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Die Weder-noch-Partei

Nach dem schlechten Wahlergebnis sucht Die Linke nach Wegen aus der Misere. Dabei lohnt ein Blick nach Griechenland, Spanien und Portugal

  • Jöran Klatt und Matthias Micus
  • Lesedauer: 7 Min.

Für die Linkspartei endete die Bundestagswahl katastrophal. Mit 4,9 Prozent schrumpfte sie wieder auf das Niveau der PDS in den 1990er und frühen Nullerjahren, welches sie durch das Bündnis mit der WASG und die Fusion zur Linken endgültig hinter sich gelassen zu haben schien. In keiner Berufsgruppe erreichte die Partei einen Stimmenanteil von mehr als 5 Prozent, nicht einmal bei den Arbeiterinnen und Arbeitern; dasselbe gilt für sämtliche Altersgruppen mit Ausnahme der unter 35-Jährigen. Aus den süßen Träumen einer gesamtdeutschen, in West wie Ost verankerten »Sowohl als auch«-Partei ist Die Linke in der bitteren Realität eines »Weder noch« erwacht, in der sie im Westen marginalisiert ist und im Osten ihren Volksparteistatus verloren hat.

Nur wenig Trost mag da spenden, dass Die Linke mit ihrem Leid nicht allein dasteht und es Schwesterorganisationen des linken Parteienspektrums zuletzt nicht viel besser ergangen ist. So stellen die in der Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament (GUE/ NGL) zusammengeschlossenen Parteien im Europaparlament derzeit nur noch 39 Abgeordnete, nach immerhin 52 in der vorangegangenen Legislaturperiode. Und etliche Mitgliedsparteien des Parteienbündnisses Europäische Linke sind gar nicht erst in den Parlamenten vertreten, da sie an den jeweiligen nationalen Sperrklauseln scheiterten.

Postsozialistischer Zustand

Diesseits aller Unterschiede zwischen den einzelnen Linksparteien mit Blick auf ihre historischen Entwicklungspfade, die gesellschaftsstrukturellen Rahmenbedingungen und aktuellen soziokulturellen Herausforderungen lassen sich indes verbindende Motive für die Attraktivitätseinbußen benennen. Da ist zum einen der Verlust jeglicher optimistischer sozialistischer Zukunftserwartung. Der Zusammenbruch des Ostblocks besiegelte vor drei Jahrzehnten einen Prozess der Desillusionierung, in dem der Glaube an die historische Mission des Sozialismus und der Arbeiterklasse verflogen war, sich der vermeintliche Bund mit der Zukunft aufgelöst hatte und die Überwindung des Kapitalismus in weite Ferne gerückt war. Eine Entwicklung, die einer einprägsamen Formulierung der Philosophin Nancy Fraser zufolge in einer »postsocialist condition« resultierte.

Den Linksparteien kam im Zuge dessen ihr Subjekt abhanden: das idealisierte Proletariat mit Klassenbewusstsein, das sich nun - so mochte es anmuten - als Pöbel entpuppte, von Affekten geleitet, ressentimentbeladen, zu geschlossenem Handeln unfähig und von der Linken daher zunehmend misstrauisch beäugt. Der viel zitierte Soziologe Andreas Reckwitz hat die hierin zum Ausdruck kommende »Krise des Allgemeinen« gar zum Erkennungszeichen der Gegenwart schlechthin erklärt.

Arbeiter wählen heute vielfach eher rechts als links, wie Wahlstudien europaweit zeigen. Mit Ausnahme allenfalls einiger südeuropäischer Länder war der Siegeszug des Populismus seit den 1980er Jahren Wasser auf die Mühlen der politischen Rechtskräfte - und ein Mühlstein um den Hals der Linksparteien. Die tschechischen Kommunisten der KCSM etwa erhielten 2002 bei der Parlamentswahl 18,5 Prozent der Wählerstimmen. Dann betrat der populistische Medienunternehmer Andrej Babis mit seiner wirtschaftsliberalen Anti-Establishment-Partei ANO 2011 die Bühne und die KCSM sackte bei der Wahl 2017 massiv auf 7,76 Prozent ab. Die Verluste der Linksparteien fielen dabei für gewöhnlich desto heftiger aus, je stärker sie sich zuvor auf Arbeiterstimmen gestützt hatten.

Riss im linken Wählerspektrum

Dies auch deshalb, weil in den Linksparteien ganz ähnlich wie auch in den sozialdemokratischen Parteien ein kulturelles Linkssein die Bedeutung ökonomischer Verteilungsgerechtigkeit sukzessive überlagert hat, dies zumindest in den Gruppen der Aktivisten und Funktionsträger. Emphatisch werden Fragen des Minderheitenschutzes, der Genderpolitik und des Umweltschutzes diskutiert. Engagiert wird für individuelle Selbstverantwortung und kulturelle Vielfalt gestritten, werden Glaube, Nation, Heimat als Chiffren bornierter Rückständigkeit begriffen. Dergleichen Politikpräferenzen gründen auf hohen formalen Bildungsabschlüssen, überdurchschnittlichem Status und einem ausgeprägten Kompetenzbewusstsein, sie finden sich in aufstiegsorientierten Milieus infolgedessen öfter als in abstiegsbedrohten und sind in den oberen Parteirängen verbreiteter als im Parterre der Anhängerbasis. Bezeichnend: Bei der Bundestagswahl schnitt Die Linke bei formal Hochgebildeten deutlich besser ab als bei Menschen mit geringen Bildungsgraden; eine Kluft, die dringend reflektiert gehört.

