aus Afghanistan heraus insgesamt 248 Ortskräfte Afghanistan verlassen hätten, die ehemals für die Bundesrepublik Deutschland in Projekten gearbeitet haben. Die Zahl war bislang mit 138 angegeben. Für welche Ressorts diese Menschen tätig waren, schlüsselt das Bundesinnenministerium nicht auf. Gemeinsam mit den 248 Angehörigen reisten 916 Angehörige aus.

Via Twitter wandten sich die Mitarbeiter*innen des Bawar-Media-Centers BMC an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie fordern Unterstützung bei der Ausreise aus Afghanistan. Sie waren im August aufgefordert worden, an den Flughafen in Kabul zu kommen. Die Ausreise gelang aber nur vier der insgesamt 26 ehemals im Bundeswehrprojekt beschäftigten Menschen. Sie seien bereits seit fünf Monaten dabei, sich um ihre Ausreise zu bemühen. Nun fordern sie eine koordinierte Ausreise in Nachbarstaaten und damit die Schaffung eines sicheren Fluchtweges für afghanische Ortskräfte.

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