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Probeaufnahmen mit einem König

Dieses Gespräch mit der 2016 verstorbenen Theaterregisseurin und Schauspielerin Cox Habbema führte Paul Werner Wagner im April 2008

  • Lesedauer: 10 Min.

PAUL WERNER WAGNER: Cox Habbema, Ihr Name ist vor allem verbunden mit einer großen Zeit am Deutschen Theater. Sie leben in Amsterdam, aber wie man so sprichwörtlich sagt: Sie haben noch einen Koffer in Berlin. In der Bundesrepublik war es ja üblich, dass Holländer, dass Niederländer in Deutschland Karriere machten, ich denke an meine frühen Fernseherlebnisse mit Lou van Burg, dann kam Rudi Carrell, zwischendurch Heintje.

COX HABBEMA: Solche Vergleiche muss man sich gefallen lassen. Aber wir sind ja unter uns. (Lachen.) In einer Vorstellung der Dreigroschenoper brach mir ein Absatz vom Schuh weg, ich lief schimpfend nach vorn, und es muss ähnlich wie Rudi Carrell geklungen haben.
Lebens Licht und Lebens Schatten

Seit 2003 befragt der Kulturwissenschaftler Paul Werner Wagner namhafte Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspielerinnen und Schauspieler der Defa über ihr Leben und Wirken, ihre größten Erfolge, aber auch die Schattenseiten ihres Lebens vor und hinter der Kamera - immer mit Blick auf den großen Epochenumbruch 1989/90, der nicht nur das Ende der staatlichen Filmgesellschaft der DDR, sondern auch große Veränderungen in den Biografien ihrer Akteure mit sich brachte.

Aus den Zeitzeugengesprächen, die er in den Reihen »Berliner Montagsdiskurs«, »Defa-Filmküche in der Quchnia« und »Forum Kultur und Politik« in Halle (S.) führte, hat Paul Werner Wagner gemeinsam mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt eine Auswahl getroffen. Zu Wort kommen Christel Bodenstein, Angelica Domröse, Cox Habbema, Eva-Maria Hagen, Jutta Hoffmann, Otto Mellies, Jaecki Schwarz, Hilmar Thate, Ulrich Plenzdorf, Roland Gräf, Egon Günther, Siegfried Kühn, Kurt Maetzig, Rainer Simon und Herrmann Zschoche.

Die Leute applaudierten, und mir ging auf, dass sie eindeutig ihn assoziiert hatten, als sie das Holländische hörten.

Auf den Punkt gebracht: Wie kamen Sie nach Ost-Berlin? Was hat Sie dahin verschlagen?

Zufällig war ich jetzt gerade in Paris und habe einen Vortrag über Benno Besson gehalten. Er ist damals ein wesentlicher Grund meines Orts- und Weltenwechsels gewesen. In Holland gab es keine Regieausbildung, auf der Schauspielschule bekam ich ständig zu hören, ich sei zu intelligent für die Schauspielerei, aber zu hübsch für Regie. (Lachen.) Also habe ich sicherheitshalber beides gelernt. Auf Kosten der Regierung durfte ich eine Art Auslandspraktikum absolvieren. Unsere Klasse fuhr nach Berlin. Wir sahen am Berliner Ensemble den weltberühmten »Arturo Ui« mit Ekkehard Schall. Es war großes Theater, aber die Aufführung war schon achtzehn Jahre alt, also: groß, aber nicht mehr ganz so frisch. Auch ins Deutsche Theater ging ich und sah »Der Drache«, in der Regie von Benno Besson, mit Eberhard Esche in der Hauptrolle als Lanzelot. Der Esche konnte auf eine wunderbare Weise mit dem Publikum spielen. Er wusste, dass er es einfangen konnte - das genoss er. Dass er ankam, ließ er sich gern gefallen, aber zugleich stellte er das Publikum auf liebevolle Weise bloß. Blicke genügten, ein leichtes Grinsen, er ironisierte hochintelligent, und ich dachte mir: Das ist viel besser als jene Verfremdung, über die man in Verbindung mit Brecht so oft sprach und wie ich sie am BE gesehen und gar nicht so richtig begriffen hatte. Verfremdung ist Spiel mit dem Publikum, und Besson war ja ein Brecht-Schüler - und also rief ich Herrn Besson von Amsterdam aus an. Ein Telefonat in die DDR! Ich glaube, nachts gegen zwölf erwischte ich ihn, wer weiß, in welchem Bett … (Lachen.) Na ja, jedenfalls überrumpelte ich ihn. Er fragte, ob ich französisch sprechen könne, wenn ja, er beginne gerade mit Proben zu einem Moliere, ich solle anderntags früh im Theater sein. Aha, nachts um zwölf in die DDR anrufen und am nächsten Morgen dort sein! So schnell wie möglich fuhr ich hin, Besson begrüßte mich mit den Worten: »Können Sie mir eine Tasse Kaffee besorgen?« Da wusste ich, dass ich als Assistentin akzeptiert war. Auch als eine Art Praktikantin für Regie und Schauspiel. Das bin ich eine lange Zeit geblieben. Eines Tages wurde ich auf der Straße angesprochen, von einem wuscheligen kleinen Knaben, der sagte, er sei Filmregisseur, ob ich bei ihm die Hauptrolle spielen möchte. Ich habe ihn angeblickt und nur gesagt, dieser Trick sei mir schon lange nicht mehr begegnet. (Lachen.)

