Linksrutsch in weiter Ferne

Die Linke musste am Wahlabend um Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Eine Regierungsbeteiligung ist damit unwahrscheinlich

Je näher das Ende des Wahltags rückte, desto häufiger sahen die Prognosen die Linke unter der Fünf-Prozent-Marke. In der ersten Hochrechnung lag sie bei genau fünf Prozent. Das ist ein dramatischer Einbruch gegenüber der Wahl 2017. Damals hatten 9,2 Prozent der Wahlteilnehmer für sie votiert.

Die Partei musste sich also an diesem Sonntag auf eine längere Zitterpartie einstellen. Laut Prognose um 18 Uhr lag sie bei den Zweitstimmen bei genau fünf Prozent, was ihr also äußerst knapp den Fraktionsstatus im Bundestag erhalten würde. Doch für eine Koalition mit SPD und Grünen würde es danach nicht einmal rechnerisch reichen. Zusammen kämen die drei Parteien nur auf 45 Prozent der Stimmen.

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Kommt die Linke nun auf mindestens drei Direktmandate, darf sie auch bei einem Ergebnis von unter fünf Prozent im Bundestag bleiben. Doch auch das war am Sonntagabend noch nicht sicher. Bislang hatten Gesine Lötzsch, Petra Pau und Gregor Gysi für die Partei in Berlin immer die Wahlkreise 84, 85 und 86 direkt gewonnen.

In den letzten beiden Wochen vor der Wahl hatten insbesondere die Unionsparteien im Jahr 31 nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die x-te Rote-Socken-Kampagne losgetreten - offenbar auch eine Reaktion auf die eigenen historisch schlechten Umfragewerte. Doch erstens verfängt derlei im antikommunistisch geprägten Westdeutschland bis heute recht gut, und andererseits gibt es auch in Ostdeutschland nicht wenige, die trotz des hohen Anteils junger Kandidaten die Linke als »SED« darstellen und sie als »Mauerschützenpartei« diffamieren. Zudem haben hier wie dort 30 Jahre Entsolidarisierung sowie Erzählungen von »Freiheit« und dem Aufstieg, den jeder schaffen könne, wenn er nur hart genug arbeite, ihre Spuren hinterlassen.

CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet ritt in den sogenannten TV-Triellen stets harte Attacken gegen seine Konkurrenten Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD). Und warnte, die beiden warteten nur darauf, endlich eine Koalition mit der Linken eingehen zu können. Dabei haben sich die Grünen in all den Monaten vor der Wahl nicht ein einziges Mal zu einem solchen Bündnis bekannt, sondern vielmehr in Richtung Union und FDP geblinkt. Die Landtagswahl in Baden-Württemberg am 14. März kann hier als Blaupause gelten. Die siegreichen Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann entschieden sich sehr schnell für die Wiederauflage der Koalition mit der CDU, obwohl auch eine mit SPD und FDP möglich gewesen wäre.

Namhafte Sozialdemokraten hatten nach der Wahl im Südwesten ihre Präferenz für die »Ampel« im Bund, also ein Zusammengehen mit Grünen und Liberalen, zum Ausdruck gebracht. Und in den vergangenen Wochen hatten sich selbst sogenannte Parteilinke in der SPD von der Linken distanziert. Sie wie auch Scholz und Grünen-Spitzenfrau Baerbock hatten von der Partei ein »Bekenntnis« zur Nato gefordert. Mit Blick auf die Enthaltung der meisten Linke-Abgeordneten bei der Abstimmung über das Mandat der Bundeswehr zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan warfen sie ihr vor, sich außenpolitisch ins »Abseits« manövriert zu haben.

Von der Linken wurde also von vornherein eine Aufgabe von Kernpositionen verlangt, während etwa gegenüber der marktradikalen FDP keinerlei Erwartungen etwa mit Blick auf die Sozialpolitik geäußert wurden.

Der Linke-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sprach nach Verkündung der ersten Prognose in der ARD von einem »enttäuschenden Ergebnis«, das die Partei nun ernsthaft analysieren müsse. Es sei eine Tatsache, dass die Linke nicht mehr als Vertreterin ostdeutscher Interessen wahrgenommen werde, obwohl sie diesbezüglich im Parlament nachweislich intensiv gearbeitet habe.

