Ein Filmland

Über Handwerk und Wahrhaftigkeit

  • Lesedauer: 9 Min.

Gespräche und Interviews mit über 30 Filmschaffenden, deren Arbeit vor 1990 mit der Defa verbunden war, darunter Frank Beyer, Annekathrin Bürger, Heiner Carow, Erwin Geschonneck, Sylvester Groth, Michael Gwisdek, Corinna Harfouch, Jutta Hoffmann, Uwe Kockisch, Wolfgang Kohlhaase, Renate Krößner, Manfred Krug, Katrin Sass, Jutta Wachowiak und viele andere: Knut Elstermann schildert die Hintergründe seiner Begegnungen und lässt die Erinnerung an viele Filmklassiker aufleben, die nicht zuletzt vom Alltag im verschwundenen Land DDR erzählen. Sein Buch ist zugleich eine persönliche Annäherung an das Erbe der Defa - mit den bleibenden künstlerischen Leistungen, aber auch den Leerstellen und Widersprüchen.

Der Autor

Knut Elstermann, geboren 1960 in Ostberlin, studierte ab 1982 Journalistik in Leipzig und arbeitete anschließend als Redakteur bei verschiedenen DDR-Medien, darunter bis 1989 beim »ND«.

Seit 1990 ist er freier Moderator und Filmjournalist, vor allem für den MDR und den RBB (Radio eins). Bücher sowie zahlreiche Features für Fernsehen und Hörfunk, u. a. über das Kino in Israel und Russland und die Defa-Geschichte. Knut Elstermann ist Mitglied der Akademie der Darstellenden Künste.

Film-Dialoge

Einige DEFA-Filme haben mich schon früh begeistert. »Die Geschichte vom kleinen Muck«, dieser farbenfrohe Märchenfilm aus dem Jahre 1953 schien mir aus einer unbestimmbaren Vergangenheit zu stammen. Ich habe ihn etwa fünfzig Mal gesehen, vorsichtig geschätzt. Noch etwas älter ist »Das kalte Herz« aus dem Jahre 1950, der erste DEFA-Farbfilm mit fantastischen, handgemachten Tricks, die heute kein Kind mehr hinter dem Ofen hervorlocken würden. Mich ließen sie damals wohlig erschauern. Etwas unheimlich war auch die stilisierte Kulissenwelt im Märchenfilm »Das singende, klingende Bäumchen« von 1957, mit der zauberhaften Christel Bodenstein als Prinzessin, einem frühen DEFA-Star mit dem Charme italienischer Filmdiven der 50er. Ich bin ihr später immer wieder mit Freude begegnet und erlebte auch in der Realität ihren natürlichen Liebreiz.

Man sah in meiner Kindheit deutlich weniger Filme als heute, aber diese sehr oft. Das Angebot war begrenzt und es kam, zumindest für die Kleinen, vor allem aus sowjetischer und einheimischer Produktion. Meine ersten Kinofilme waren also DEFA-Produktionen, ohne zu wissen, was diese vier Großbuchstaben bedeuten könnten. Ich hatte keine Ahnung davon, dass es dieses Studio in Babelsberg gab, gleich vor den Toren meiner Heimatstadt Berlin gelegen, allerdings vor dem westlichen Teil, der umfahren werden musste, wenn man zum Filmgelände gelangen wollte. Einer der ersten Kinobesuche überhaupt galt dem Film »Die Söhne der großen Bärin«. Es muss 1966 gewesen sein und ich erinnere mich gut daran, dass mich die Bärin in ihrer Höhle weitaus mehr beeindruckte als der aufsteigende Star Gojko Mitic. Es war der Beginn der langen Reihe von östlichen Western aus Babelsberg, die man heute so bestimmt nicht mehr drehen würde, mit stark geschminkten weißen Schauspielern in den Rollen amerikanischer Ureinwohner, auf deren Seite die Filmemacher aber ganz eindeutig standen. Es war auch der Beginn meiner lebenslangen Kinoleidenschaft und der Beschäftigung mit den Filmen der DEFA. Sie war Produzent von Kinofilmen in der DDR, arbeitete aber auch im Auftrag des Fernsehens wie zum Beispiel bei »Jakob der Lügner«, der ursprünglich für den Bildschirm gedacht war.

