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»Die Frauen leben wie im Gefängnis«

In »Room without a View« spürt die Filmemacherin Roser Corella den Lebens- und Arbeitsbedingungen von migrantischen Haushaltshilfen im Libanon nach

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie sind Sie dazu gekommen, einen Film über Haushaltshilfen im Libanon zu drehen?

Ich habe das Projekt vor acht Jahren in Bangladesch begonnen, wo ich gerade an etwas anderem gearbeitet habe. Dort sah ich, dass viele Frauen mit geringer Bildung, die keine Chance im Land hatten, als Haushaltshilfen in den Nahen Osten gingen, vor allem in den Libanon. Ich war geschockt von dem, was mir Frauen erzählten, die zurückkamen. Sie waren eingesperrt gewesen, hatten nicht genug zu essen. Wenn sie ins Land kommen, werden ihnen die Pässe weggenommen.

Meine Idee war, Frauen zu begleiten, die in den Libanon wollten. Deshalb bin ich in Bangladesch zu einem Trainingscenter gegangen, wo sie auf ihren Einsatz im Haushalt vorbereitet werden. Aber als ich in Beirut ankam, habe ich gemerkt, dass ich die Frauen nicht besuchen kann, weil sie eingesperrt waren.

Interview

Roser Corella ist eine in Berlin lebende Dokumentarfilmerin und Fotografin. Sie hat unter anderem Filme über traditionelle Gesetzeskodizes in Albanien oder Kidnapping- und Hochzeitsriten in Kirgistan gemacht. Ihre Arbeiten wurden auf internationalen Filmfestivals gezeigt, darunter Dok Leipzig, Reykjavík, Shanghai und Al Jazeera.

Ihre neueste Arbeit »Room without a View« war unter anderem auf dem CPH:DOX in Kopenhagen, beim Hot Docs in Toronto sowie beim Thessaloniki-Filmfestival zu sehen und wird nun erstmalig öffentlich in Berlin vorgeführt. Mit Corella sprach Inga Dreyer.

Was wissen die Frauen von dem, was sie erwartet?

Einige von ihnen wissen nicht einmal, welche Art von Arbeit sie machen sollen. Denn die Agenturen belügen sie oft. Dann heißt es zum Beispiel: Du wirst in einem Supermarkt arbeiten. Einer Frau wurde vorher gesagt, dass sie in einem Büro arbeiten würde und nachmittags Zeit zum Lernen hätte. Dann kam sie an, sollte eine Wohnung putzen und durfte nicht rausgehen. So etwas höre ich immer wieder. So wird das Ganze zum Menschenhandel. Die Frauen leben wie im Gefängnis.

Aus welchen Ländern kommen die Frauen?

Die meisten kommen aus afrikanischen und südostasiatischen Ländern, vor allem aus Bangladesch, Sri Lanka, von den Philippinen, aus Äthiopien, Nigeria, Gambia und dem Sudan.

Die rechtliche Grundlage bildet das sogenannte Kafala-System. Was hat es damit auf sich?

Das Kafala-System hat seinen Ursprung in den 1950er-Jahren in den Golfstaaten. Es wurde eingeführt, um billige Kurzzeit-Arbeiter*innen in Zeiten des ökonomischen Aufschwungs ins Land zu bringen, die beispielsweise in der Ölindustrie, auf dem Bau oder im Haushalt arbeiten sollten. So konnten die Arbeiter*innen wieder aus dem Land geworfen werden, wenn man sie nicht mehr brauchte. Statt ihnen Arbeitsvisa zu geben, bekamen sie eine*n »Kafala«, ein*e Betreuer*in, also eine Person, die rechtlich verantwortlich ist.

Der Libanon hat dieses System übernommen und nutzt es auch für die Baubranche, meistens aber für die Hausarbeit.

Wie sind Sie mit den Haushaltshilfen im Libanon in Kontakt gekommen?

Das war der schwierigste Teil. Als ich feststellte, dass ich die Frauen nicht in die Häuser begleiten konnte, steckte ich ein bisschen fest mit meinem Projekt. Dann habe ich meine Recherche ausgeweitet, um herauszufinden, in welchen anderen Bereichen dieses System verwurzelt ist. Dazu gehören die Agenturen und das Arbeitsministerium. Ich führte viele Interviews und bekam langsam Zugang zur libanesischen Gesellschaft und zu einigen Häusern. Die Wohnungen, die man im Film sieht, gehören Familien, die ihre Haushaltshilfen vergleichsweise gut behandeln. Trotzdem sind sie Teil eines Systems.