Das war Rainer Simon.

Ja. Und so kam ich zur Defa.

Und zur Frage: »Wie heiratet man einen König?«

Ich betrat das Studio, da stand Esche, und ich hörte, er habe die Hauptrolle in diesem Film und sei nicht verpflichtet, mit mir Probeaufnahmen zu machen. Ich sah bei ihm die blanke Arroganz. Als die Aufnahmen begannen, machte mich der Trubel am Set so nervös, dass ich den Faden verlor - und was höre ich? Eine schneidende Stimme, wie sie wohl nur im Deutschen möglich ist. Es war die Stimme von Esche: »Können Sie nicht endlich mal ruhig sein, Frau Habbema möchte probieren!« Seine totale Sinneswandlung. Ich bekam die Rolle. Ich habe den Film gestern noch mal gesehen. Da springt von Anfang an die Verliebtheit durchs Fensterchen. (Lachen.)

Das mussten Sie nicht spielen.

Nee, das hatten wir sofort drauf. (Lachen.)

Der Film hat noch heute sein Publikum.

Prähistorie. Ach, und jung war man.

Sie haben, damals am Deutschen Theater, bald auch gespielt.

Wolfgang Heinz war Intendant. Ein sehr beeindruckender, alter, österreichischer Prinzipal. Wir mochten uns auf Anhieb. Ich bin so direkt auf ihn zugegangen, dass er total verblüfft war. Dann sagte er: »Meinen Sie nicht, meine Liebe, dass es vielleicht besser wäre, zuerst ein bisschen deutsch sprechen zu lernen?« Ich antwortete dem Wiener: »Na, wenn ich Sie höre.« (Lachen.) Das war frech. Ungehörig. Aber ich bekam mein Vorsprechen, und ich gehörte bald zum Ensemble. Wie gesagt: erst als Regieassistentin, dann auf der Bühne. Es gibt den Witz, dass ein Schauspieler während der Vorstellung zur Souffleuse schleicht. Er weiß nicht weiter, die Souffleuse flüstert ihm die Textstelle zu, aber der Schauspieler zischt: »Keine Details - welches Stück?« Bei mir sagten sie immer: »Keine Details - welches Land, welche Sprache?« Aber mit der Zeit wurde es natürlich besser.

Durch den Märchenfilm von Rainer Simon wurden Sie DDR-weit bekannt?

Ich wurde weltberühmt in der DDR. (Lachen.) Ja.

Das Leben, sagt und weiß man, ist konkret. Kunst hin und her: Sie hatten hier ein Engagement und wurden mit DDR-Währung bezahlt. Wie war das denn mit der Versicherung, zum Beispiel?

Ich war nicht versichert. Als ich eine Grippe bekam und sogar ins Krankenhaus musste, fragte mich die Krankenschwester: »Sind Sie versichert?« Nein, sagte ich, versichert sei ich nicht, nur krank. (Lachen.) Daraufhin konnte ich eine Versicherung über zehn Ostmark abschließen, und egal, wie lange ich krank war - die Summe wurde nicht erhöht. Das erzählt doch was über ein Land.