Wer in der DDR Kinofilme drehen wollte, kam an der DEFA nicht vorbei. Sie bot eine Festanstellung und gutes Auskommen, ein kontinuierliches Arbeiten ohne Zeitdruck, sie forderte dafür grundsätzliche Loyalität ein. Veränderungen im Gefüge der Macht der DDR, seismografische Verschiebungen in den politischen Verhältnissen, Lockerungen oder Verhärtungen schlugen zeitversetzt auf die Filmproduktion durch. Filmbilder sind bekanntlich keine reinen Abbilder, doch wer die Bilder der DEFA als künstlerische Verarbeitungsstufen der Wirklichkeit zu lesen vermag, wird der Lebensrealität in der DDR näherkommen, den Hoffnungen, den Kompromissen, dem Alltag. DEFA-Filme geben noch immer Auskünfte - mit dem, wovon sie manchmal nur in Andeutungen erzählen und auch wovon sie schweigen …

In den DEFA-Filmen begegne ich meiner eigenen Vergangenheit, einer verschwundenen Lebenswelt, die mir heute manchmal fern und fremd erscheint: Die eindrucksvoll düsteren Bilder von Halle in Evelyn Schmidts mutigem Film »Das Fahrrad«, das zerfallene Leipzig in Roland Gräfs »Der Tangospieler«, die bröckelnden Fassaden des Prenzlauer Bergs in »Solo Sunny«. Hinter den Bildern suche ich nach einer Wahrheit über das Leben in der DDR, ich höre heute deutlich die den Kontrolleuren abgerungenen, aufmüpfigen Sätze. Damals waren sie Triumphe, wenn sie durchkamen, heute sind sie kaum noch als Nadelstiche wahrzunehmen. Ich sehe den versteckten Einspruch bei grundsätzlichem Einverständnis, die ehrlich aufgeworfenen und oft vorschnell gelösten Konflikte in durchaus bemerkenswerten Gegenwartsfilmen wie »Sabine Wulff« oder »Lachtauben weinen nicht«.

Ich verstehe heute Auseinandersetzungen, die Zwänge, die Illusionen, die Enttäuschungen und die Selbsttäuschungen der Filmemacherinnen und Filmemacher in Babelsberg sehr viel besser. Ohne den Wahrnehmungshorizont DDR, befreit von der schweren Fracht ständiger politischer Interpretationen, sehen sich die Filme heute viel leichter an, was ihnen guttut. Die Schwerfälligkeit des Studio-Apparates spiegelte sich häufig in der Filmästhetik wider. Aber wenn sich die Künstlerinnen und Künstler von den Bleigewichten der Tradition und der Vorgaben lösten, wenn sie ihre Fantasie und Professionalität nutzen konnten, kamen auch ihre Geschichten ins Schweben und es entstanden so schöne, zeitlose Filme wie Herrmann Zschoches »Sieben Sommersprossen«, Konrad Wolfs »Solo Sunny« oder Roland Gräfs »Fariaho«.

In den 90er Jahren gab es einen großen Gesprächsbedarf beim Publikum und bei den Künstlern. Veranstaltungen im Potsdamer Filmmuseum, von denen ich viele moderierte, wurden förmlich überrannt. Ich drehte meine ersten Filme über die DEFA für Arte, 3sat und den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg, sprach auf Radio Brandenburg mit DEFA-Leuten. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich Menschen begegnen konnte, die damals schon Legenden waren wie Erwin Geschonneck, Kurt Böwe, Frank Beyer, Heiner Carow und Egon Günther. Niemand von ihnen kannte mich aus DDR-Zeiten, jeder begegnete mir offen, bereit zu ehrlichen Auskünften und mit großer Geduld. Vielleicht spürten sie meine Ahnungslosigkeit und meine Neugierde. Dieses Erbe, dieser abgeschlossene, widersprüchliche und sehr vielfältige Komplex der deutschen Filmgeschichte ist Dank der DEFA-Stiftung gut aufgearbeitet und verfügbar. Man kann mit diesen Filmen arbeiten, sie als Grundlage für Diskussionen und Geschichtslektionen nutzen oder einfach zur Erinnerung an eine längst vergangene Lebenszeit.

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Uneingeschränkt und leidenschaftlich liebe ich die Schauspielerinnen und Schauspieler der DEFA. Wenn es so etwas wie einen DEFA-Studiostil gab, dann wurde er von ihnen geprägt, vom klugen Spiel dieser gut ausgebildeten, mitdenkenden Darsteller. In der DDR, dem letzten Wirkungsort Bertolt Brechts lebend und arbeitend, hinterfragten sie in seiner Tradition ihre Rollen, erkundeten soziale Hintergründe der Figuren und spielten dieses erworbene Wissen immer mit. Fast alle standen auch auf der Bühne, waren intensive Proben und Auseinandersetzungen mit den Texten gewohnt und betrachteten das Theater als ihre eigentliche Heimat. Das zeigen diese Interviews deutlich.