Es hat lange gedauert, die Familien zu überzeugen, dass ich dort filmen kann. Ich habe sie häufig getroffen, viel Kaffee mit ihnen getrunken und habe viele Interviews nur mit dem Mikrofon aufgenommen, sodass sie anonym bleiben konnten. Unter diesen Bedingungen waren viele bereit zu erzählen.

Es gibt im Film auch eine Szene mit Frauen, die am Kaffeetisch sitzen und über ihre Haushaltshilfen sprechen. Wie haben Sie das geschafft?

Das war eine Familie, die ich häufig traf, weil ich die Tochter kannte. So habe ich die Mutter kennenlernt, die einerseits irgendwie gegen das System ist, andererseits aber mittendrin. Sie findet diese Art, eine Haushaltshilfe zu engagieren, nicht gut, meint aber, das sei im Libanon die einzige Möglichkeit.

Ich wusste, dass die libanesischen Frauen viel über ihre Haushaltshilfen reden. »Meine Afrikanerin«, »meine Philippinerin«, so reden sie. Deshalb habe ich die Mutter meiner Bekannten gefragt, ob sie nicht zwei Freundinnen einladen und mit ihnen über ihre Erfahrungen sprechen könnte. Sie hat dann ihre beiden Schwestern angerufen. Eine von ihnen will keine Haushaltshilfe haben, die andere möchte eine richtige Dienerin. Ich habe das Thema angeregt, aber sie haben dann diskutiert, wie sie es sonst auch tun. Das war ein echtes Gespräch.

Sie merken gar nicht, wie rassistisch sie dabei sind. Manche denken, dass sie eine sehr gute »Madame« seien, wie die Arbeitgeberinnen genannt werden. Gleichzeitig aber folgen sie diesem ausbeuterischen und rassistischen System. Je Nationalität bezahlen sie den Frauen mehr oder weniger. Die Philippinerinnen bekommen 400 Dollar, weil sie Englisch sprechen. Die Afrikanerinnen bekommen 300, die aus Bangladesch, Indien oder Sri Lanka bekommen 150 oder 200 Dollar.

Haben Sie seit Beginn Ihres Projektes Veränderungen bemerkt? In Ihrem Film zeigen Sie zum Beispiel Demonstrationen von Haushaltshilfen …

Ich habe schon Unterschiede gesehen. Als ich das erste Mal in Beirut war, gab es noch keine Demonstrationen. Da waren nur ein paar NGOs, die sich mit dem Thema beschäftigten. Aber jetzt gibt es viele Institutionen, die sich dafür einsetzen, das Kafala-System abzuschaffen. Es gibt also etwas Hoffnung.

Die Regierung aber hat kein Interesse an Veränderungen, sondern ist mit anderen Dingen beschäftigt - wie den Protesten im Jahr 2019 oder der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut 2020 oder der ökonomischen Krise des Landes.

Das Einzige, was bisher erreicht werden konnte, ist der Entwurf für einen Vertrag, um Minimalbedingungen für Haushaltshilfen zu schaffen. Darunter beispielsweise ein freier Tag in der Woche, Mindestgehalt, eine maximale Arbeitszeit von acht Stunden am Tag. Aber keine Agentur setzt das um.

Wie haben Sie den Film realisieren können?

Ich habe am Anfang alles selbst finanziert. Immer, wenn ich genug Geld hatte, bin ich wieder in den Libanon geflogen, um zu drehen. Später bekam ich eine Förderung vom Berliner Senat zur Entwicklung des Stoffes und eine dreimonatige Künstler*innenresidenz im Libanon, die vom Goethe-Institut unterstützt wurde. Dann haben wir noch Förderungen aus Österreich bekommen, die die Postproduktion ermöglicht haben.

Bis zu diesem Zeitpunkt war es großes Auf und Ab. Erst mit der Pandemie habe ich angefangen zu schneiden. Sonst hätte ich wahrscheinlich immer weiter recherchiert und nie ein Ende gefunden.

»Room without a View«: Österreich/Deutschland 2020. Regie: Roser Corella, 73 Minuten. Vorführung mit Filmgespräch am 20. Oktober um 19 Uhr im Wolf-Kino, Weserstraße 59, Berlin.

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