Atomkraft und Erdgas werden grün

EU-Kommission beschließt Energie-Regelwerk

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Das AKW Isar 2 nahe dem niederbayerischen Landshut ist ganz sicher nicht nachhaltig.
Das AKW Isar 2 nahe dem niederbayerischen Landshut ist ganz sicher nicht nachhaltig.

Nun ist es ganz offiziell: Atomkraft und Erdgas sind grün. Zumindest wenn es nach der EU-Kommission geht. Am Mittwoch stellte die Kommission ihre »Taxonomie für nachhaltige Investitionen« vor. Diese bewertet Energieträger nach ihrem ökologischen Fußabdruck. Das soll Anlegern künftig zeigen, ob ihr Geld in saubere Energien fließt, also etwa in neue Windkraftwerke oder Solaranlagen. So sollen Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen gelenkt werden, hofft zumindest die Kommission und bejubelt die Taxonomie als ein »solides, wissenschaftsbasiertes Transparenzinstrument für Unternehmen und Investoren«. Das mag für den ursprünglichen Vorschlag gegolten haben - doch auf Druck von Frankreich und Deutschland hat Brüssel Ende Dezember Atomkraft und Erdgas »übergangsweise« in die Taxonomie aufgenommen.

Offiziell wird geleugnet, dass es einen Deal zwischen Frankreich und Deutschland gab. Allerdings sind die Indizien erdrückend: Weil Deutschland seine Atomkraftwerke abgeschaltet hat und aus der Kohle rauswill, gleichzeitig aber den Ausbau der erneuerbaren Energien bremst, ist man auf Gaskraftwerke angewiesen. Frankreich wiederum deckt immer noch 70 Prozent seines Strombedarfs aus Atomkraft und hat den Umbau seiner Energiewirtschaft komplett verschlafen. Paris hat das Comeback der Atomkraft strategisch geschickt vorbereitet, in den vergangenen Monaten eine Koalition der Willigen um sich geschart und laut getrommelt für das Comeback der strahlenden Energie. Deutschland hingegen wirkte lautlos hinter den Kulissen, um dem Erdgas ein vorläufiges Öko-Label zu sichern. Laut Kommission muss Gas bis 2035 aus erneuerbaren Quellen stammen oder geringe Emissionen aufweisen. Allerdings hob die Kommission die Grenzwerte beim CO2-Ausstoß für Gaskraftwerke an.

Kritik an diesem Greenwashing kommt von allen Seiten. Ausgerechnet die Expert*innen der »Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen«, die laut EU-Verordnung in der Sache konsultiert werden müssen, wendeten sich in der vergangenen Woche gegen die Aufnahme von Gas und Atomkraft. Die Taxonomie sei »nicht der geeignete Rahmen«, heißt es in einer Erklärung. Fossiles Gas erzeuge große Emissionen und Kernkraft hoch radioaktive Abfälle.

Besonders ärgerlich für die Kommission ist der Widerstand aus der Finanzbranche. Denn die Banker*innen sollen das Geld für die grüne Energiewende bereitstellen. Die Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC), ein billionenschwerer Zusammenschluss europäischer Banken und Pensionsfonds, forderte in einem offenen Brief, »Gas nicht in die Taxonomie aufzunehmen«. Ingo Speich von der deutschen Deka-Bank sagte dem Wirtschaftsmagazin »Capital«, die Taxonomie sei »politisch gekapert worden«.

Trotz aller Kritik ist das Greenwashing kaum noch aufzuhalten, auch von den deutschen Grünen nicht. Besonders brisant: In seiner Stellungnahme spricht sich das Bundeswirtschaftsministerium gegen die Aufnahme der Atomkraft aus, fordert aber gleichzeitig, die strengen Vorgaben für Gaskraftwerke aufzuweichen. So drängt das Ministerium von Robert Habeck die Kommission, »realistische Werte« festzulegen. Der grüne Minister will also, dass deutsche Kraftwerke mehr CO2 ausstoßen dürfen.

»Die Grünen sollten sich zu ihrer Ehrenrettung Österreich und Luxemburg anschließen und gegen das Greenwashing bei der Taxonomie klagen. Offenbar ist ihnen aber die Harmonie innerhalb der Ampel-Koalition wichtiger als der Klimaschutz«, kritisiert die Europa-Abgeordnete der Linkspartei Cornelia Ernst. »Die Bundesregierung muss niemandem vormachen, dass sie von den Plänen überrascht wurde. Brüssel hat im Vorfeld mit allen EU-Regierungen gesprochen, um sich Zustimmung zu sichern«, so Ernst weiter. Zwar können Rat und Parlament noch intervenieren, doch zumindest im EU-Rat fehlt die nötige Mehrheit, es zu verhindern.

Deutlich knapper wird es hingegen im Europaparlament, das den delegierten Rechtsakt zur Taxonomie absegnen muss. Hier reicht eine einfache Mehrheit von 353 Abgeordneten, um den Rechtsakt noch zu Fall zu bringen. Die Grünen haben bereits erklärt, dagegen stimmen zu wollen. Auch in der Linksfraktion ist man sich weitgehend einig darin, die Vorlage abzulehnen. Die zweitgrößte Parlamentsfraktion, die sozialdemokratische S & D, hat ebenfalls angekündigt, den Rechtsakt nicht zu unterstützen. Die Aufnahme von Kernkraft und Gas sei »sowohl aus ökologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht eine falsche politische Botschaft«, betonte Fraktionsvize Simona Bonafe vor wenigen Tagen. Die S & D plädiert dafür, für Gas und Atomkraft eine eigene »bernsteinfarbene Kategorie« außerhalb der Taxonomie zu schaffen.

Sogar in der christdemokratischen EVP-Fraktion ist der Ärger groß. Einige Abgeordnete hatten bereits angekündigt, den Vorschlag nicht mitzutragen. Der EVP-Parlamentarier Markus Ferber von der CSU bezeichnete die geplante Aufnahme von Kernenergie in die Taxonomie als »nachträgliches Weihnachtsgeschenk an Frankreich«. Mit diesem Vorschlag untergrabe die EU-Kommission »letztendlich die Glaubwürdigkeit der Taxonomie«. Seine Fraktionskollegin Sirpa Pietikäinen von der finnischen Nationalen Sammlungspartei beschwerte sich lautstark, dass das Parlament übergangen worden sei, und kündigte Widerstand an. Es bleibt also spannend.

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