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Probleme, wohin man in Charlottenburg auch schaut

Hertha BSC steht nach dem 1:4 gegen den FC Bayern München vor richtungweisenden Wochen

Entspannt spielte ein Polizist an seinem Handy, sein Dienstbus mit weiteren gelangweilten Insassen in Uniform stand am frühen Sonntagabend einsam vor der Geschäftsstelle von Hertha BSC auf dem Berliner Olympiagelände. Ein Bild der Ruhe nach dem Sturm. Einen Tag zuvor hatten dort rund 80 ungeladene Fans die geheime Übungseinheit der blau-weißen Fußballer gestört - um der Mannschaft auf dem Trainingsplatz in deutlichen Worten den aufgestauten Frust der Anhängerschaft zu übermitteln. Auch von diesem Erlebnis sprach Herthas Trainer Tayfun Korkut, als er später am Sonntagabend sagte: »Wir müssen schauen, dass wir die ganze Woche schnell hinter uns bringen.«

Es hätte den Berliner Bundesligisten zum Abschluss dieser Woche noch sehr viel schlimmer erwischen können. Weil aber der Rekordmeister aus München bei seinem Sieg im Olympiastadion ungewohnt viele Torchancen ausgelassen hatte, blieb es Korkut auf der Pressekonferenz nach dem 1:4 gegen den FC Bayern erspart, ein weiteres Debakel kommentieren zu müssen. Und so schleppt Hertha BSC vor allem die große Schmach der Pokalpleite gegen den Stadtrivalen 1. FC Union Berlin mit sich herum.

Wie groß der Druck nach dem 2:3 gegen die Köpenicker am vergangenen Mittwoch ist, zeigen die Reaktion der Fans und der Blick in die Berliner Medienlandschaft. Verantwortlich dafür sind aber nicht nur die Fußballer aus Charlottenburg. An der überhitzten Atmosphäre trägt der Verein einen maßgeblichen Anteil. Wenn Hertha BSC - fernab der sportlichen Realität - sich bei jeder bietenden Möglichkeit als ersten und einzig wahren Hauptstadtklub inszeniert, darf sich niemand wundern, wenn nach jeder weiteren Enttäuschung die Stimmung noch schlechter wird.

»Hier kommt Berlins Fußballteam Nummer eins!« - wie immer, so kündigte der Stadionsprecher auch gegen den FC Bayern die Mannschaft von Hertha an. Die ebenso stets übertriebene Inbrunst seiner Stimme weckte angesichts von gerade mal 3000 Besuchern im weiten Rund des Olympiastadions und nasskaltem Januarwetter mehr Bedauern als Begeisterung. Die wenigen Fans immerhin bewiesen Humor. »Jetzt geht’s los« riefen sie, nachdem der eingewechselte Jurgen Ekkelenkamp zehn Minuten vor Spielende zum 1:4 für Hertha BSC getroffen hatte.

Diese Niederlage war erwartbar und löste somit auch nicht das nächste Nachbeben aus. Andere Zahlen als das Ergebnis von 1:4 zeugen dennoch von einem bedenklichen Zustand der Berliner. Von insgesamt 29 Münchner Schüssen kamen 20 auf das Tor der Hertha - mehr ließ bislang kein anderer Bundesligist zu. Für die Bayern ist es nur ein weiterer Rekord auf ihrem Weg zum zehnten Titel in Folge, für die Berliner ein großes Problem. Die von Korkut verordnete Konzentration auf die Defensive hielt gerade mal 25 Sekunden, da flog schon der erste Ball gefährlich in den eigenen Strafraum. Als noch keine zwei Minuten gespielt waren, lag der erste Ball im Tor der Hertha. Auch wenn der Videoschiedsrichter den Treffer kurz danach wieder aberkannt hat: Die mit nunmehr 42 Gegentoren zweitschlechteste Defensive der Liga lud den Gegner umgerechnet alle drei Minuten zu einer Chance ein. Mit jeweils nur zwei Münchner Toren pro Halbzeit durch Corentin Tolisso, Thomas Müller, Leroy Sané und Serge Gnabry gingen die Bayern mehr als gnädig mit ihrem komplett überforderten Gegner um.

Neue Saison, alte Probleme
Hertha BSC steht schon wieder am Tabellenende der Bundesliga

Es ist nicht lange her, da hat Herthas Sportchef Fredi Bobic ein eingeschränktes Treuebekenntnis zum Trainer formuliert, den er erst Ende November nach Berlin geholt hatte. Wenn eine positive Entwicklung zu sehen sei, dann könne Korkut weitermachen. Einerseits wollte er damit am 16. Januar auf der Mitgliederversammlung Ruhe und Zuversicht vermitteln. Andererseits folgte darauf die Niederlage im DFB-Pokal gegen Union. Wie belastbar die Aussage von Bobic aktuell ist, hängt von seiner eigenen Einschätzung ab. Sollte er eine spielerische Entwicklung meinen, stehen die Chancen für Korkut jetzt schon schlecht. Nimmt der Sportchef die Tabelle als Maßstab, dürften die beiden folgenden Partien mitentscheidend sein. Nach der Ligapause am kommenden Wochenende empfängt Hertha den Aufsteiger VfL Bochum. Der steht als Elfter zwei Punkte und zwei Plätze besser da als die Berliner. Danach geht es zum Schlusslicht Greuther Fürth. Sollte der Abstand von derzeit nur drei Zählern auf den Relegationsrang und vier auf den ersten Abstiegsplatz danach nicht gewachsen sein, könnte Korkut nach nur etwas mehr als drei Monaten schon wieder Geschichte sein.

Selbstbewusst genug für solche Entscheidungen ist Fredi Bobic. Zuletzt widersprach er wiederholt auch der Linie des umstrittenen Investors Lars Windhorst. Dessen Erzählung vom »Big City Club« lehnt er ab, er habe sie noch nicht einmal in den Mund genommen. Und dass Bobic sagt, er sehe Hertha noch nicht als großen Verein, bringt dringend benötigten Realismus in den Verein. Eine Reaktion von Windhorst kam bislang nicht. Aber der hat derzeit anscheinend noch größere Probleme als Hertha BSC. Wie das Magazin »Business Insider« jüngst berichtete, wird Windhorsts Unternehmensgruppe Tennor vorgeworfen, »hohe Millionenbeträge aus strafbaren Handlungen« kassiert zu haben. Zudem müsse er in diesem Jahr fast 1,5 Milliarden Euro an einen Londoner Fonds zurückzahlen. Sollte auch das noch ein Problem werden für Hertha BSC, wo die von Windhorst investierten 375 Millionen Euro bislang keine gewinnbringende Wirkung gezeigt haben, dann sind selbst Niederlagen gegen einen Stadtrivalen Peanuts.

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