Eberhard Esche und Sie waren verheiratet. Wie funktioniert das, wenn man gemeinsam künstlerisch tätig ist? In »Senecas Tod« von Peter Hacks waren Sie sogar Esches Regisseurin.

Das Schöne an Senecas Tod war, dass Esche als Seneca in der Badewanne saß, er also gewissermaßen eingesperrt war, und das mitunter stundenlang, bei den Proben. Trotzdem mischte er sich immer ein. Es war ein schreckliches Arbeiten mit diesem Menschen. (Lachen.) Verabredet war: Auf den Proben dürfen die Schauspieler schimpfen, aber wenn wir nach Hause gehen, darf dann ich schimpfen, vor allem mit ihm natürlich. Wir waren über fünfundzwanzig Jahre verheiratet, haben uns nicht mehr gekracht als andere Menschen, wahrscheinlich sogar viel weniger. Wir haben uns sehr geliebt. Wenn du dann so zurückschaust aufs Leben und siehst mal wieder so einen Film »Wie heiratet man einen König?«, begegnest also deiner Jugend, mein Gott, da wird dir schon ein wenig wehmütig ums Herz. Du siehst so einen alten Film, dann schaust du in den Spiegel und weißt einmal mehr, was Vergänglichkeit ist. Die Beweglichkeit nimmt auch ab. Dieter Mann sagte kürzlich: »Ich bin inzwischen ein Sitzriese.« Der Esche war zuletzt etwas verhärtet, verbittert, bedingt auch durch den Verlust des Landes - damit ist eben nicht jeder eins, zwei, drei fertig geworden. Esche zum Beispiel nicht. Ach, er war so ein flexibler, lustiger, hinreißender Narr. Die Kinder schrien im Kino, wenn König Esche aus dem Fenster sprang und auf einem Pferd landete. Wie das nur gehe, fragten die Kinder. Und Esche antwortete immer, das gehe überhaupt nicht.

»Ist alles Betrug.« Film ist Lüge, Kunst ist Lüge, aber eine unsterbliche - das ist die Wahrheit. Am Leben ist auch vieles Betrug. Aber schön.

Erinnern Sie sich noch an »Eolomea«?

Spielt in den Sternen. Ein utopischer Defa-Film! Ein schönes Beispiel für die Ökonomie des Drehens. Drei Wochen saßen wir in Bulgarien rum, um eine dramaturgisch sehr wichtige Strandszene zu erarbeiten. Leider regnete es die drei Wochen, und zwar ununterbrochen. Am Ende sind wir an die Ostseeküste gefahren und haben den gesamten Film an einem einzigen Tag zu Ende gebracht. Mit den Zähnen klappernd, es war eiskalt.

Man kann sagen, Sie hatten Glück mit Ihren Regisseuren.

Das kann man sehr laut sagen! Etwa Rainer Simon - und Lothar Warneke. »Leben mit Uwe« und »Die unverbesserliche Barbara«. Der letztgenannte Film berührte zum ersten Mal das Thema Sport in der DDR. Im Laufe des Films bekommt man mit, dass diese junge Frau keine Kinder kriegen kann - sie war eine Topsportlerin. Irgendwann wählt sie, gegen die Norm, ihr eigenes Leben und geht zurück in die Produktion, in Hoyerswerda. Den Frauen in der Fabrik tat ich leid. Denn ich musste nachts nach der Vorstellung am DT mit dem Auto zum Drehort kommen, wurde geschminkt, und um sechs Uhr früh begann der Dreh. Mittags um zwölf fuhr das Auto wieder zurück nach Berlin. Und das über Wochen. Die Arbeiterinnen sagten, ich sei ja wohl nicht richtig »im Koppe«. War ich auch nicht.

Am Deutschen Theater haben Sie - es wurde schon kurz erwähnt - »Senecas Tod« von Peter Hacks inszeniert. Neben Eberhard Esche ist mir eine Nebenrolle in Erinnerung geblieben: Rolf Ludwig als betrunkener Maurer.