Angesprochen auf die Kritik seiner ehemaligen Ko-Fraktionschefin im Bundestag, Sahra Wagenknecht, die Linke engagiere sich nicht mehr ausreichend für Abgehängte, Arbeiter und für die Ostdeutschen, sagte Bartsch, die Zahlen ließen diese Vermutung zu. Bei der Analyse der Ergebnisse sei der »Beitrag von Sahra Wagenknecht sicherlich ein wichtiger«.

Bartsch stellte zudem fest, dass die Stimmungsmache der Konkurrenz verfangen hat: »Wenn man uns als nicht regierungsfähig diskreditiert, dann schreckt das gerade im Osten auch Menschen ab. Rote-Socken-Kampagnen haben uns als Ostpartei PDS in gewisser Weise noch Punkte gebracht, aber das ist jetzt nicht mehr so.«

Die Kampagnen hatten lange vor der Wahl schon Wirkung gezeigt. Von den möglichen Dreierbündnissen kam das von SPD und Grünen mit der Linken laut ZDF-Politbarometer von Mitte September auf die niedrigsten Zustimmungswerte. Nur 28 Prozent der Umfrageteilnehmer bevorzugten diese Konstellation, 56 Prozent fanden sie »schlecht« für Deutschland. Allerdings war ein Jamaika-Bündnis zwischen Union, Grünen und FDP mit 29 Prozent Befürwortern nur unwesentlich beliebter.

Der Bedeutungsverlust im Osten und der parallele Aufstieg der rechten AfD dürften indes tatsächlich viel zum schlechten Ergebnis der Linken beigetragen haben. Bereits bei der letzten Bundestagswahl hatte sie im Osten erhebliche Verluste verzeichnet, im Westen dagegen deutliche Zugewinne. Die Landtagswahlen im Osten kennen mit Ausnahme Thüringens ebenfalls spätestens seit 2016 nur einen Trend: abwärts. In Thüringen dürfte das Charisma des Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ausschlaggebend für die Führungsposition seiner Partei sein.

Der Thüringer Regierungschef sagte am Sonntagabend in Erfurt, ein Grund für das schlechte Abschneiden seiner Partei sei, dass es ihr nicht gelungen sei, sich als »das soziale Gewissen Deutschlands zu präsentieren« und zu zeigen, dass die Partei »Ost-Themen« in den Vordergrund stelle. Diese seien aber der »Markenkern« der Linken gewesen und müssten das auch weiterhin sein.

Für die Verluste der Linken dürften auch die schwelenden innerparteilichen Konflikte von Bedeutung sein. Nach der Wahl könnten sie erneut aufbrechen. So hatte Sahra Wagenknecht, seit im April ihr Buch »Die Selbstgerechten« erschien, in zahlreichen Talkshows die These vertreten, ihre Partei habe die eigene Klientel vergessen und befasse sich zu viel mit »Identitätspolitik«. Auch in der Linken gebe es zu viele »Linksliberale«, denen die Förderung von Minderheiten wichtiger sei als Sozialpolitik. Zudem hatten Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine öffentlich immer wieder die im Februar nicht mehr angetretenen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger persönlich für sinkende Zustimmungswerte verantwortlich gemacht.

Spätestens auf dem Linke-Parteitag im Februar war indes klar, dass unter den Mitgliedern eine deutliche Mehrheit eine Regierungsbeteiligung im Bund befürwortet. Auch die potenziellen Wähler der Partei sprachen sich in Umfragen für eine Koalition unter Beteiligung der Linken aus. Die Spitzenkandidaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch hatten zuletzt gegenüber »nd.DieWoche« ihre Bereitschaft zum Regieren betont. Die Linke-Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow warb stets besonders stark für Rot-Grün-Rot im Bund und forderte die Genossen auf, nicht mehr nur »vom Spielfeldrand« das politische Geschehen zu kommentieren.

Die Spitzen der Linken heben seit langem die Gemeinsamkeiten mit den innenpolitischen Forderungen ihrer Wunschpartner hervor: höherer Mindestlohn, höhere Renten, ein Abschied von Hartz IV.

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