Ein schlichtes Zurück in die Vergangenheit kann es für die Linksparteien trotzdem nicht geben, sie befinden sich vielmehr in einem schwer auflösbaren Dilemma. Es gibt eine Parallele: die Spaltung der FDP-Anhängerschaft in den 1960er bis 1980er Jahren in einen zunächst national- und dann wirtschaftsliberalen Flügel hier und einen sozialliberalen Flügel dort, deren Auflösung nach der einen oder anderen Seite in den frühen 1970er und den mittleren 1980er Jahren in verheerende Wahlniederlagen mündete. Ganz ähnlich geht ein tiefer Riss durch das eher traditionalistische wirtschaftslinke und das jung-urbane und kulturlinke Wählerspektrum nicht zuletzt der Linken in Deutschland. Der Versuch, einen der beiden Pole um des inneren Friedens willen abzuspalten, würde die Existenzfrage der Linken vermutlich nicht bloß stellen, sondern mindestens vorläufig entscheiden.

Dass die neubürgerlichen, in zivilgesellschaftlichen Bewegungen engagierten Kulturlinken ein Teil von erfolgreichen Projekten sein können, belegen die Linksparteien in Spanien, Griechenland und Portugal. Hervorgegangen aus Demonstrationen gegen soziale Missstände, ist diespanische Podemos eine Partei, die den zivilgesellschaftlichen Protest regelrecht verkörpert und eben damit in den Jahren 2014 bis 2016 ihre größten Wahlerfolge feiern konnte. Auch Syriza in Griechenland und Portugals Linksblock zeichnen sich durch eine enge Anbindung an die sozialen Bewegungen aus, denen sie nicht überheblich entgegentreten, sondern in der Absicht einer Zusammenarbeit gleichberechtigter Partner.

Vielleicht weist der österreichische Publizist Robert Misik den Linksparteien einen Weg aus der Talsohle. Vor einiger Zeit hat er von der politischen Linken vehement mehr »Mut zum Konzept« eingefordert, Konzepte, die über das tagesfixierte Klein-Klein hinausgehen würden. »Die Menschen«, so Misik, »die den Status quo satthaben, werden niemandem Vertrauen schenken, der nicht glaubwürdig für etwas Neues steht.« Dazu aber brauche es bei den Parteien der demokratischen Linken eine innere Reserve gegen die Macht, eine grundsätzliche Opposition gegen die bestehenden Verhältnisse, was die Beteiligung an Regierungskoalitionen nicht ausschließe, allerdings das vorbehaltlose Aufgehen in ihnen. Jedenfalls: Verlören Linksparteien ihre oppositionelle Identität, dann schade ihnen das, weil niemand einer »Anbiederungslinken« glaube, dass sie politische Alternativen zu entwickeln vermöge.

Politische Alternative mit Basisnähe

Konzepte sind Misik zufolge die eine, Basisnähe ist die andere Erfolgsbedingung linker Parteien. Diese seien immer dann stark gewesen, wenn sie Fäden und Netzwerke geknüpft hätten und vor Ort präsent gewesen wären. Am Beispiel noch einmal der griechischen Syriza beschreibt er das Modell einer Partei, die »an der Basis, in den Stadtteilen und kleinen Städten« ein lebendiges Parteileben entfaltet und sich um die Menschen kümmert. Auch bei der zypriotischen AKEL wird üblicherweise auf das Kümmererimage als Quelle ihres Erfolges verwiesen. In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts erzielte die Partei bei Wahlen Stimmenanteile von mehr als 30 Prozent und stellte von 2008 bis 2013 mit Dimitris Christofias den Ministerpräsidenten, dessen Popularität ganz wesentlich eben seinem Ruf als Problemlöser geschuldet war, der sich tatkräftig der Sorgen und Nöte seiner Landsleute annahm.

Geradezu diametral entgegengesetzt agierten in den frühen Nullerjahren die polnischen Post-Kommunisten. Als sie 2001 nach einem bemerkenswerten Wahlsieg mit 41 Prozent der abgegebenen Stimmen an die Regierung zurückkehrten, besaßen sie keinen programmatischen Masterplan für die Regierungsarbeit. Stattdessen huldigten sie einem kurzatmigen technokratischen Pragmatismus, der auf der Überzeugung basierte, die Gesellschaft lasse sich politisch ohnehin nicht grundlegend gestalten, und letztlich hätten auch Linke in der Politik bloß nach der Macht zu streben. Bald nach dem Wahlsieg setzte ein beispielloser Niedergang der Partei ein, der sie zwischenzeitlich ganz aus dem Sejm herausfliegen ließ. Der Wiedereinzug konnte nur vermittels eines Wahlbündnisses mit anderen Parteien sichergestellt werden.

Auch die polnische Entwicklung spricht folglich für ambitionierte, zukunftsoptimistische, über die Gegenwart hinausweisende Konzepte als Angebot an das drängende jugendliche Umgestaltungsbedürfnis einerseits, ein basisnahes, insbesondere die Weiten der ländlichen Peripherie und sicherheitsorientierte Milieus adressierendes Kümmern andererseits. Vielleicht gelingt der Linkspartei in Deutschland vermittels einer solchen Doppelstrategie der Wiederaufstieg. Und das, ohne einen ihrer Flügel abspalten zu müssen.

Jöran Klatt und Matthias Micus sind Politikwissenschaftler und leben in Berlin.

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