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»Verbote haben noch nie etwas verbessert«

Die Sexarbeiterin Ruby Rebelde über das »Hurenstigma«, Probleme von Prostituierten und ihr eigenes Engagement

Eine übliche Kritik an Organisationen wie Hydra e. V., die für eine allgemeine Legalisierung von Sexarbeit kämpfen, lautet: Ihr legitimiert Menschenhandel.

Kurz vorweg - ich hoffe, Sie verstehen das nicht als Bevormundung: Legalisiert ist Prostitution in Deutschland schon sehr, sehr lange. Unsere Forderung ist also nicht die Legalisierung, sondern die Entkriminalisierung von Sexarbeit, die Gleichstellung von Sexarbeitenden und der Abbau von allen Sondergesetzen für Sexarbeitende. Und die »Kritik«, die Sie ansprechen, ist ein großes Narrativ, was sich durch die gesamte Thematik zieht: die Gleichsetzung von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung mit konsensuell verrichteter Sexarbeit.

Interview

Ruby Rebelde erlebt als Sexarbeiterin selbst Stigma und Diskriminierung. Sie sagt, dass Sexarbeitende von der Mehrheitsgesellschaft an den Rand gedrängt werden. Für die Mehrheitsgesellschaft sei »Hure sein« vieles, von exotisch bis »das Letzte« - es polarisiere und mache auch heute noch viele Leute sprachlos oder hasserfüllt.

Ihr Selbstverständnis ist feministisch. Seit 2019 ist sie im Vorstand von Hydra e. V., Treffpunkt und Beratungsstelle für Sexarbeitende in Berlin. Sie hält Workshops und Vorträge, um über die Situation von Sexarbeit in der Gesellschaft aufzuklären.

Diese Zuschreibung spricht einer ganzen Berufsgruppe die Entscheidungsfähigkeit ab, aus freien Stücken eine Dienstleistung anzubieten. So wird zum Beispiel behauptet, 90 oder 95 Prozent aller Prostituierten seinen Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Diese Zahlen sind erstens falsch. Zweitens ist hier vollkommen unterschlagen, dass Freiwilligkeit von Lohnarbeit immer eine Grauzone ist. Wenn Sie zum Beispiel nicht als Journalistin ihr Geld verdienen müssten, würden Sie dann jeden Artikel schreiben? Wissen Sie, was ich meine?

Absolut. Sie schreiben auf Ihrer Website, Ausbeutung sei »zentrales Moment jeder Lohnarbeit«. Damit muss man sich einfach nicht mehr auseinandersetzen, wenn man Sexarbeit zu dem »ganz anderen« erklärt. Das Problem ist dann nicht mehr das normale Übel der Ausbeutung, sondern ein moralisches Vergehen oder eben gleich Menschenhandel. Aber wie können denn Sexarbeitende einen Arbeitskampf organisieren - oder was steht dem im Weg?

Im Moment arbeitet das Prostituiertenschutzgesetz als paternalistischer »Schutz« gegen die Tatsache, dass Sexarbeiter*innen Rechte benötigen. Überhaupt haben Verbote, Einschränkungen und Repressionen noch nie zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen geführt. Betont werden muss auch: Vergewaltigung ist Vergewaltigung, egal ob sie einer Sexarbeiterin oder einer anderen Person angetan wird. Das ist eine Straftat. Sagt man aber, Sexarbeit sei an sich strukturelle Gewalt, macht das komplett unsichtbar, dass Sexarbeiter*innen auch Vergewaltigungen, Missbrauch oder sexuelle Übergriffe erleben können, genauso wie andere Menschen eben auch.

Wir bei Hydra treten für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit ein. Das verlangt einen transparenten Diskurs darüber, wo zum Beispiel Unwissen bei den Behörden besteht. Wenn im Prostituiertenschutzgesetz zum Beispiel festgelegt ist, dass die Deckenhöhe in einer Prostitutionsstätte so und so hoch sein soll und da so und so viele Toiletten vorhanden sein müssen, trägt das der Realität überhaupt nicht Rechnung, was für Sexarbeitende in ihren Prostitutionsstätten wirklich wichtig wäre. Also da sind die nicht gefragt worden zu der Deckenhöhe, bin ich mir sicher.

Es muss aber mehr verändert werden als nur die Rechtslage, Stichwort Stigmatisierung: Welche Wege gibt es, das gesellschaftlich zu verändern?

Es ist schon extrem wichtig, dass wir rechtlich gleichgestellt werden, weil das den Diskurs über Sexarbeit und Sexarbeitende in die Gesellschaft bringt. Dann wäre es wichtig, Stigma mit Themen wie Enttabuisierung von Sexualität, Geschlechtsidentität, Diskriminierung sexueller Präferenzen verflochten zu denken. Aber das wird durch das »Othering« der Hure systematisch verhindert, also diese Geschichten werden nicht erzählt, weil nur über Opfer oder »glückliche Huren« geredet wird.

Es gibt auch die Frauen aus dem »Emma«-Milieu, die auf der einen Seite rassistisch gegen Muslimas hetzen, die Kopftücher tragen, sich aber in der Debatte über Sexarbeit zu Schutzpatroninnen der osteuropäischen Sexarbeiterinnen aufschwingen.