Wunderbar! Rolf war ja den geistigen Getränken nicht abgeneigt, aber den Betrunkenen spielte er natürlich nur, wenn er nüchtern war. Hacks beharrte auf dem Bühnenbildner Karl von Appen, dem berühmten Mann vom BE, der noch mit Brecht zusammengearbeitet hatte. Er war schon alt inzwischen, baute seit Jahren nichts mehr fürs Theater, aber für uns ging er tatsächlich noch mal ans Werk, errichtete uns ein kleines, feines Bühnenbild, klassisch, mit Säulen und Püppchen. »Senecas Tod« hatte ziemlichen Erfolg beim Publikum. Ich wurde dann Intendantin in Holland, und irgendwann erhielt ich eine Urkunde für fünfzehn Jahre treue Dienste am Deutschen Theater. Ich fuhr nach Berlin, saß in meiner Loge, und auf der Bühne die Szenerie von »Senecas Tod«, und da standen meine alten Freunde. Es war ein heiterer Moment - und ein ganz trauriger.

Im Theater im Palast inszenierten Sie »Reineke Fuchs« - mit Eberhard Esche.

Der Kerl hat in seinen Büchern geschrieben, er habe nie einen Regisseur gehabt. Von wegen! Nun ja, keinen Regisseur, das stimmt. Aber eine Regisseurin - mich! (Lachen.) Ich hab die meisten seiner abendfüllenden Monologe in Szene gesetzt. Ein Solo zu inszenieren, das ist außerordentlich schwierig. Nähe und Distanz - eine schwierige Frage von Proportionen.

Ich nenne noch einen Namen: Bertolt Brecht.

Ein Mann, genial für die Übergänge, genial für Zeiten, in denen alles noch ein Nichts ist, wo nichts feststeht, gesellschaftlich alles schwankt und fließt und eher formlos ist als Form. Zu den schönsten Begegnungen mit Brecht gehörten für mich Theatererlebnisse mit Schauspielern am Berliner Ensemble: Ekkehard Schall und Hilmar Thate in »Coriolan« etwa. Die Kampfszene zwischen beiden. Umwerfend. So fantastisch, wie zwei spielend wegkommen von der Bedeutung und sich also nicht draufsetzen auf die Wichtigkeit.

Haben Sie selber Brecht inszeniert?

Nein, nein. Ich habe sehr viele Regisseure in Holland Brecht inszenieren sehen. Und hab gedacht, damit fang ich gar nicht erst an. Wenn ich die Schauspieler nicht habe, die diese Straffheit hinkriegen … nee. Vielleicht kommt es noch.

Paul Werner Wagner/Hans-Dieter Schütt:
Lebens Licht und Lebens Schatten. Filmkunst der DDR im Gespräch
Herausgegeben von der Defa-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung
248 Seiten, Klappenbroschur 20,00 EUR
ISBN: 978-3-96982-005-6 Erschienen im Quintus-Verlag

Paul Werner Wagner, 1948 geboren, ist Literaturwissenschaftler und Kulturmanager. 1967 bei einem Fluchtversuch aus der DDR festgenommen und zu 18 Monaten Haft wegen Landesverrats verurteilt, konnte er nach sieben Jahren Bewährung in der Produktion Kultur- und Literaturwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin studieren. Er war bis 2020 Vorsitzender der Friedrich-Wolf-Gesellschaft, Gründer und von 2001 bis 2019 Vorsitzender der Emanuel-Lasker-Gesellschaft und von 2002 bis 2010 Vorsitzender des Künstlerklubs »Die Möwe«.

Hans-Dieter Schütt, 1948 geboren, ist Journalist. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften in Leipzig war er von 1973 bis 1989 Redakteur bzw. Chefredakteur der Tageszeitung »Junge Welt« und von 1992 bis 2012 Feuilletonredakteur der Tageszeitung »neues deutschland«. Als Autor, Interviewer und Herausgeber verfasste Schütt zahlreiche Biografien und Gesprächsbücher (u. a. über Regine Hildebrandt, Friedrich Schorlemmer, Andreas Dresen, Frank Castorf, Reinhold Messner, Dieter Mann, Inge Keller, Claus Peymann und Gerhard Gundermann).

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