Als »Star« sah sich niemand von ihnen. Diesen Begriff, in der DDR als elitär und bürgerlich verpönt, empfanden viele von ihnen sogar als eine Art Beleidigung, so als würde man einen ernstzunehmenden Schauspieler heute als »Prominenten« abtun. Sie sahen sich als gute, professionelle Arbeiter im Dienst der Stoffe, hatten einen Beruf und eine Berufung. Dagmar Manzel, heute ohne Frage ein Star an der Komischen Oper und im Fernsehen, ist noch immer stolz darauf, einen Facharbeiterabschluss als Schauspielerin zu besitzen. Die »Ernst Busch« wurde erst 1981, kurz nach Dagmar Manzels Studienzeit, zur Hochschule. In den frühen DEFA-Filmen überwiegt noch der Ufa-Stil, der sich mit den neuen politischen Aufgaben verband. Doch spätestens in den 60ern, mit dem Auftreten neuer, junger Gesichter wie Annekathrin Bürger, Angelica Domröse, Jutta Hoffmann, Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl kommt jener unverkennbare DEFA-Ton in die Produktionen, jenes uneitle, realistische und ungekünstelte Spiel.

Vielleicht liegt es an der gründlichen Theaterschulung, dass viele der DEFA-Schauspielerinnen und Schauspieler hervorragende Sprechkünstler waren und sind, mit wunderbaren Stimmen, die ich immer noch im Ohr habe: den weichen, ausdrucksvollen Bass von Kurt Böwe, die glasklar-präzise Artikulation von Dieter Mann, den Reichtum an Modulationen von Jutta Wachowiak. Schade, dass damals die Hörbücher noch nicht erfunden waren, aber einige Schallplattenaufnahmen gibt es. Leider wurden bei der DEFA die Filme wegen der lauten Kamerageräusche grundsätzlich nachsynchronisiert, zwar von den Darstellern selbst, aber in steriler Tonstudio-Atmosphäre. Manchmal klingt das gar nicht wie der Soundtrack des Films, sondern wie die Kommentarspur aus einem ganz anderen akustischen Universum.

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Im Ensemble der DEFA glänzten exzellente Darsteller auch in kleineren Rollen. Zur Schönheit von »Solo Sunny« gehört auch das einfühlsame, nie lächerliche Porträt, das Dieter Montag vom schlichten, grundehrlichen, unglücklich liebenden Taxifahrer Harry zeichnete. Auch wenn ich Schauspielerinnen und Schauspieler wie Romy Schneider, Alain Delon und Claudia Cardinale glühend verehrte, geliebt habe ich Manfred Krug, Jutta Hoffmann und Annekathrin Bürger. Die Gespräche mit ihnen sind hier versammelt, auch wenn Sie beim Lesen auf die großartigen Stimmen verzichten müssen.

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Alle hier abgedruckten Interviews sind Momentaufnahmen. Sie spiegeln, was die Befragten und der Fragende in diesem Augenblick empfanden und dachten. Manches hätte nur wenige Jahre später vielleicht anders geklungen. Auch die Erinnerung an die DEFA ist dynamisch, sie verändert sich mit den Jahren und den Erfahrungen, die ihre Mitarbeiter später machten. Hier stehen die Ansichten der Künstlerinnen und Künstler widerspruchsvoll nebeneinander, jede hat für mich ihre Gültigkeit und ihre Wahrhaftigkeit. Wie unterschiedlich sind allein die Erinnerungen an den Regisseur Heiner Carow in diesem Buch! Sie reichen von väterlich und fürsorglich bis zu diktatorisch. Jeder, der mit ihm arbeitete, hat ein anderes Bild von ihm und vermutlich trifft jedes zu.

Es ist eine sehr persönliche Auswahl, die natürlich keine Vollständigkeit behaupten kann. Große DEFA-Künstler wie Konrad Wolf lebten zu Beginn meiner Berufstätigkeit schon nicht mehr. Es gibt inzwischen viele Bücher über die DEFA, Gesamtdarstellungen und Biografien. Ich wollte auch auf Erbstücke der DEFA aufmerksam machen, die weniger im Licht stehen, wie die Dokumentarfilme oder die Filme für Kinder und Jugendliche.

Die Gespräche wurden manchmal per Du und manchmal per Sie geführt, so wie es das jeweilige Sendeformat erfordert oder erlaubt hat. Ich wünschte, es kämen hier mehr Frauen zu Wort, aber die DEFA war bis zum Schluss vor allem ein Männerbetrieb. Für die bessere Lesbarkeit wurden die Gespräche gekürzt und stilistisch leicht bearbeitet, wo es möglich war unter Mitwirkung der Partnerinnen und Partner, deshalb können die Sendefassungen und die Druckfassungen in einigen Details voneinander abweichen.

Knut Elstermann
Im Gespräch. Knut Elstermann befragt ostdeutsche Filmstars
Mit einem Vorwort von Andreas Dresen
be.bra Verlag
352 S., geb., 24,00 €

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