Ja, der Schutz gilt aber dann auch nur bis zur Ländergrenze! Denen ist scheißegal, wie die Situation der osteuropäischen Sexarbeiterinnen im Herkunftsland ist. Hauptsache, Deutschland kriminalisiert die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen.

Inwiefern würde sich eine Veränderung der Rechtslage positiv auf alle Sexarbeitenden auswirken, also auch auf die in sehr prekären Lebens- und Arbeitssituationen?

Hier müssen wir zunächst in den Blick nehmen, dass Arbeitsmigration nach Deutschland sehr häufig aus Ländern erfolgt, die aus bestimmten Gründen - Kolonialisierung, Kapitalismus - ärmer sind. Diese Menschen müssten, wenn sie hier sind, Aufenthaltsrechte bekommen. Das ist das eine. Und das andere ist: Erst dadurch, dass die Bedingungen für Sexarbeiter*innen überall besser werden, könnten wir wirklich verhindern, dass Leute in die Sexarbeit gedrängt oder gezwungen werden. Selbst wenn in Deutschland Sexarbeit oder die Nachfrage nach Sexarbeit verboten wird, hätte das überhaupt keinen Effekt auf osteuropäische, afrikanische oder asiatische Länder, aus denen Kolleg*innen zu uns kommen.

Sind Sie bei Hydra denn international vernetzt?

Die Sexarbeits- und Hurenbewegung sind sehr gut vernetzt. Da gibt es zum Beispiel die European Sex Workers’ Rights Alliance (ESWA) oder das Global Network of Sex Work Projects (NSWP). Besonders wichtig ist es, die Stimmen von Kolleginnen zu hören, die unter dem sogenannten Nordischen Modell, unter der Freierkriminalisierung leiden.

Wie sind Sie persönlich zur Organisierung bei Hydra gekommen?

Ich bin als Sexarbeiterin zwangsgeoutet worden und habe im Zuge dessen die Lohnarbeit verloren, der ich tagsüber nachgegangen bin. Damit habe ich mich an die Antidiskriminierungsstelle des Landes Berlin gewendet. Aber die Antidiskriminierungsstelle hat sich der Sache nicht angenommen, weil Diskriminierung gegen Sexarbeitende nicht in ihre Statuten passte. Als ich im Zuge all dessen angefangen habe, hauptberuflich als Sexarbeiterin zu arbeiten, wurde gerade das Prostituiertenschutzgesetz eingeführt. Ich habe also erlebt, wie dieser Wandel zwischen Vorher und Nachher war: Ich musste mich plötzlich bei den Behörden registrieren lassen und so weiter.

Deshalb habe ich angefangen, mich gegen das Gesetz zu engagieren, 2019 habe ich mich der Arbeit bei Hydra e. V. zugewandt. Hydra setzt sich schon 41 Jahren explizit für die Rechte von Sexarbeitenden ein und bringt sehr viel Expertise über deren Lebensrealitäten mit. Ich wurde Mitglied des Vereinsvorstandes und arbeite seit nun einem Jahr an der Erstellung eines Pressearchivs zu Sexarbeit, wobei ich systematisch Desinformationen, Fehlinformationen und Verschwörungserzählungen über Sexarbeit und Sexarbeitende untersuche und katalogisiere.

Das damals noch SPD-geführte Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gab im Juni dieses Jahres bekannt, welche Modellprojekte im Bereich Prostitution für die nächsten drei Jahre gefördert werden. Darunter ist auch der christliche Träger Neustart e. V.

Die Förderung von Neustart e. V. ist ein gutes Beispiel für strukturelle Gewalt gegen Sexarbeiter*innen. Der Verein hat sich nicht auf dem regulären Weg bewerben müssen, um an dem Auswahlverfahren zu den Bundesmodellprojekten teilzunehmen, sondern wurde als Ergänzung außerhalb des Wettbewerbes berufen. Neustart e. V. stützt sich auf christliche Lebenshilfe nach den Prinzipien von Mission Freedom (ein christlicher Verein aus Hamburg, der sich nach eigener Aussage gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel wendet, Anm. d. Red.) und arbeitet auf den »Ausstieg« von Sexarbeitenden hin.

Sehen Sie eine Entwicklungstendenz in der staatlichen Förderungspolitik?

Derzeit werden Projekte, die dezidiert gegen Sexarbeitende gerichtet sind und Sexarbeit per se als strukturelle Gewalt gegen Menschen definieren und auf einen »Ausstieg« aus der Sexarbeit hinarbeiten, auf die gleiche Ebene gehievt wie akzeptierende Beratungsstellen, die seit Jahrzehnten mit Sexarbeitenden arbeiten. Dabei wird nicht über die breite Masse von Menschen geredet, für die Sexarbeit einfach eine Möglichkeit ist, wie sie Kapitalismus und Ausbeutung begegnen können.

Es ist wieder diese Polarisierung der Debatte, die sich immer an zwei Extremen bewegt: Hier die Betroffenen von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und dort die sogenannten glücklichen Huren als seltene Ausnahmen. Und als Konsequenz dessen sitzen wir dann am selben Tisch wie Gegner*innen von Sexarbeit, die für Abschaffung, also die für eine Welt ohne Prostitution eintreten - also Personen, die menschenfeindliche Positionen gegen Sexarbeitende vertreten und auch den Ausschluss von Sexarbeitenden aus feministischen Kreisen fordern.
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